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Sicherheitsnetz aus Dirigismus

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Die Sicht' auf die Vorgänge im Bundesheer bleibt auch im vierten Jahr der Heeresreform versperrt. Der selbstgewählte Mantel des Schweigens droht nun Reaktionen zu wecken, die für den Gedanken der Landesverteidigung nicht wieder gut zu machenden Schaden bedeuten könnten. So schafft die für die Reformarbeit ausbedungene Abstinenz der öffentlichen Kritik eine nicht wünschenswerte Distanz der Öffentlichkeit von den Problemen des Verteidigung sinstrumentes. Während in den Nachbarländern Österreichs die Öffentlichkeit nach wie vor regen Anteil an den Vorgängen in und um die Armee nimmt, jährlich — etwa in der Bundesrepublik — eine offene Bestandsaufnahme in Form eines Weißbuches vorgenommen wird, verbreitet sich hierzulande das Klima völliger Passivität.

Zur Zeit ist außerdem das Schwungrad der inneren Heeresreform von einem Skiunfall blockiert: die Armee wird von ihrem Kommandanten vom Spitalsbett aus gelenkt. Spanocchis Stellvertreter, Generalmajor Kuntner, in der Vergangenheit schon ein ^Rastelli“, ist noch mit Aufgaben bei der Sicherheitskonferenz in Genf gebunden, von wo er versucht, über die Distanz geistige Impulse zu injizieren. Für die Generalität tritt klar zutage, wie dünn die Zahl der Mutigen und der Männer mit Führungsqualitäten offenbar ist. Trotz der vom Verteidigungsminister propagierten freiwilligen Frühpension ist die Heeresspitze nach wie vor überaltert. Da neben körperlichen Abnützungserscheinungen, die bei einer Generation, die sieben Jahre im Krieg und bis zu zehn und mehr Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht hat, nicht zu verdenken sind, auch zunehmend der Mangel an Anpassung zu spüren ist, droht das Reformwerk in dürftigen Einzelaktionen zu versanden.

Man bekennt sich nicht aus Überzeugung, sondern unter dem Druck von außen zu Veränderungen. Diese tragen dementsprechend von vornherein den Stempel der Inkonsequenz. Die Halbherzigkeit in den Reformbestrebungen aber spürt der junge Staatsbürger mehr, als es den Verantwortlichen lieb ist. Sein natürlicher Instinkt, geschult in einer offenen Gesellschaft, sträubt sich, in eine Umgebung einzutreten, die ihm offen zeigt, daß sie dem Zeitgeist mehr als skeptisch gegenübersteht.

So kommt etwa die Liberalisierung des Zapfenstreiches und die Aufhebung des künstlich geschaffenen Garnisonsbereichen nicht nur zu spät, sie ist auch nicht von jener Haltung bestimmt, die dem jungen Menschen die Entscheidung über seine Dienstauffassung zubilligen würde.

Wohltuend hebt sich da die Programmierung der Aktion „Stellung 74“ ab. Die Musterung, Akt der Tauglichkeitsfeststellung, ist mit dem historischen Ballast der staatlichen Zwangsausübung belastet. Es wäre illusionär, die Wehrbereitschaft jemals so heben zu wollen, daß nicht der Ableistung einer Dienstpflicht Unbehagen entgegengebracht würde. Hatte bislang der Staatsbürger das Gefühl, bei seiner Stellung einer Gruppe von wesensfremden Menschen gegenüberzustehen, die begierig sind, ihn unter ihre Fittiche zu bringen, liegt nun das Gewicht auf dem gegenseitigen Kennenlernen. Das Heer will sich selbst einmal vorstellen, für sich werben — trotz der staatlichen Pflicht.

Der neue Geist soll aber auch helfen, jene Aufgeschlossenheit beim künftigen Wehrmann zu erzeugen, die eine optimale Umsetzung seiner Fähigkeiten und Neigungen in seine Verwendung beim Heer ermöglicht.

Die Gefahr droht nun nicht mehr von außen, sondern von innen. Die Gefahr nämlich, durch eine gut gesteuerte Kampagne zwar mit der „Außenseite“ des Bundesheeres Bekanntschaft gemacht zu haben, von der „Innenseite“ jedoch enttäuscht zu werden. Noch so gut konzipierte Plakate können Eigenwahrnehmung nicht überdecken. Das Heer ist nur so gut, wie es dem Bürger in Erfüllung seiner Pflicht gegenübertritt. Hoffentlich bleibt diese Weisheit nicht den neuen Bundesheer-werbern verschlossen.

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