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Sozialismus statt Religion?

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„Der Religionsunterricht ist keine Frage der Politik der SPÖ.“ Bundeskanzler Kreisky versicherte es in der Vorwoche in seiner Eigenschaft als SP-Parteichef ein ums andere Mal, und mit ihm der Chor der Parteispitzen von Zentralsekretär Blecha bis Unterrichtsminister Sinowatz. Trotz dieser einhelligen Meinungsäußerung der Parteiführung blieb Wiens Juso-Riege bei ihrer Forderung nach Abschaffung des Religionsunterrichts und Einführung eines „Sozialismusunterrichts“.

Damit handelte sie sich einen Rüffel des obersten Chefs wegen undemokratischen Verhaltens und von Wiens Parteichef Gratz die Ankündigung einer „Kopfwäsche“ ein, der Gesamtpartei aber verhalf sie zum Vorwurf der „Doppelstrategie“. Es sah tatsächlich sehr merkwürdig aus, als Parteichef. Kreisky bei einer Veranstaltung der Katholischen Sozialakademie das Liebeswerben um die Katholiken forcierte und dabei versicherte, er bekenne sich zum schulischen Religionsunterricht in seiner derzeitigen Form, es müsse aber möglich sein, daß „andere in der SPÖ eine andere Meinung äußern“. Denn bereits tags darauf meldeten sich die anderen zu Wort: Die Sozialistische Jugend Wiens verlangte bei ihrer Landeskonferenz in einer Resolution die „Abschaffung des Religionsunterrichts als Unterrichtsgegenstand an allen Schultypen“. Diese Wiener Resolution entsprach wortwörtlich einem Verlangen, das die Kärntner Landeskonferenz der Juso bereits am 18. September geäußert hatte.

Im kirchlichen Bereich reagierte man entsprechend sauer. Im Wiener erzbischöflichen Schulamt wurde festgestellt, „man müsse zur Kenntnis nehmen, daß führende SPÖ-Mit-glieder mit Katholiken Gespräche führen und die SPÖ als Partei gleichzeitig einen möglichen neuerlichen Konflikt vorbereitet“. Der Linzer Schulamtsleiter Scherrer meinte, das Verhalten der SPÖ zum Religionsunterricht sei gerade so, „wie wenn ein Vater mit der Versicherung verhandelt, während seine Söhne bereits zündeln“.

Kein Wunder, daß daraufhin sowohl der sozialistische Parteivorstand als auch der sozialistische Parlamentsklub in der Linzer Klausur alle Register zogen. „Vorbehaltlos“ stünde die SP zur gesetzlichen Grundlage des Religionsunterrichts, meinte Kreisky, und Sinowatz sekundierte, die ganze Diskussion sei „sinnlos“, weil der Religionsunterricht durch ein „Verfassungsgesetz und internationale Verträge abgesichert“ sei. (Und nebenbei erinnerte Sinowatz daran, wie „großzügig“ der Staat den Religionsunterricht und die katholischen Privatschulen finanziell bedenke.)

Sarkastische Kommentatoren witterten daher trotz allem abgekartetes Spiel innerhalb der SPÖ mit den aufsässigen Parteijungen, weil nur der Vorstoß der Sozialistischen Jugend den Spitzenkandidaten Gelegenheit gegeben habe, sich nicht nur in aller Öffentlichkeit zum Religionsunterricht zu bekennen, sondern auch davon zu reden, daß es mit prominenten katholischen Funktionären ständige Gesprächskontakte gebe. Doch läßt sich mit solchen Hinweisen nicht wegdiskutieren, daß die Wiener Juso der Parteispitze in die Quere kamen, weil sie durch ihren Vorstoß den Effekt des „Liebeswerbens um die Katholiken“ vor der Katholischen Sozialakademie wieder zunichte machten.

Außerdem bleibt das Unbehagen. Es ist anzunehmen, daß eine Landeskonferenz der Sozialistischen Jugend nach der anderen die Forderung nach Abschaffung des Religionsunterrichts erheben wird. Die Kärntner waren hier recht offenherzig, als sie zugaben, einer Langzeitstrategie zu folgen, die auch mit einem Ergebnis in 20 Jahren als erfolgreich angesehen wird.

Die Argumente der Wiener SJ gegen den Religionsunterricht — die Kirche sei „Steigbügelhalterin des Feudalismus und Kapitalismus“ gewesen, sie habe eine klare politische Tendenz zu allen den „Fortschritt hemmenden Kräften“ — zeigten deutlich, daß der alte Antiklerikalismus des tiefen 19. Jahrhunderts beim sozialistischen Parteinachwuchs kräftige neue Blüten treibt. Wahrscheinlich ist an der Feststellung des Pastoralsoziologen Paul Zulehner etwas dran, daß in der Sozialdemokratie bis heute das kulturkämpferische Erbe des bürgerlichen Liberalismus verwaltet werde und daher alle Fragen, um die man schon im 19. Jahrhundert gestritten habe, emeut aktuell würden.

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