7215607-1992_48_03.jpg
Digital In Arbeit

8. Dezember: Feiertage und der Kampf um den Sonntag

19451960198020002020

Nicht nur vor dem Fest Maria Empfängnis, 8. Dezember, gesetzlicher Feiertag in Österreich - ihn kennzeichnet ein jährlich wiederkehrender „Kampf um seine Erhaltung - sollte der Sinn von Festzyklen bedacht werden. Mit zunehmender Flexibilisierung der Arbeitszeit steht auch der Sonntag zur Disposition.

19451960198020002020

Nicht nur vor dem Fest Maria Empfängnis, 8. Dezember, gesetzlicher Feiertag in Österreich - ihn kennzeichnet ein jährlich wiederkehrender „Kampf um seine Erhaltung - sollte der Sinn von Festzyklen bedacht werden. Mit zunehmender Flexibilisierung der Arbeitszeit steht auch der Sonntag zur Disposition.

Werbung
Werbung
Werbung

Die neuzeitliche Gesellschaft und - offensichtlich auch die Kirche - gehen mit dem Sonntag so um wie mit der ganzen Schöpfung. Denn die Herrschaft der Menschen über die außermenschliche Schöpfung und deshalb der eigentliche Kern der ökologischen Krise besteht darin, daß die Menschen die lebensnotwendigen Zyklen der Schöpfung nicht mehr respektieren, sondern die zyklischen Rhythmen des geschöpflichen Lebens in eindimensionale Linearität übersetzen. In derselben Stoßrichtung wird aber auch die zyklische Zeitstruktur, die dem christlichen Sonntag ebenso wie bereits dem jüdischen Sabbat zugrundeliegt, insbesondere durch die modernen High-Tech-Industrien in die platte Linearität einer zerfließenden Zeitlichkeit überführt. Denn die Flexibilisierung der Arbeitszeit zieht auch die Flexibilisierung des Sonntags nach sich, und die gleitenden Arbeitszeiten führen dazu, daß auch der Sonntag den Menschen immer mehr ent-gleitet.

Die in der heutigen Gesellschaft zwar noch zu einem großen Teil unbestrittenen Werte des Sonntags können selbstredend nur dann zur Geltung gebracht werden, wenn der Sonntag prinzipiell arbeitsfrei bleibt. Deshalb stellt sich die gesellschaftliche Aufrechterhaltung des Sonntags im Sinne eines rechtlich abgestützten öffentlichen Ruhetages als ein politisches Anliegen ersten Ranges heraus, das Kirchen und Gewerkschaften in solidarischer Anstrengung einzufordern haben.

Dieses Zusammengehen bedeutet vor allem, daß die Kirchen nicht isoliert für die Rettung des Sonntags und die Gewerkschaften bloß für die Verteidigung des freien Samstags kämpfen, sondern daß beide gemeinsam sich stark machen für das ganze Wochenende, Samstag und Sonntag, als soziokulturelle Errungenschaften.

Dort, wo der Sonntagsgottesdienst nicht als Last des kirchlichen Lebens, sondern als Lust des christlichen Atmens empfunden wird und auch erfahren werden kann, dort stellt er eine menschliche Wohltat dar, und dort ist sein Besuch für den Christen unendlich mehr als bloß eine zu absolvierende Pflichtübung. Vielmehr umgekehrt: Wer von einem „Sonntagsgebot" oder einer „Gottesdienstpflicht" spricht, gibt damit bereits zu erkennen, daß sich offensichtlich das Selbstverständlichste nicht mehr von selbst versteht. Alles Reden von Sonntagsgebot und Sönntagspflicht stellt deshalb ein Alarmzeichen für das christliche Leben dar.

Kirchenleitungen sind von daher gut beraten, wenn sie sich nicht an der „Du-mußt-Motivation" beim heutigen Menschen festbeißen, sondern wenn sie auf seine „Ich-will-" und „Ich-darf-Motivation" setzen. Konkret bedeutet dies, daß sie, statt mit moralischen Appellen auf der Sonntagspflicht zu beharren und das Sonntagsgebot zu indoktrinieren, alle Phantasie des Glaubens aufbieten, um dem heutigen Menschen den Sinn des Sonntags mystagogisch erschließen zu helfen.

Zur solidarischen Unterstützung der Arbeiterschaft gehört auch die Verantwortung der christlichen Kirchen, sich, bei allem Verständnis für die Interessen der Wirtschaft, dafür stark zu machen, daß die Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit möglichst minimal bleiben oder erst wieder werden. In der heutigen gesellschaftlichen Situation, in der einerseits die Tendenz besteht, die Nutzungszeiten der hochtechnisierten Produktionsanlagen grenzenlos auszuweiten und noch flexiblere Arbeitszeiten zu etablieren, und in der andererseits die Versuchung zur Lockerung des Sonntagsarbeitsverbotes auch im Dienstleistungssektor, beispielsweise für Märkte, Messen und Bahnhofshoppings, größer geworden ist, dürfen sich die christlichen Kirchen auf keinen Fall dazu hergeben, als willfährige

Legitimatoren aller möglichen Ausnahmen vom Arbeitsverbot am Sonntag zu dienen.

Die Verantwortung der Kirchen zur Eingrenzung der Sonntagsarbeit wie zur Rettung des Sonntags in der heutigen gesellschaftlichen Lebenswelt überhaupt, erweist sich freilich nur dann als glaubwürdig, wenn an ihrem Engagement deutlich wird, daß es nicht bloß im Dienst der Aufrechterhaltung eines kirchlichen Privilegs oder einer kirchlichen Besitzstandswahrung steht, sondern im Dienste der Menschlichkeit der Gesellschaft und ihrer Gesundheit.

Auf überzeugende Weise können Kirchen aber diesen Afoc-wendenden Kampf nur führen, wenn sie mit der Revitalisierung der christlichen Sonntagskultur in ihren eigenen Reihen beginnen. Denn sie verlieren von selbst das Recht, Postulate hinsichtlich des Schutzes des Sonntags an die Gesellschaft und an den Staat zu adressieren, wenn sie diese nicht zuvor und prioritär im eigenen Lebensraum einzulösen versuchen. Die Forderungen der christlichen Sozialethik, die die Kirche im Blick auf die Rettung des Sonntags an das kirchliche „Außerorts" richtet, verlieren nur dann nicht ihre Authentizität, wenn diese Forderungen zunächst auf das kirchliche Leben selbst angewendet und im ekklesialen „Innerorts" unter Tatbeweis gestellt werden.

Angesichts dieses weit vorangeschrittenen Verdunstungsprozesses in der christlichen Sonntagskultur, selbst innerhalb der Kirchen, ist die Zeit für die Erkenntnis überreif geworden, daß sich bei der wichtigen kirchlichen Rettungsarbeit für den Sonntag nur das eigene Beispiel der Entfaltung einer christlichen Sonntagskultivierung, das christliche Gemeinden der heutigen Gesellschaft geben, als verheißungsvoller Weg in die Zukunft erweisen wird. Denn nur das glaubwürdige Zeugnis einer gelebten Sonntagspraxis wird in die Gesellschaft ausstrahlen und auch dem Staat zu einer reizenden Einladung werden, die durch seine eigene Verfassung verbürgte Sonntagsruhe wieder ernster zu nehmen.

Der Autor ist Dogmatiker und Liturgiewissenschaftler in Luzern. Auszüge aus seinem Festreferat beim Martinsfest in Eisenstadt am 11. November 1992.

Der Text erschien unter dem Titel Rettet gemeinsam den Sonntag!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung