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Viele Parallelen - dennoch aber kein Konsens

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Österreich hat die Kinder entdeckt. Nach der umschwärmten Jugend und den isolierten Senioren liegt nun den großen Parteien, die frühkindliche Erziehung besonders am Herzen. Spät, aber doch. Die Wiener ÖVP begann im Juni 1977 mit einer Enquete über die „Kinder in der Großstadt“ und in der Vorwoche gab es eine vom SPÖ-Bundesfrauenkom- mitee über „Das Kind im Vorschulalter“. Resümee aus beiden, vor allem von Experten getragenen, Veranstaltungen: „Wie sich die Bilder gleichen …“

Da sprach Prof. Waldemar Feiner aus Linz von der „Berücksichtigung der Spielbedürfnisse des Kindes im Wohnbau und bei der Gestaltung von Spielplätzen“ (ÖVP-Enquete) und Dozent Dr. Hans Czermak davon, daß das Kind heute „in seiner Bewegung be-

sonders durch den Wohnbau und die Gestaltung der Spielplätze gestört“ sei (SPÖ-Enquete).

Da sprach im Juni Prof. Dr. Th. Hell- brugge aus München von den negativen Einflüssen der „zunehmenden außerhäuslichen Berufstätigkeit der Mütter“, die zu „Aggressivität, Provokation und sozialer Kontaktarmut“ führen, und in der Vorwoche wies Dr. Hans Czermak darauf hin, daß 98 von 100 Frauen ihr Kind selbst stillen könnten, viele von ihnen aber darauf verzichten und damit psychische

Schäden beim Kind verursachen, die auf Grund des „Defizits an mütterlicher Wärme einer der tiefsten Gründe für die Feindseligkeit der Menschen untereinander sind“.

Da sprach Prof. Feiner von der Notwendigkeit einer Eltern-Erziehung und Wissenschaftsminister Hertha Firnberg hob hervor, daß „heute alles gelehrt“ wird, „nur bei der Kleinkindererziehung rechnet man mit der Naturbegabung der Eltern“ und daß daher der „Informationsstand der Eltern über Erziehungsfragen sehr gering“ sei.

Der Ruf nach Kreativität in der Erziehung kam von Prof. Ferner ebenso wie von Prof. Frederick Mayer bei der SPÖ-Enquete.

Und der Satz: „Wir sind fest davon überzeugt, daß die Erziehung und

Förderung des Kindes in seinen ersten drei Lebensjahren vorwiegend Aufgabe der Familie ist und bleiben soll“ (Wiener Kinderfreunde) dürfte bei der ÖVP wohl ebenfalls auf Zustimmung stoßen.

Warum also ist bisher ein Konsens in der Familienpolitik nicht möglich gewesen? „Die Familie steht im Mittelpunkt der sozialistischen Politik“ betonte Herta Fimberg bei der SPÖ-En- quete. Da, wie sie weiter sagte, „das Kind und sein Wohl immer im Vordergrund stehen müssen“ und sich auch hier die Interessen der beiden Großparteien decken, müßte ein „Stück gemeinsamer Weg“ möglich, dürfte politische Mimosität auf keiner Seite ein Hindernis sein.

Es gab aber auch Übereinstimmungen, die nachdenklich stimmen. Warum weisen die Politiker auf diese schon lange bekannten Experten-Er- kenntnisse gerade oder erst jetzt so nachdrücklich hin? Sollte es da einen Zusammenhang geben mit der derzeitigen Arbeitsmarktsituation, um die Frau - zumindest für die ersten Lebensjahre des Kindes - vom Kampf um den Arbeitsplatz femzuhalten? Welche Experten werden wohl im Falle einer - von allen erhofften - Hochkonjunktur die Frauen von der Kindererziehung weg wieder ins Berufsleben rufen?

Eine von der Frauenbewegung der ÖVP im Frühjahr veranstaltete Enquete über den Wiedereinstieg der Frau in den Beruf hat ergeben, daß eine qualifizierte Berufslaufbahn, eine richtige Karriere, für Frauen nach mehljähriger Unterbrechung nur in Einzelfallen möglich ist. Von diesem Dilemma war weder bei der Veranstaltung der ÖVP im Jum noch bei der vom SPÖ-Bundesfrauenkommitee in der Vorwoche die Rede. Es drängt sich jedoch die Frage auf, warum die Entscheidung zwischen Kind und Karriere immer nur die der Frau sein muß. Experten haben nachgewiesen, daß spätestens nach dem ersten Lebensjahr des Kindes die so wichtige Bezugsperson auch der Vater sein kann. Im Sinne der im Gesetz bereits verankerten Partnerschaft könnte diese - ebenfalls wissenschaftliche - Erkenntnis im Zuge der Entdeckung des Kleinkindes von beiden Parteien in gleicher Weise hervorgehoben werden.

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