"... am siebten Tage sollst du ruhn"

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Die scheibchenweise Demontage des Sonntags ist voll im Gang. Dabei brauchen wir diesen Ruhetag mehr denn je in unserer hyperaktiven Konsum-Gesellschaft.

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Die scheibchenweise Demontage des Sonntags ist voll im Gang. Dabei brauchen wir diesen Ruhetag mehr denn je in unserer hyperaktiven Konsum-Gesellschaft.

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Jüngsten Presseberichten zufolge sind die Bischöfe bei der Unterstützung des Volksbegehrens zur "Rettung des Sonntags" uneins. Begründung für das Zögern: Man hat Quotenängste. Die Aktion könnte angesichts der zeitlichen Nähe zur Nationalratswahl zu einer ungewollten "Minderheitenfeststellung" werden.

Aber gerade von der Kirche hätte man sich ein entschiedenes Signal erwartet! Wer denn sonst - wenn nicht die Kirche - kann angesichts der schleichenden Aushöhlung der Sonn- und Feiertage glaubwürdig als Gegenkraft auftreten? Und worauf soll man denn noch warten, wenn die scheibchenweise Demontage längst voll im Gang ist. Nächste Episode: Noch im Juni wird die EU bekanntlich darangehen, das Feiertags- und Wochenendfahrverbot europaweit zu "harmonisieren" ...

Die letzte Bastion Am Beispiel der Erosion der Wochenendruhe realisiert jeder normal empfindende Durchschnittsbürger längst, wohin uns die Apostel von Globalisierung, Flexibilisierung und Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche führen. Mit den Killerphrasen von der "Sicherung der Beschäftigung" und der "Verhinderung eines wirtschaftlichen Nachteils" ist heutzutage ja nicht nur jede arbeitsrechtliche Schlechterstellung politisch begründbar; serienweise werden damit auch letzte soziale Bastionen im Wertegefüge unserer Gesellschaft zu Fall gebracht. Von beachtenswerter Perfidie ist dabei, wie der gegenwärtige Schwächezustand der Kirche zur Preisgabe von Grundwerten christlich-sozialer Politik schamlos ausgenützt und wie mit der apathischen Schreckstarre der Bevölkerung angesichts permanenter Deregulierung und des Abhandenkommens von Normen in allen Lebensbereichen spekuliert wird. Das Gefühl, daß "nichts mehr heilig ist" hat sich längst ausgebreitet: Der 8. Dezember ist bereits vollends Konsum und Kommerz geopfert, über die Verlegung der Feiertage Christi Himmelfahrt und Fronleichnam wird diskutiert.

Zu Recht müßte man daher jetzt von der Kirche - von welcher gesellschaftlichen Kraft denn sonst? - einen Sturm der Entrüstung erwarten! Und man müßte weder bigott-frömmelnder Christ, noch Ewiggestriger sein, um gegen die nunmehr zu beobachtende schleichende Liquidierung des Sonntags aufzuschreien! Nicht einmal in Zeiten größter wirtschaftlicher Depression und Armut nach dem Krieg ist schließlich an der Sonntagsruhe gerüttelt worden! Mit der schleichenden Erosion der Wochenendruhe steht Lebensqualität und die Verwurzelung einer seit Jahrhunderten gepflegten Lebenskultur auf dem Spiel.

Auch der Kirche geht es beim Sonntag um mehr als um Gottesdiensttermine oder das vordergründige Festhalten am Gebot "... am siebten Tage sollst du ruhn". Da ist einmal das sozialpsychologische Argument des regelmäßig wiederkehrenden "Siebten Tages", der allgemein arbeitsfrei gehalten wird. Nur dadurch, daß er von der gesamten Gesellschaft mitgetragen wird, erhält er seine Kraft und seinen besonderen Wert. Wenn es noch Reste funktionierenden Familienlebens gibt, dann spielt sich dieses am Sonntag ab und dann nur deswegen, weil die flächendeckende Sistierung der Arbeit ein gemeinsames Innehalten und gemeinsames Erleben aller Familienmitglieder ermöglicht. Ohne dieses Sonntagsreservat wären die sozialen und familiären Kontakte mehr denn je irritiert.

Im hektischen Wochentagsgetriebe bleibt nur wenig Zeit für Wärme und Kontinuität in Beziehungen. Ein statt des Sonntags beliebig von jedem einzelnen festzulegender freier Tag pro Woche führt zur weiteren Atomisierung von Familie und Gesellschaft. Jede Beschneidung der Sonn- und Feiertagskultur stört menschlich-familiäre Bindungen und verringert die Möglichkeiten gemeinsamen Erlebens.

Struktur & Halt Ein weiteres Argument für den verbindlich arbeitsfreien Siebten Tag ist dessen einzigartige "Aura", bestimmt von der Atmosphäre der seit Jahrhunderten fest verankerten Sonntagsruhe. Wenngleich diese Aura neuerdings vermehrt durch verschiedene Auswüchse einer lärmenden, hektisch gegen die Langeweile ankämpfenden Weekend-Gesellschaft beeinträchtigt ist, so ist sie in unserem Lande nach wie vor noch erlebbar und spürbar. Gott sei Dank, gibt es das bei uns noch: die sonntags zur Ruhe kommenden Dörfer und Städte, die Empfindungen abseits des Alltagsgetriebes zulassen. Es gibt noch das gemeinsam erlebte Gefühl des freien Tages und jene gelassene Gemütlichkeit und Muße, die nur durch das kollektive Freisein von Verpflichtungen und Terminen entstehen kann. Selbst Verkehrsstaus scheinen sonntags weniger aggressionsfördernd.

Der Sonntag ist der Psycho-Hygiene-Tag der Gesellschaft. Sein Wert besteht darin, dem Individuum Halt, Zeitstruktur und Rhythmus zu geben. Wir brauchen den Sonntag für unsere Wahrnehmung von Zeit und Veränderung, brauchen ihn als Zäsur und brauchen die Feste und Rituale dieses Tages. Aus psychologischer Sicht ist es nicht uninteressant, daß viele unserer zentralen Kindheitserinnerungen um den Sonntag kreisen. Er ist und war vielen Kindern eine Art psychische Auftankstation, eine Oase für die Seele. Ein Tag, der mit dem Alltag versöhnen kann und dabei hilft, seine Lasten besser zu bewältigen.

Wir sollten die schleichenden Veränderungen im gesellschaftlichen Klima wachsam beobachten und uns gegen jede Vereinnahmung durch allein wirtschaftliche Gesichtspunkte wehren. Die Demontage des Sonntags ist die Kontraindikation für die Symptome unserer hyperaktiven Hektik-Gesellschaft. Der Sonntag muß so etwas wie ein gesellschaftliches Therapeutikum bleiben, eine Art gemeinschaftlich verordneter Streßbremse, ein Metronom in der Hast des Zeitgeistes, der uns immer wieder hilft, die Balance zu finden zwischen Aktivität und Ruhe.

An die Bischofskonferenz sei daher der Appell gerichtet, sich in ihrer Vollversammlung Mitte Juni auf eine klare Linie zu einigen: Zur Unterstützung des Volksbegehrens zur Rettung des Sonntags! Denn wir brauchen ihn dringender denn je!

Der Autor ist Psychologe und Psychotherapeut in Innsbruck.

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