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Vor Technik wird gewarnt

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Ein Lehrer am City College in New York hat dieses Riesenwerk geschrieben und in einem vorangestellten Prolog sein Anliegen erläutert: Die heute übliche Überbetonung alles Technischen führe notwendigerweise zu einer Vernachlässigung der viel wesentlicheren Persönlichkeitsbildung, was den Menschen in Ge fahr bringe, zu einem „formlosen, amöboiden Nicht-Wesen“ herabzusinken. Mit der modernen Technik, die übrigens kein so neues Phänomen sei, wie man meine, drohe sich im gegenwärtigen planetarischen Zeitalter zu wiederholen, was einst in Ägypten, China, Persien, bei den Azteken, erschreckende Wirklichkeit geworden ist: Geistige Verarmung des Menschen auf Grund schrankenloser Hingabe an eine Idee, die überall dieselbe war. Mumford nennt sie die „Megamaschine". Ihr werde heute wieder, wie einst, die Menschheit rücksichtlos auf geopfert. Waren es Im Pyramidenzeltalter riesige Grabmäler, die eine wahnwitzige Elite in ebenfalls wahnwitzigen Ausmaßen einer wehrlos gemachten Bevölkerung auszuführen befahl, so sind es heute die nicht weniger verrückten, aufwendigen und teueren Weltraumraketen, jenen statischen genau entsprechende dynamische Großbauten, deren Erzeugung man als das Menschheitsziel schlechthin hinstellen möchte. Die überall auftretenden „zivilisierten“ Greueltaten aber werden bereits als selbstverständlich hingenommen; sie werden den bisherigen Begriff des Mensch lichen zum Verschwinden bringen, der maßlose Fortschritt der techni- ‘ sehen Kultur wird mit einem ebenso maßlosen sozialen Rückschritt bezahlt werden müssen, sofern man sich nicht entschließen wird, den Lauf der Technik aufzuhalten, oder doch in eine andere Richtung zu lenken.

Diese These sucht der Autor auf den folgenden 800 Seiten durch einen vergleichenden Blick ä lav Spengler auf die Weltgeschichte zu stützen, ein Blick, der den wahrscheinlichen Verlauf der zukünftigen Geschichte ahnen lassen soll.

Die Megamaschine, was ist sie? Ein unsichtbares Gebilde, aus lebenden stabilen menschlichen Teilen gemacht, eine riesige kollektive Organisation. Nur Gottkönige können diese Maschine bedienen. Sie haben zu allen Zeiten übernatürliche Leistungen aus ihr herausgeholt Die Maschine hat zerstörende und aufbauende Aspekte Durch sie wurde die arbeitssparende Maschine selbst erfunden, wurden die kolossalen Errungenschaften früherer Zivilisationen ermöglicht, die ihrerseits Sklaverei und Vergeudung brauchten. Diese Maschine ist heute schon wieder Hauptlast der Zivilisation. Auch heute wieder sind die Gott- könige, die über sie gebieten, wahnsinnig; sie träumen von absoluter Macht, und Hitler, Mussolini, Lenin, Stalin, Mao sind so machtbesessen wie die Pharaonen, wie Ludwig XIV., Peter der Große. Daher baut sich immer wieder durch die machtbesessenen Kräfte ihres Absolutismus, des Militarismus, Bürokratismus und Kapitalismus, der Mythos dieser Maschine auf.

Dieser Mythos muß entkräftet, die Megamaschine demontiert werden. Schon im alten Ägypten gab es Revolten gegen die Megamaschine. Auch wir müssen Stimmung machen gegen sie, gegen die Maschinenbesessenheit unserer Zeit, müssen uns wehren gegen die totalitären Ansprüche der Technik, Sie hat uns den Fluch der Arbeit gebracht und muß einer demokratischen Technik weichen, die lange Jahrhunderte hindurch persönlichkeitsbildend gewirkt hat. Denn, ungleich mörderischer noch als der Aztekenkult, ist der Kult des Sonnengottes in seiner letzten wissenschaftlich-technischen Gestalt ebenso barbarisch und irrational wie iener. Nur drücken die Priester des

Pentagons und des Kremls auf einen Knopf, wo die Aztekenpriester den Bauch ihres Opfers persönlich aufschlitzten. Der Komplex der Megamaschine übe in Amerika wie in Rußland totale Macht aus. Die Elite ernähre sich wie einst aus den Brandopfern, die auf den Altären des neuen Sonengottes dargebracht werden. Und für die Übrigen ist der mögliche Tod im Raumfahrzeug Nervenkitzel.

Der Autor ist trotz allem optimistisch. Die Supermaschine wird sich auflösen. Das ist sein Glaube. Dazu wird ein neuer Mensch empfohlen, oder besser: der alte Adam. Aber bedarf’s dieser Empfehlung? Wohnen nicht zwei Seelen ohnedies in unserer Brust? Sind wir nicht heute machtbesessen und morgen milde gestimmt? Werden wir, die wir „Entpersönlichung durch Persönlichkeitsbildung“ ersetzen sollen, dies dadurch erreichen können, daß wir Mumfords Rat befolgen, unsem Beruf zu wechseln, den wir als Sklaverei empfinden? Bin Job pflegt doch noch persönlichkeitsbildend zu wirken. Und wer kann es sich denn leisten, Schreiben mit Gartenarbeit zu kombinieren, wie es der Autor tut? Solche Ratschläge werden nichts dazu beitragen, die Megatechnik in Biotechnik umzuwandeln, aus Macht Fülle, und aus Überfluß qualitativen Reichtum, zu machen, so erstrebenswert das auch wäre. Durch Bücher, insbesondere durch optimistische, geschieht überhaupt nichts. Bücher sind — und das gilt selbst für die Bibel — entweder Berichte von vollendeten Taten, oder Träume von solchen. Dabei sind die Bücher, die uns den Untergang prophezeihen, dm Vorteil vor jenen, die uns die Mühen eines neuen Anfangs und Aufstiegs schildern. Uns die Anstrengungen, die wir machen müssen, um gerettet zu sein, durch seine wahrhaft gigantische Arbeit vor Augen geführt zu haben, müssen wir dem Autor danken. Aber auf 850 Seiten, die wir dafür lesen müssen, wird uns diese Anerkennung selbst zur Anstrengung. Lejder. Ob nicht weniger mehr gewesen wäre?

„MYlHOS DER MASCHINE“,

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