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Sperrstunde bei der EG

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Ein Symposium in Venedig und das Ost-West-Zusammentreffen in Kopenhagen haben die Befürchtung bekräftigt: Die Reformländer des Ostens werden auf ihre Integration in die EG lange warten müsseh.

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Ein Symposium in Venedig und das Ost-West-Zusammentreffen in Kopenhagen haben die Befürchtung bekräftigt: Die Reformländer des Ostens werden auf ihre Integration in die EG lange warten müsseh.

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Viele namhafte Politiker und Wissenschafter nahmen am April-Symposium in Venedig teil: Der ehemalige langjährige Vorsitzende der EG-Kommission Gaston Thorn, der für Außenbeziehungen zuständige Vizepräsident Frans Andriessen, die ExAußenminister Deutschlands und Dänemarks, Hans Dietrich Genscher und Utte Ellemann-Jansen, der Minolta-Präsident Akio Miyabayashi, der ehemalige Wirtschaftsberater Gorbatschows und Jelzins, Oleg Bogomolow und viele andere.

Erörtert wurden Integrationsperspektiven in Europa; heftige Kontroversen löste aber vor allem das Problem der Eingliederung Mittel- und Osteuropas aus. Nur sehr wenige sprachen sich dafür aus, die meisten waren dagegen. Die mahnenden Worte Jansens „wenn wir die Reformländer in ihrem Kampf gegen die Wirtschaftskrise allein lassen, werden wir mit der Gefahr neuer Totalitarismen und eines Krieges konfrontiert", verhallten weitgehend unge-hört.

Die meisten Diskutanten beharrten auf ihrer Meinung: Ja zur Wirtschaftshilfe und Zusammenarbeit, nein zur Integration. Auch auch Kompromißvorschlag von Genscher, ein baldiges Assoziierungsabkommen mit Rußland und sonstigen GUS-Staaten abzuschließen, fand nur wenige Anhänger. Unbeeindruckt zeigten sich die 200Teilnehmer von den dramatischen Beschwörungen Oleg Bogomolows: „Rußland wird ohne Westhilfe außerstande sein, die Wirtschafskrise zu bewältigen und das Chaos wird auf ganz Europa übergreifen und es destabilisieren." Die Meinung überwog: Rußland sei ein allzu großes und von Kommunisten sehr lange regiertes Land, um sich auf die im Westen vorherrschenden Gegebenheiten umstellen zu können. Oder: eine Europäische Gemeinschaft mit Beteiligung Rußlands und sonstiger GUS-Staaten wäre nicht steuerbar.

Die meisten Diskutanten übten Zurückhaltung, aber auch bezüglich einer voreiligen Integration Mitteleuropas. Es war Frans Andriessen, Chefunterhändler über Assoziierungsabkommen, der vor einer voreiligen Integration Mitteleuropas warnte. Diese Länder, meinte er, werden auf eine Eingliederung in die EG noch lange warten müssen. Ihre Mitgliedschaft werde den Inhalt der Zusammenarbeit - mit Betonung auf eine zwischenstaatliche, im Gegensatz zu einer supranationalen - grundsätzlich ändern müssen. Die Integration in den anspruchsvollen Markt des Westens könnte eben ihnen, den Unerfahrenen, großen Schaden zufügen, meinte Andriessen.

Der in Venedig gewonnene Eindruck, daß nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das Interesse Westeuropas an eine engere Zusammenarbeit schwächer geworden ist, wurde im Laufe der in Kopenhagen zwischen EG, EFTA und den Reformländern geführten Gespräche bekräftigt. Vor 1996 sei mit einem Zeitplan für neue Aufnahmen nicht zu rechnen, wurde klargestellt und ein Ratschlag wurde erteilt, und zwar die engen Wirtschaftskontakte mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion wiederherzustellen.

Die Enttäuschung der Reformländer wuchs, als Brüssel, noch während in Kopenhagen die Gespräche geführt wurden, die Länder Mittel- und Osteuropas mit einem Einfuhrembargo für Nahrungsmittel belegt hatte, darunter auch diejenigen, in denen es keine Maul- und Klauenseuche gibt. Darüber hinaus wurden auch die Stahleinfuhren beschränkt.

Das Symposium von Venedig hat aber auch die Zukunftsperspektiven der EG eher skeptisch beurteilt. „Was passiert in Europa, was kommt in Bosnien vor, warum führen wir Wirtschaftskriege gegeneinander und warum steuern wir auf den Verfall der Währungsunion zu?" fragte Gaston Thorn.

Pessimistischer äußerte sich Frans Andriessen: „1992 sollte ein Ruhmesblatt aufschlagen, aber anstatt der erhofften Einheit strebt jedes Mitgliedsland auf eigene Faust einen Ausweg aus der Krise an, ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft nehmen zu wollen."

Dem Aufruf des britischen EG-Kommissars Sir Leon Brittan, von protektionistischen Vorkehrungen gegen O steuropa Abstand zu nehmen, wurde ebenso wenig Aufmerksamkeit geschenkt wie dem auf der am 10. Mai in Slowenien auf der Publizisten-Tagung vorgebrachten Vorschlag Erhard Buseks, so rasch wie möglich eine Konföderation sämtlicher Länder Europas zuwege zu bringen. Der Autor ist Publizist in Wien.

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