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Schröpfung statt Köpfung

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ICH halte die Einstellung ge-genüber den Kraftfahrern für einen recht aussagekräftigen Prüfstein dafür, ob eine Gesellschaftspolitik der Realität der modernen Industriegesellschaft angepaßt oder in überholten Katalogen der angeblich wichtigen und der angeblich unnötigen Güter steckengeblieben ist. Man könnte auch sagen: Ob es gelungen ist, die Utopien von gestern mit der Realität von heute auf einen Nenner zu bringen, was ja die Voraussetzung dafür darstellt, eine allzu große, eine vielleicht unüberbrückbare Diskrepanz zwischen den Utopien von heute und den Realitäten von morgen zu vermeiden.

Bis vor einiger Zeit bestand Grund zu der Befürchtung, die Architekten unserer Sozialpolitik

könnten tatsächlich im Sinne haben, den kleinen Mann vom eigenen Auto in die Massenverkehrsmittel zu vertreiben. Der Bundeskanzler selbst blies das Signal zur großen Umkehr. Die neue Kfz-Steuertabelle, die mit 1. Oktober in Kraft tritt, läßt nun deutlich die neue Richtung erkennen. Das schreckliche Wesen Massenverkehr wird nicht geköpft, sondern geschröpft.

Aber diese neuen Steuertabellen lassen auch die Grenzen des vollzogenen Lernprozesses überdeutlich erkennen. Die Steuersätze werden nämlich nicht gleitend erhöht, sondern zum Teil um die Hälfte, zum Teil auf das Doppelte, zum Teil auf das Dreifache.

Daran wäre prinzipiell nichts auszusetzen. Ausgesprochen von

gestern aber ist die Grenzlinie, bei der nun die Progressionsschraube angezogen werden soll. In allen Fahrzeugklassen unter 1500 Kubikzentimeter wird die Kfz-Steuer nämlich um die Hälfte erhöht, in der Klasse zwischen 1500 und unter zwei Liter verdoppelt und darüber generell verdreifacht.

Die Erhöhung des absoluten Spitzensteuersatzes von 2700 auf 8100 Schilling pro Jahr, etwa für einen Royce oder einen 12-Zylin-der-Jaguar, wie ihn dem Vernehmen nach (und selbstverständlich privat) der Kanzler fährt, darf man schon noch maßvoll nennen. Die neue Tabelle aber ist ein negatives Meisterstück. Denn die Verdoppelung der Steuer im Feld der Mittelklassewagen zwischen 1500 und unter zwei Liter, bedeutet Pönalisierung jener Wagenklasse, auf die erstens Leute mit Kindern besonders angewiesen sind und der sich zweitens in den letzten Jahren die Sicherheitstechnik besonders intensiv widmete.

Der Zug zu größeren und massiveren Fahrzeugen ist nämlich ein sehr beachtenswerter Faktor im Kampf gegen den Tod auf der Straße. Auch die Sicherheitsgurten können ihre Vorteile erst dort ausspielen, wo es genügend Knautschzonen vorne und hinten und genug Abstand zwischen Fahrer und Windschutzscheibe bzw.

Lenkrad gibt. Das Kleinauto mit der Sicherheit einer der billigeren Volvo- oder Mercedes-Typen dürfte vorerst eine Unmöglichkeit darstellen.

Ich halte das neue Kfz-Steuer-system daher erstens für einen Rückschritt, weil es den Trend zur Vereinheitlichung der Wagengrößen und zum sicheren Mittelklasse-Format nicht fördert, sondern bremst.

Und ich halte dieses Steuersystem zweitens für familienfeindlich. Die Maßgeblichen dieses Staates begründen ihre eigenen großen Dienstwagen damit, daß sie auf der Reise Platz zum Arbeiten brauchen. Mag sein. Der kleine Mann mit drei oder vier Kindern braucht für selbige nicht weniger Platz. Man könnte also auch sagen: Wenn schon schröpfen, dann wenigstens mit einem vertretbaren System.

Offensichtlich ist zu einem echten Fortschritt in Richtung auf eine differenzierendere Behandlung der Kraftfahrer die Zeit noch nicht reif respektive der Denkprozeß unserer Gesell-sellschaftspolitiker noch nicht gediehen. Doch ist im Entwurf des neuen Kfz-Steuergesetzes auch Positives zu finden.

Zum Beispiel eine Besteuerung, die Zweitwagenkäufer begünstigt. Der Trend der sozial schwachen „Zweitwagen-Sozialschich-

ten“ zu größeren und schwereren Autos hat einen handfesten Grund: Solohe Autos sind langlebiger, haben in höherem Alter noch mehr Sicherheit zu bieten und sind in der Anschaffung billiger. War die steuerliche Begünstigung eines Neu-Kleinwagen-Käufers gegenüber dem Erwerber eines größeren Altwagens, der einen Bruchteil kostet, weil sich der Mann das neue Kleinauto nicht leisten kann, wirklich gerecht? Dem wird nun abgeholfen.

Doch bleibt es dabei, daß man die hochgezüchtete G-R-S-X-Y-Version eines Kleinwagens niedriger besteuert als die langsamere und sicher weniger aggressive Familienkutsche, nur weil diese einen größeren Hubraum hat. (Das ist aber kein Plädoyer für die unsinnige PS-Besteuerung, eher eine Anregung in Richtung auf steuerliche Sonderstellung hochgezüchteter Sonderversionen, unabhängig vom Hubraum).

Ein ganz eigenes Kapitel wäre die „ungerechte Gleichberechtigung“ der arbeitenden Frau mit Kindern, die vielleicht tatsächlich mit dem Wagen zur Arbeit fahren muß — was nicht jeder Mann von sich behaupten kann. Differenziertere Behandlung der Verkehrsteilnehmer? Oh ja, das wäre nicht nur Gesellschafts-, das wäre vielleicht sogar ein Stück Sozialpolitik. Hier wären gesetzgeberische Einfälle hochwillkommen.

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