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Österreich als Staatsoperette

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Namen tun nichts zur Sache. Weder die Namen der Autoren, noch die Namen der (schuldlosen) Darsteller. Zur Sache tut lediglich jene Million, die das Ministerium in eine Fernsehproduktion investiert hat, die sich „Staatsoperette“ nennt.

Sie haben richtig gelesen. Der Fernsehfilm, der am 30. November spät- nachts gesendet werden soll, heißt nicht nur „Staatsoperette“, er ist es auch. Und der Staat, der darin auftritt, ist Österreich in seiner Erscheinungsform als Erste Republik. Selbstverständlich heißen die Politiker und Staatsmänner des auftretenden Staates nicht so, wie sie hießen, sondern anders und so, daß man alsbald erkennt, wer gemeint ist. Kein Zweifel, daß ein Ignaz Seipel und ein Otto Bauer geradezu prädestiniert waren, als Operettenfiguren aufzutreten. Und gar erst ein Bundeskanzler, der in seinen Amts räumen, bei Ausübung seiner Funktion, erschossen wurde, muß doch, satirisch betrachtet, zum Totlachen sein, finden Sie nicht auch?

Vielleicht gehören Sie, wie ich,,einer Generation an, die gewohnt war, vor jedem Österreicher in Ehrfurcht den Hut zu ziehen, der für eine Idee sein Leben hingab, für eine richtige, eine falsche, eine mehr oder weniger richtige, eine mehr oder weniger falsche, für die Idee eines Österreich jedenfalls, das, seinem Glauben nach, ein besseres sein sollte. Unterlassen Sie das, bitte, in Hinkunft! Sie sind, wie ich, zu wenig aufgeklärt und Sie haben, wie ich, nicht gelernt, kritisch zu denken.

Die kritisch Denkenden nämlich haben Österreich als Staatsoperette durchschaut. Kritisch Denkende wissen, daß junge Menschen seit Jahrtausenden immer nur bereit waren, für die ökonomischen Verhältnisse, zu sterben - nicht etwa für Ideen oder (wie absurd!) für Religionen. Religionen und Ideen, richtige und falsche, sind ja nur der „Überbau“. Real sind die wirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu ändern sind- nicht jene von damals, sondern jene von heute, wohlgemerkt. Begreift man das, dann wird Ähnliches wie damals nie wieder geschehen. Merken Sie sich das endlich!

Denn nur, damit Sie es sich endlich merken, und damit Ihnen in der Folge klassenkämpferisches Bewußtsein eigne, hat man das viele Geld ausgegeben, hat man Kameraleute (die besser sind als anderswo) und hat man österreichische Darsteller (im Ausland ein begehrter Markenartikel) bemüht, hat man (seit Jahren) keine Kosten gescheut.

Und man hat sich nicht gescheut, zwecks Hebung Ihres proletarischen Bewußtseins, Mädchen wieder einmal splitternackt auszuziehen und dann hier und dort mit Orden zu behängen. Mit besagten Hürchen pflegte sich bekanntlich Mussolini zu erfreuen, wenn er klerikale Politiker aus Österreich (die keineswegs „Seipel“ hießen, oh nein!) empfing. Nur war Mussolini zweifellos ein Gangster, hatte aber doch wohl etwas mehr Format als seine roten diktatorischen Nachahmer und Epigonen. Die elegantesten und interessantesten Frauen Italiens liefen ihm nach und eine von ihnen war bereit, mit dem Duce in den Tod zu gehen … Verzeihung! Vor Clara Petaccis Opfer (für eine falsche Sache) zu verstummen, wäre ja wieder nur ein Beweis unkritischen Denkens. Der kleine Marxl weiß es besser und hat das alles ja längst als eine Machination des Monopolkapitals durchschaut.

Warum aber, so fragt sich unsereiner als unaufgeklärter Klassenbewußtloser, warum nur hat man auf dem Kü niglberg angesichts eines solchen Meisterwerkes dennoch schlechtes Gewissen? Warum versteckt man es in einem Spätabendprogramm, das zu einer Stunde läuft, in der nur Linksin-' tellektuelle dauerdiskutierend wach sind und in der die Normalösterreicher schnarchen, um wenig später die Kühe melken oder einen Dauerparkplatz erobern zu können? Gönnt man den vielen, die doch klassenbewußtes Denken lernen sollten, die Operette ihres eigenen Staates nicht? Die Operette, zu der die strohdummen Mächte des Westens und die brutalen Tyranneien des Ostens diesen verhaßten letzten Rest des Abendlands in Europas Mitte, dieses Österreich, seit mehr als 150 Jahren reduziert wissen wollen und. nun endlich reduziert sehen dürfen -?

Und geschieht uns allesamt nicht recht? Geschieht den kurzsichtigen Konservativen nicht recht, die da glauben, Schamlosigkeit finde nur in der Pomopresse und in Pornofilmen statt? Geschieht der Neidgenossenschaft nicht recht, der man eingeredet hat, das Schnitzel ihres Nächsten dürfe um keinen Preis größer sein als ihr eigenes? Geschieht jener erdrük- kenden Mehrheit der Indolenten nicht recht, die bereit ist, sich jedem Gaukler, Tyrannen und Falschspieler zu verkaufen, der ihr mehr Autos, mehr wahllosen Geschlechtsverkehr, mehr fettschwabbelnde Fleischportionen bis zum Erbrechen, Alkohol bis zum Serienunfall und Arbeitszeitverkürzung bis zum wirtschaftlichen Zusammenbruch garantiert?

Gewiß, die Toten diesseits und jenseits des Grabens, die für ein ihrer Überzeugung nach besseres Österreich starben, sind gewichtslos. Gewicht hat die ministerielle Million zur Förderung einer Selbstdarstellung dieses Staates als Gschnasfest, die Million, die keinesfalls, trotz schlechten Gewissens auf dem Küniglberg, als Fehlinvestition ausgebucht werden darf. Alle Welt soll sehen, wie schäbig wir doch alle waren, sind und sein werden. Daß da irgendein Druck ausgeübt worden wäre, ist vollkommen ausgeschlossen. Denn der ORF ist ja unabhängig, nicht wahr?

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