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Raum ist genug

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FURCHE-Gespräch mit Peter Feldl* über Perus Probleme

FURCHE: Wohin geht Peru — ein Land mit drei Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr, ohne Geburtenkontrolle und mit langsamer Kolonisierung der Gebiete, die noch urbar gemacht werden könnten?

FELDL: Diese Frage bezieht sich natürlich auf große Teile Südamerikas. Ich behaupte, daß in den Ländern, die ich kenne, also Kolumbien, Ekuador, Peru, die Geburtenkontrolle vollständig sinn- und nutzlos ist, weil sie, ob es einem ideologisch gefällt oder nicht, gerade bei den breiten armen Schichten nicht funktioniert.

FURCHE: Warum funktioniert sie nicht?

FELDL: Sie kann nicht funktionieren. Sie kann nicht nur deshalb nicht funktionieren, weil die Menschen nicht genug Disziplin haben, sondern auch deswegen, weil es ja keine Ärzte gibt und weil ohne irgendeine medizinische Kontrolle und Beratung keine Geburtenkontrolle funktionieren kann.

FURCHE: Auf wie viele Peruaner kommt ein Arzt?

FELDL: Wir haben in Peru auf 6000 bis 7000 Menschen einen Arzt, aber die sitzen zu zwei Dritteln in Lima. Wir haben Provinzen, wo für 40.000 Menschen nicht ein einziger Arzt vorhanden ist. Ganze Provinzen haben nicht einmal einen einzigen Arzt.

FURCHE: Wie funktioniert aber dann die kostenlose medizinische Betreuung, die den Mitgliedern der landwirtschaftlichen Kooperativen garantiert ist?

FELDL: In den armen Kooperativen steht sie auf dem Papier. Die reichen halten sich einen

Arzt. Die meisten haben einen Krankenpfleger. Es gibt notausgebildete Krankenpfleger, besser ausgebildete Sanitäter, die über ein gewisses praktisches Wissen verfügen, mit dem sie irgendwie durchkommen.

FURCHE: Wohin führt aber dann die Bevölkerungszunahme?

FELDL: Nicht die Bevölkerungszunahme ist der Hauptpunkt, sondern der Hauptpunkt ist, daß in einer gewissen Periode der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung der Preis der Arbeitsplätze schneller steigt als die Finanzierungsmöglichkeiten. Wenn ein bestimmter Punkt erreicht wird, schlägt das um, und die Finanzierungsmöglichkeiten nehmen stärker zu als der Bedarf an neuen Arbeitsplätzen. Sie müssen ja auch ohne Zunahme der Arbeitsplätze pro Jahr auf zehn Arbeitsplätze einen Arbeitsplatz schaffen — um den Emeue-rungsbedarf zu decken. Es geht also bei einer Bevölkerungsvermehrung von drei Prozent nur um den Unterschied von 10 auf 13 Prozent.

FURCHE: Die Bewältigung des Bevölkerungswachstums hängt also von zwei Faktoren ab — vom Tempo der Arbeitsplatzvermehrung und vom Fassungsraum des Landes?

FELDL: Das zweite Problem besteht ja überhaupt nicht. Raum ist auf jeden Fall genug da.

FURCHE: Wo?

FELDL: Das Gebirge ist relativ dicht bevölkert und der Boden ist furchtbar arm, und auch zur Industrialisierung wegen der teuren Transporte über das Gebirge hinweg schlecht geeignet. Gerade hier, wo aus historischen Gründen der Großteil der Bevölkerung im armen Gebiet sitzt, kann man nur allenfalls Leichtindustrie aufbauen. In diesem armen Gebiet gibt es sehr viel Wasser, aber nur ganz schlechten Boden, allenfalls für Maisbau geeignet. Die Küste ist Wüste — sie hat kein Wasser, aber sehr guten Boden.

FURCHE: Also ein Investitionsproblem?

FELDL: Sehr richtig. Wo Wasser ist, ist eine Oase, das geht wahnsinnig schnell, wo der Boden Wasser bekommt, herrscht Überfluß. Aber das Wasser an die Küste zu bringen, erfordert natürlich enorme Investitionen. Die dritte Zone ist das Amazonas-Becken jenseits der Anden, hier gäbe es unerhörte und unbeschränkte Möglichkeiten.

FURCHE: Und wie wären hier die landwirtschaftlichen Möglichkeiten?

FELDL: Es gibt hier gutes Land, fruchtbares Land, Wälder, dieses Gebiet wäre zum Großteil kultivierbar. Nicht alles in Feldwirtschaft, sondern zum Teil in Form von Waldwirtschaft, aber jedenfalls zum Großteil nutzbar. Man müßte also die Menschen vom Gebirge teilweise zum Amazonas hinüberbringen, teilweise an die Küste.

FURCHE: Wenn man vom gegenwärtigen Tempo dieser Entwicklungsprozesse und gleichzeitig des Bevölkerungswachstums ausgeht — steigt oder sinkt der Lebensstandard in Peru?

FELDL: Er steigt.

FURCHE: Peru braucht natürlich Kredite, wie steht es mit der Möglichkeit, sie zu bekommen?

FELDL: Kredite sind heute in der Welt zu haben, das geschieht und das geht. Die Regierung hat in dieser Beziehung ein sehr gutes Prestige und keine Schwierigkeiten, Kredite in der notwendigen Höhe zu bekommen.

FURCHE: Haben Sie auf Grund Ihrer Landeskenntnis und Ihrer bisherigen Erfahrungen in Peru den Eindruck, daß in diesem Land stärker als in anderen lateinamerikanischen Ländern Sozialunterschiede verringert, Konfliktstoffe abgebaut werden?

FELDL: Sagen wir so: Die Klassen- und Einkommensunterschiede haben sich auf jeden Fall stark vermindert.. Die ganz Reichen sind etwas weniger reich (und zahlreich), die ganz Armen sind so arm, wie sie waren, aber die Schichte der nicht ganz Armen, die Mittelschichte, verbreitert sich. Insofern verringern sich die Unterschiede.

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