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Unruhige suchen!

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Vor 50 Jahren trennten Österreichs katholische Farbstudenten sich vom Deutschen CV und gründeten einen österreichischen Cartellverband. 50 Jahre ÖCV wird dieser Tage gefeiert, dazu 100 Jahre Norica und die ÖCV-Ver- sammlung. Auf eine große Dialogkonferenz ,,Der rationierte Mensch” wird die FURCHE noch zurückkommen.

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Vor 50 Jahren trennten Österreichs katholische Farbstudenten sich vom Deutschen CV und gründeten einen österreichischen Cartellverband. 50 Jahre ÖCV wird dieser Tage gefeiert, dazu 100 Jahre Norica und die ÖCV-Ver- sammlung. Auf eine große Dialogkonferenz ,,Der rationierte Mensch” wird die FURCHE noch zurückkommen.

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In Orwells Roman „1984” heißt es: „Die Menschen konnte man ganz leicht dazu bringen, offenkundige Vergewaltigungen der Wirklichkeit hinzunehmen, da sie… überhaupt nicht an politischen Fragen interessiert waren, um zu merken, was gespielt wurde. Dank ihrer Unfähigkeit zu begreifen, blieben sie ganz unbeschadet.”

Befinden wir uns bereits mitten in diesem Prozeß?

Wir erleben heute den Auszug vieler — nicht nur junger — Menschen aus dem gesellschaftlichen System, das für sie undurchschaubar geworden ist. Die vom

Fortschrittsoptimismus getragene Verheißung, durch die Technik allmächtig und durch die Wissenschaft allwissend zu werden, hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Ub- riggeblieben sind Bedrohungen, Angst und Ratlosigkeit; die „große Verweigerung”, einst von Marcuse gepredigt, findet heute ihre Jünger in allen gesellschaftlichen Gruppierungen und Schichten

Auch sind heute Verbindungen für viele nicht sehr attraktiv. Statistiker bescheiden sich damit, daß die Zahl der Mitglieder im C V stagniere; doch tatsächlich ist unser Anteil, gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden, stark rückläufig.

Ich will nicht die Gründe dafür untersuchen, sondern lediglich die Frage stellen, ob wir für die geistig Regsamen, die Originellen, die vorwärtsstrebenden Unruhigen, die jungen Menschen mit Zivilcourage keinen Platz in unserer Herberge haben.

Wenn wir uns die Aufbruchstimmung in Erinnerung rufen, die vor 10,15 Jahren als Folge der Studentenbewegung auch den CV erfaßte, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Heute ist der geistige Prozeß, der damals stattfand, nur noch historische Reminiszenz.

Damals wurde die Bildungsakademie installiert — mit dem Anspruch, für die notwendige gesellschaftspolitische Diskussion argumentativ gewappnet zu sein, offensiv unsere fundamentalen Anliegen zu vertreten.

Vor und während der Phase der Studentenbewegung war der CV anerkannt darum bemüht, die ge sellschaftlichen Problemstellungen inhaltlich abzudecken und perspektivisch aufzuarbeiten. Im Zuge der Ereignisse auf Hochschulboden wurde die Demokratiediskussion gestartet, wurde um Freiheits- und Gleichheitsbegriffe gerungen, um veränderte Verhältnisse in den Griff zu bekommen.

Die Tage der Studentenbewe gung haben den Verband verunsichert, doch die offensichtlich inhärente Statik des CV nicht wesentlich erschüttert. Der folgende Rückschlag hat jedoch die heilsame Unruhe durch subtile und manifeste Disziplinierungen erstickt. Heute jedenfalls sind die Unruhigen nicht unter uns. Und dies müßte uns beunruhigen!

Freiheit konkret auszuüben, wird zusehends schwieriger. Der Verzicht, Freiheit konkret zu machen, wird gegenwärtig nicht nur von Sensiblen als bedrückende Realität empfunden. Es ist daher erfreulich, daß sich der Vorort (Norica) dieser Problematik angenommen und die „rationierte Freiheit” zum Analyseobjekt erklärt hat.

Es bleibt abzuwarten, ob die gewonnenen Einsichten in einer Broschüre verschwinden, oder ob sie in einem Handlungsprogramm umgesetzt werden.

Die Norica als intellektueller Vorreiter — das müßte der Vorsatz für deren 100. Jubiläumsjahr sein. Dieser Vorsatz könnte sich etwa auswirken in einer auf hohem Niveau geführten Auseinandersetzung mit den realen Gefahren des Sozialismus in Österreich und dem realen Sozialismus im Osten.

Diese Auseinandersetzung mit Härte zu führen, kann aber weder Primitivverteufelung jener bedeuten, die sich zum Sozialismus bekennen, noch mit Vulgärargumentation auf Erfolge hoffen …

Der Verfasser, heute Büroleiter des ÖVP- Obmanns, hatte in der beschriebenen Periode führende Norica- und hochschulpolitische Funktionen inne.

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