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Psychogramm eines Ideals
Wenn Theologen-Bücher in aller Munde sind, bedeutet das meist zweierlei: Für die einen hat der Autor ins Schwarze getroffen, für die anderen ist es zum Aus-der-Haut-Fahren.
Wenn Theologen-Bücher in aller Munde sind, bedeutet das meist zweierlei: Für die einen hat der Autor ins Schwarze getroffen, für die anderen ist es zum Aus-der-Haut-Fahren.
Es kommt nicht allzu häufig vor, daß der Name eines Theologen derart medienpräsent die Aufmerksamkeit einer breiten, theologischen Fragen eher reserviert gegenüberstehenden Öffentlichkeit erregt: der in Paderborn lehrende und analytisch praktizierende Seelsorger Eugen Drewermann gehört zu dieser erlesenen Schar.
Nun trifft er in jeder Hinsicht ins Schwarze - sein Buch über die „Kleriker" verspricht das „Psychogramm eines Ideals". „Wozu eine psychoanalytische Studie über Kleriker?" (23) erläutert er „Vorhaben und Verfahren" (nicht nur im I. Teil, 21-39). Glaubhaft wird auch im umfangreichen II. Teil (Der Befund, 41-654), daß er niemanden beleidigen, heruntermachen oder gar verurteilen will.
Im Gegenteil: Wer immer das Buch liest und vor Ingrimm über das Geschriebene aus der Haut zu fahren droht, möge bedenken, daß es Drewermann tatsächlich um Seelsorge an den unleugbar*vielen Menschen geht, Klerikern (dazu gehören auch die Nonnen) und Laien, die unter der Decke ihrer gelebten Religiosität oft schwere neurotische Störungen verbergen, die sich nicht selten in einer Krankheit äußern. Ihnen möchte er helfen, indem durch Aufklärung ein Nachreifungsprozeß angeregt wird.
Dazu untersucht er das Ideal selbst, das zum Kleriker-Sein, zur „Berufung" führt, und hier sticht er in ein ausgereiftes Wespennest. Bevor er im Hauptteil den „Befund" entfaltet, diskutiert er die wesentlichsten Einwände gegen sein Vorgehen (43 ff.).
Zunächst zeichnet er meisterhaft „die ontologische Verunsicherung" des zukünftigen Klerikers nach (47-268), die in einer „Existenz von Amts wegen" gipfelt. Der Kleriker ist als Mensch nichts und erst als Erwählter alles - er ist „entfremdetes Sein" (96 ff.) aufgrund der „Hierarchisierung" des kirchlichen Lebens und der „Entwertung des Glaubens zu einer erfahrungslosen Lehre" (117 ff.). Als Kontaktform bleibt dann die „Rolle", der er die Strukturierung seines Lebens verdankt - von der Kleidung über das Gebet, den Eid, den Dienst bis zu den Freundschaften (225 ff.). Wie es denen ergeht, die ihre Rolle nicht mehr spielen wollen und können, erfährt nicht nur der Kleriker vom (höchsten) Klerus, sondern auch der Laie von den Laien: der Mensch „hinter" dem Kleriker ist oft völlig bedeutungslos.
Im zweiten Teil des „Befundes" untersucht er die „Bedingungen der Auserwählung" (269-654). Den psychogenetischen Hintergrund ortet der Autor in einer „primären Rollenzuweisung" in der Familie, etwa im frühkindlichen Ursprung der klerikalen Opferideologie, in Überforderung und Verantwortung, im Rettersyndrom und anderem. Wirklich brisant und für wahrscheinlich allzuviele provokant mag seine „Antriebspsychologie der evangelischen Räte" (340 ff.) sein.
Ausgehend vom Phänomen der „Funktionalisierung" des Ideals (345 ff.), das heißt seiner totalen Veräußerlichung und der theologischen Ideologisierung durch Abtrennung von der Psyche des konkreten Menschen, der diese Ideale leben soll (357 u. o.), gelangt Drewermann zu einer Beschreibung der traditionellen „evangelischen Räte", die er entwicklungspsychologisch korreliert: in der Armut offenbarten sich Konflikte der Oralität (369 ff.), im Gehorsam solche der Analität (426 ff.), in der Ehelosigkeit solche der ödipalen Sexualität (480 ff.).
Im III. Teil wird eine Therapie unter der selbst höchst fragwürdigen Devise vorgeschlagen: „Von der Aporetik zur Apologetik der evangelischen Räte" (655-750). An diesem Leitfaden fragt er nach dem Erlösenden am Christentum (657 ff.), um mit unzeitgemäßen Betrachtungen über die Ausbildung von Klerikern (730 ff.) zu schließen.
Die zum Teil umfangreichen Anmerkungen (751-858) wurden nicht als Fußnoten am Seitenende, sondern dem Text nachgestellt, was die Lektüre durch dauerndes Blättern erschwert. Die zitierte Literatur - in neun Kategorien unterteilt - läßt den Band auf genau 900 Seiten schwellen. Trotz des beengten Raumes dürfen zumindest einige Hinweise zu einer kritischen Würdigung nicht fehlen.
Vieles an Drewermanns Analysen, und nicht einmal die rein psychoanalytischen Passagen, liest sich hinreißend und bestechend: So etwa die lückenlose Ableitung des Ge-horsamsgebots und des Eides auf den Papst (!) aus imperialen und universalistischen Vorstellungen des altrömisch-byzantinischen Reiches, wenn Ende des 11. Jahrhunderts (!) aus dem Stellvertreter Petri ein „Vicarius Christi" geworden und bis heute geblieben ist.
Andere Bezüge und Argumente wollen nicht so leicht einleuchten, wie ein besonders frappierendes Beispiel aus der Einleitung zum, Kapitel über die Armut: Ohne Zögern wird der „Wohlstand der westlichen kapitalistischen' Länder. .. im wesentlichen den Umwälzungen der Industrialisierung" zugeschrieben, die ihrerseits „nicht denkbar gewesen wären ohne den ... Gewerbefleiß des theologisch so oft verachteten Bürgertums" (358).
„Mit ganzer Kraft zurück"
Bei der Menge an Druckerschwärze wäre wohl auch noch ein Wort über koloniale, spät- und neokoloniale Strukturen der Weltwirtschaft als einer Ursache für den Reichtum dieser Länder und die Armut der sogenannten Dritten Welt am Platz gewesen, zumal diese Auslassungen - denn viele angeführte Zitate ersetzen nicht das Argument - noch dazu im Zusammenhang der Diskussion einer Option für die Armen in Lateinamerika stehen, was ein solches „Versehen" dem Zynismus naherückt.
Ebensowenig ist einsehbar, warum die evangelischen Räte einer Apologetik, also ihrer Verteidigung bedürfen: Wenn die Forderung, die sich hinter dem Ideal gebieterisch verbirgt, auf die zugrundeliegende ursprüngliche Erfahrung von Armut, Gehorsam und Liebe zurückgeführt wird, dann zeigt sich das Erlösende des Christentums. Ob es aber mit „einer Zärtlichkeit, die Träume weckt, und einer Liebe, die Wege weist" (708 ff.) getan ist?
Einer Liebe, bar jeder Geschichtlichkeit, losgelöst von der sozialen und politischen Situation, ganz zugeschnitten auf die individuelle Psyche und ihre Befreiung, ihr Ganz- und Heilsein, oder mit des Autors Worten: auf „die wesentliche Subjektivität des Glaubens" (744 ff.). Wenn diese und „die verlorene Mystik der Natur" (731 ff.) den propagierten „Wendepunkt der Religionsgeschichte" (so ein Titel, 730) darstellen sollen, dann entspricht das Ergebnis dem Sarkas-mus: „Mit ganzer Kraft zurück."
Insofern betreibt Herr Drewermann genau das Geschäft derer, die er mit gutem Recht so vehement bekämpft: Nur löst er die gesellschaftliche und kirchliche Verf aßtheit des Glaubens nicht von der objektiven, juridischen, machtpolitischen Seite her auf, sondern von der subjektiven, verinnerlichten, psychischen. Beide treffen im rigorosen Biblizis-mus und in ihrer ungeschichtlichen Unduldsamkeit veränderten Situationen gegenüber zusammen.
Abschließend halte ich aber fest:
1. Drewermanns Buch ist - bei aller Kritik im Detail - aufs Ganze gesehen, eine ausgezeichnete und höchst notwendige Analyse eines Kernproblems der gegenwärtigen Kirche. Die Krise des Klerus ist eine Krise der Kirche.
2. Wer immer diese Krise beim Namen nennt, hat das Recht, gehört zu werden, ob es den Betroffenen gefällt oder nicht. Die Immunisierung gegen Kritik durch Aussonderung des Kritikers - in bestimmten Systemen bis vor kurzem üblich - kann nicht der Umgang unter Christen sein. Sonst ist dieses System nicht besser als das von der Kirche so bekämpfte und verachtete des zynischen, in jeder Hinsicht gescheiterten Kommunismus.
3. Die einzig mögliche Antwort in der von Drewermann angerührten Sache kann nur sein: Das Tabu muß über Bord, über diese Probleme muß endlich offen und frei geredet werden können, ohne daß Kontrahenten einander als Ketzer verdächtigen. Dialog statt Verurteilung, Offenheit statt Scheuklappen.
KLERIKER. Psychogramm eines Ideals. Von Eugen Drewermann. Verlag Walter, Olten-Frei-burg/Br. 1989. 900 Seiten, Ln., öS 538,20
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