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So lernt man lernen

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Unter den vielen Undefinierten und unreflektiert gebrauchten Begriffen, mit welchen die so oft selbsternannten Gesellschafts- und Bildungspolitiker heute um sich werfen, nimmt der von der „Bildungsexplosion“ einen bevorzugten Platz ein. Die Fragwürdigkeit eines Unternehmens, das „Chancengleichheit“ und „Bildungselite“ als Postulate nebeneinander stellt, wird erhöht, wenn man den hohen, illusionären Gehalt mit der landauf, landab demgegenüber weit zurückgebliebenen Vermittlungspraxis vergleicht. Lehrpläne werden zwar „gesäubert“, neue Lehrziele nicht selten überaus agitatorisch formuliert, Wissensgebirge errichtet — nur von neuen Lehrmethoden ist bloß die Rede, wenn einige „Versuche“ und „Experimente“ diskutiert oder auch unternommen werden.

Wer kennt sie nicht, die beredten Klagen von Vätern und Müttern, sogar ihnen selbst wachse die Schule ihrer Kinder über den Kopf? Unfähig, wie früher einmal, durch Mitoder Nachhilfe ihren Kindern beizuspringen, selbst niedergedrückt von Anforderungen, die immer neue Stoffe und soeben erst aufgeschlossene Wissensgebiete in ihrem eigenen Bedarf an sie stellen, fühlen sie sich alsbald da und dort aus dem Rennen geworfen. Und recht allgemein verbreitet sich die Frage, wo und wie man zu einem System finden könne, das einem lehrt, w i e man lernt.

Sebastian Leitner legt nun ein Buch vor, das den Titel trägt: „So lernt man lernen / Angewandte Lernpsychologie = Erfolg.“ Man nimmt es, gründlich voreingenommen und mit entsprechend spitzen Fingern zur Hand, beginnt zu blättern, zu lesen — und legt es nicht mehr weg. Tatsächlich, da wird auf 318 übrigens angenehm lesbar gedruckten Seiten ein methodisches Lernschema ausgebreitet, in das man sich um so leichter und lieber vertieft, als es sowohl einprägsam als auch lustig und somit überaus faßlich dargestellt wird. Einer der wissenschaftlichen Experten des Reaktorzentrums in Seibersdorf bekannte kürzlich im Fernsehen sehr freimütig, seit er das gelesen habe, betreibe er wissentlich eine Methode, die er früher bloß unwissentlich, gleichsam aus Instinkt, aber leider eben höchst unvollständig schon überall dort angewandt habe, wo er sich mit neuem Lehr- und Wissensstoff befaßen mußte und das sei beinahe täglich der Fall.

Leitners Buch, von Rolf Totter köstlich illustriert, ist in der Tat Lern- und Lebenshilfe, und zwar, das eben ist so erstaunlich daran, für nahezu jede Lernstufe: von der frühen Schule über die Universität bis zum Beruf. Da werden nicht sogenannte „Gesetze“ und „Stundenanleitungen“ vorgelegt, die der Mensch dann doch wieder abstoßt, sondern unter reger Beihilfe von bedeutenden „Lem-Psychologen“ jene „Tricks“ entdeckt, enthüllt und faßlich erklärt, die schließlich ein rationales System ergeben. Leitner, selbst ein leidenschaftlicher Humanist und daher jeder simplifizierten „Wissensmaschine“ bloß lexikalen Wertes feindlich gesonnen, hat dieses Buch übrigens nicht geschrieben, um andere zu belehren. Er entwickelte die Voraussetzungen dazu in einem eigenen Lernprozeß, den er teils selbst, teils durch Psychologen und Pädagogen andauernd kritisch überprüft hat. So ist es auch nicht Computer-Vorrat, was er hier vorlegt, sondern Einsicht in menschliche Voraussetzungen und Möglichkeiten. Die viel strapazierte Floskel, daß man gerade dieses Buch in viele Hände legen möchte, sollte man eigentlich nicht mehr gebrauchen. Und doch: hier trifft sie einmal wirklich zu. Denn es gibt niemanden, der dieses Buch nicht brauchen könnte. Auf seine Weise hilft es sogar mit, jene katastrophale Gesellschaft abzuwehren, in der immer mehr Menschen von immer weniger alles, doch von dem, was nur ein wenig abseits davon liegt, so gut wie nichts mehr wissen.

SO LERNT MAN LERNEN. Von Sebastian Leitner. Verlag Herder KG, Freiburg, Basel, Wien. 317 Seiten, einige hunderte Abb.

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