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Christlicher Humanismus in der Gegenwart

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Haben' wir Zeit, über Humanismus zu reden? Heute, da es gilt, aus Trümmern eine neue Welt christliche! Ordnung aufzubauen; heute, da grundlegendere Dinge in Frage stehen als entlegene Kulturprobleme; und vor allem heute, da die Welt wahrlich kein humanistisches, ja weithin kaum ein humanes Gepräge trägt? Was liegt ihr ferner als Humanismus? Wo ist heute das klassische Gesetz der Mitte, wonach in Maß und Zucht und Form das Wahre, Gute, Schöne sichtbar wird? Solche Normen sind längst durchbrochen und scheinen weggefegt im Wirbel entbundener Kräfte. Oft ist es fast, als würden Maßlosigkeit und Zuchtlosigkeit und Formlosigkeit zum Gesetz erhoben, zum Gesetz aber, das den Untergang des Wahren, Guten, Schönen bedeutet und damit den Untergang aller geistigen Werte des Menschen und so den Untergang jeglicher Kultur. Sollen wir da von Humanismus reden?

Und doch geht aller Wirrnis der Zeit zum Trotz gerade heute deutlich vernehmbar ein Ruf nach Humanismus durch die Welt, ja noch mehr: ein Ruf nach christlichem Humanismus.

Welchen Sinn hat es aber, wenn in der Gegenwart von neuem dieser Ruf ergeht? Beginnen wir beim Humanismus der bloßen Form, so bemerken wir deutlich schon seit Jahren eine stärkere Anlehnung an die Antike, als dies von den Jahrzehnten da/or galt. Die exzentrischen Formen, in welchen Expressionismus und andere subjektivistische Stilrichtungen schwelgten, scheinen allmählich zurückzutreten und man kehrt wieder mehr zur objektiven Schönheit klassischer Formen zurück. Am deutlichsten wohl in der Dichtung: Denken wir etwa an Weinhebers Pflege des antiken Vers-und Strophenbaus oder an Jüngers streng abgewogene Prosadichtung oder endlich noch an Carossas Goethe-Nachahmung. In ähnlicher Weise fand sich im Deutschland der vergangenen Jahre ebenso wie im faschistischen Italien in der Baukunst eine gewisse Anlehnung an die Antike, sicher in Verbindung mit imperialistischen Gedanken, die eine Erneuerung der römischen Reichsidee brachten.

Bei allderp kann man sich jedoch des Eindrucks der Unechtheit oft nicht erwehren. Teils empfindet man solchen Klassizismus als Flucht vor einer zutiefst unklassischen Wirklichkeit, teils — und das ist noch schlimmer — als Maske äußerer Schönheit, hinter der sich eine Geistigkeit verbirgt, die vom Ideal des Humanismus unendlich weit entfernt ist. Wer das durchschaut, fühlt um so schärfer den schreienden Widerspruch zwischen Inhalt und Form; er erkennt, daß solche Formen allein noch keine echte Erneuerung der Antike, viel weniger aber den Anfang einer gesunden Kulturentfaltung bringen können.

Die Besinnung muß auf einer höheren Ebene, im Bereich des menschlichen Ethos erfolgen. Erst muß der Mensch gesunden, muß sein Wesen und seinen Wert wiederfinden, bevor er Werke echter Kultur zu schaffen vermag. Das ist der Humanismus, der uns nottut. Und er bedeutet nichts anderes, als daß wir den Menschen wieder von Gott her sehen lernen. Denn dort allein ist Wesen und Wert des Menschentums begründet. Von dort losgerissen, fällt es, wie die Gechichte zeigt, notwendig der Nichtigkeit anheim.

Das Letzte aber und Tiefste, was wir vom Menschen wissen, ist aas Wort von der „Imago Dei“: Der Mensch ist Gottes Ebenbild. Dieses Wort hat einen dreifachen Sinn, welcher dem dreifachen Sinn des humanistischen Ethos entspricht.

Zuerst ist es das Schöpferwort vor aller Zeit: „Laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis!“ (Gen. 1, 26.) Und Gott beugt sich zur Erde nieder und schreibt mit seinem Finger in den Sand. Er zeichnet mit göttlicher Künstlerhand sein Abbild in den Staub der Erde und prägt ihm seine Züge auf: das ist der Mensch. Hier liegt seine Würde und zugleich seine Grenze, daß er Gottes Bild, aber nur Gottes Bild ist.

Darum hat jeder echte Humanismus — als Pflege wahren Menschentums — nur dann Berechtigung, wenn er den Menschen in seiner Ebenbildlichkeit Gottes bejaht und zur Entfaltung bringt. Wk soll dies aber geschehen? Auf zweifache Weise hat es die Menschheit versucht. .

Das erste Wort von der „Imago Dei“ erfährt eine dämonische Verkehrun, in einem anderen Wort, da einst die Paradiesesschlange gesprochen hat: „Jhr werdet sein wie Gott.“ (Gen. 3, 5.) Und der Mensch greift nach der verbotenen Frucht. Das Ebenbild lehnt sich gegen das Urbild auf, die Ähnlichkeit des Bildes maßt sich Gleichheit an. So wird das Bild zur Fratze mit entstellten, verzerrten Zügen: Fratze Gottes und zugleich Fratze des Menschen selbst.

Wird dies nicht in erschreckendster Weise verwirklicht von einem Humanismus des Nur-Menschlichen. der den Menschen auf den Thron erheben will, welcher Gott allein gebührt? So verneint er im Grunde des Menschen innerstes Wesen und zerstört dadurch seinen Wert und seine Würde.

Um aber m uns das Bild Gottes wiederherzustellen und zu vollenden, dazu ist in der Fülle der Zeiten Mensch geworden Er, „der da ist das Bild des unsichtbaren Gottes.“ (Kol. 1, 5.) Das ist das dritte Wort von der „Imago Dei“. Hier in der Menschwerdung des Gottessohnes findet die göttliche Schöpfertat erst ihre letzte Erfüllung. „Die Erschaffung des Menschen ,ad ima-ginem Dei' erscheint uns daher als die Stufe am Altar, die Vorhalle zum Heiligtum der Menschwerdung“ (Bauhofer). Die Ausprägung der Ebenbildlichkeit Gottes, wie sie durch die Erschaffung geschehen ist, soll auch an uns erst zur Vollendung kommen, indem wir Anteil erhalten am gottmenschlichen Leben, so daß an unserem Antlitz aufleuchten die Züge dessen, „der da ist das Bild des unsichtbaren Gottes“. Je mehr die neue übernatürliche Wirklichkeit unser Leben formend durchdringt, um so mehr erfüllen wir die Mahnung des Apostels: „Estote imitatores Dei!“ (Eph. 5, 1) — seid immer mehr „Imago Dei“, immer reineres Bild des unsichtbaren Gottes. Zugleich aber erfüllt sich dann erst, an uns in immer höherem Maße das eigentlicnste, tiefste und geheimnisvollste Wesen des Menschen, Bild Gottes zu sein.

In diesem Sinn ergeht der Ruf nach christlichem Humanismus in der gegenwärtigen Stunde. Gerade das Problem „Natur und Gnade“ steht heute im Mittelpunkt theologischen und religiösen Denkens. Das alte Wort „gratia supponit naturam“ wird oft ausgesprochen und gedeutet; ja es bekommt häufig einen besonderen zeitbedingten Akzent, der geschichtlich zu verstehen ist. Dem naturalistischen Geist der Neuzeit steht als Reaktion des Christlichen ein Supranaturalistisches Denken gegenüber. Im Luthertum, Calvinismus und später im Jansenismus wurde es zur Häresie. Aber der Einfluß seiner Naturfeindlichkeit machte sich lange Zeit auch innerhalb der Kirche vor allem praktisch geltend. Manche Enge etwa in Erziehungsmethoden bis in unsere Zeit hat dort ihren Ursprung.

Demgegenüber wird heute wieder mehr das Natürliche hervorgehoben. Erst müsse man Mensch sein, um dann Christ zu sein — so heißt es immer wieder. Betonung echten Menschentums und der natürlichen Tugenden, eindringliche Forderung eines „weltzugcwandten Christentums“; „Christliche Weltverantwortung“ (Robert Scherer), „Heimholung der Welt“ (Oskar Bauhof er), „Priester in der Welt“ (Josef Sellmair) und viele ähnliche Buchtitel — dies alles weist deutlich genug in eine Richtung. Die Stellung des Christen in der Welt ist die Frage, um die es hier geht.

Dazu kommt das Verlangen nach wesenseigener Laienaszetik, wonach nicht wie in der Vergangenheit der Laie als Christ minderer Ordnung neben dem Priester und Ordensmann erscheint. Mit dem Reifen des neuzeitlichen Menschen ist nun auch das christliche Laientum herangereift zum Bewußtsein eigenen Wertes und eigener Sendung in Kirche und Welt. Ja, es ist auffallend, wie sehr das neuerwachende christliche Leben der Gegenwart gerade vom Laien getragen ist; daher auch das starke Hervortreten der Gedanken des allgemeinen Priestertums und des Laienapostolates.

Das alles liegt auf einer Linie und gibt den Anlaß zu neuer Sicht und neuer Wertung des Welthaft-Natürlichen innerhalb des Christlichen. Der ganze Rausch neuzeitlicher Weltsucht, die mit dem Humanismus begonnen hat, lebt in christlicher Verklärung wieder auf. Denken wir da an die Werke Paul Claudels, dieses tief christlichen Laien und größten katholischen Dichters unserer Zeit. Von ihm sagt Balthasar: „Claudel ist weltsüchtig, wie es vor ihm noch nie ein Christ gewesen ist, sondern nur Heiden. Aber Claudel ist weltsüchtig, weil er Christ ist.“ Das Problem, das die Dichtung Claudels innerlich durchformt, ist wohl das Grundproblem heutigen christlichen Bewußtseins: „Wie es möglich sei, ganz weltlich und ganz gottgehörig zugleich zu sein. Wie der unaufhebbare Ruf des Menschen zur Welt und zu ihrer Einheit verträglich wird mit dem Ruf Gottes zum Kreuz und zur Flamme“ (Balthasar).

Einst hatte Nietzsches Zarathustra ausgerufen: „Brüder, ich beschwöre euch, bleibt mir der Erde treu!“ Heute tragt der Christ: „Warum sollte es nicht möglich sein, der Erde treu zu bleiben, ohne von Gott abzufallen?“ (Scherer.) Und er sieht seine tiefste Aufgabe darin, die Welt von Gott her zu bejahen, im erkennenden und liebenden Umfangen alles Irdischen das

Schöpferwort Gotte*. nadizusprechen und das All zu Gott zurückzutragen in jubelndem Gotteslob.

Das ist der Sinn, wenn Claudel in der letzten seiner „Fünf großen Oden“ sagt: „Mein Begehr ist, Versammler der Erde Gottes zu sein.“ Oder wenn der jugendlich-leidenschaftliche Dichter Reinhard Johannes Sorge als Motto über sein Lebenswerk setzt: „Ich will die Welt auf meine Schultern nehmen und sie mit Lobgesang zur Sonne tragen.“

Das alles ist christlicher Humanismus, wobei das Wort Humanismus den Sinn des Ethos hat: Pflege des Voll-Menschlichen, eine Haltung, welche die Gesamt-wirklichkeit, in der wir stehen, umspannen will, Gott und Welt, Natur und Gnade.

Aber gehört dies nicht schon der Vergangenheit an? Hat nicht inzwischen ein jahrelanger Krieg blutig und vernichtend in unseren Ländern gewütet? Ist nicht durch die Schrecknisse der Zeit der Glaube an das Menschentum längst zerstört? Gewiß ist der nur-menschliche Humanismus einer liberalen Zeit zusammengebrochen. Außerhalb des Christlichen ist kein Raum mehr für echtes Menschentum. Aber der Christ unserer Tage weiß immer noch und heute erst recht, daß allein diese Haltung das Abendland erneuern und wahre Kultur gestalten kann. Dies zeigt sehr deutlich die allerjüngste Geistigkeit De; starke Wille zu christlicher Kultur und christlichem Humanismus tritt immer neu eindringlich fordernd in Wort und Schrift hervor. Dabei soll freilich nicht geleugnet werden, daß sich da und dort unverkennbare Züge eines Naturalismus zeigen, auch innerhalb des Christlichen. Man könnte das an vielen Beispielen aus dem praktischen Bereich des christlichen Lebens und der seelsorglichen Arbeit zeigen. Diese Gefahr klar zu sehen, ist von großer Wichtigkeit. Nur so kann sie überwunden werden und sie muß überwunden werden, soll ein christlicher Humanismus die Zukunft gestalten.

Doch bleibt es auch hier nicht im inneren Bereich des Ethos. Auch der Humanismus als Stilform erhält von da her wieder Leben. Denn im abendländischen Kulturraum gilt für das natürliche Menschenbild immer noch das Klassische als Norm. Ja, es wurde in diesem Sinn in unserer Zeit wieder neu entdeckt. Als Beispiel — eines unter vielen — kann das bekannte Buch von Theodor Haecker dienen „Vergil, Vater des Abendlandes“ und noch mehr die geradezu begeisterte Aufnahme, die es in katholischen, geistig regsamen Kreisen fand. Oder ein anderes Beispiel: Paul Claudels Dichtung ist sicher vom Klassizismus der Form unendlich weit entfernt. Um so mehr hat es zu sagen, wenn er sein großes Drama „Soulier de satin“ in der Welt der Renaissance spielen läßt. Christliche Weltsucht in ihrer ganzen Weite, Kraft und Freude, aber auch ihrer ganzen Fragwürdigkeit kommt in diesem Werk gewaltig zum Ausdruck. Und dafür dient die Renaissance als beste symbolische Gewandung.

So ist denn heute ein Humanismus im Werden, nicht nur als Ethos sondern auch als Form; dies Zweite aber durchaus vom ersten her. Die Form kann wohl dazu dienen, dem Ethos Ausdruck zu verleihen, in sich aber ist sie von untergeordnetem Rang. Das gilt im Grund“ von jedem Stil und von jeder Kultur. Darum wird- auch das, was vom Humanismus unserer Tage in die Zukunft weiterwirken soll, allein das Ethos sein, mag es sich schließlich in klassische oder andere Formen kleiden.

Ein Werk des französischen christlichen Philosophen Jacques Maritain kam in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Zukunft der Christenheit“ heraus. Das französische Original aber trägt den bezeichnenden Namen „Humanisme integral*'. Oberserzen wir dieses Wort mk

„Vollhumanismus“ oder Kultur des Voll-Menschentums im Sinne der natürlichen und gnadenhaften Gesamtwirklichkeit des Menschen, so haben wir das, was die Zukunft der Christenheit fordert: die Zukunft als letzte Synthese von Mittelalter und Neuzeit, als letzte Ausreifung der christlich-abendländischen Kultur.

Das Mittelalter war gekennzeichnet durch seine naiv theozentrische Jenseitigkeit, durch Vorherrschaft der Übernatur und Unmündigkeit der Natur. Die Neuzeit bildet dazu die schärfste Antithese mit ihrer reflex anthropozentrischen Diesseitigkeit und Alleinherrschajt einer mündig gewordenen Natur. Soll daraus die Synthese erwachsen, welche die wahren Werte der beiden vereint und vollendet, so müssen die natürlichen Wertordnungen in ihrer Eigengesetzlichkeit, die ihnen die Neuzeit errungen hat, in voller Geltung bleiben. Trotzdem aber muß wieder die Verankerung der ganzen Kultur im Jenseits vollzogen und der Übernatur Raum gegeben werden.

Es ist also — nochmals mit dem Worte Maritains — ein „integraler Humanismus“ gefordert, ein Humanismus, der kein Dimension des Menschseins verkürzt, aucK nicht und vor allem nicht die Dimensio auf Gott zu. Ein Humanismus also, der die ganze Weite der Wirklichkeit umfange kann, weil er in der Weite Gottes steht und zum theozentrischen Humanismus geworde ist. Nur dann findet der Mensch sein Wesea und seinen wahren Wert; nur dann wird er befähigt sein, eine neue gesunde Lebensordnung aufzubauen und echte Kultur za gestalten. Dann und nur dann wird das Abendland in seinen höchsten Werten zu neuem Leben erwachen, vielleicht gerade noch zur rechten Zeit, um diese Werte mit reinen Händen weiterzugeben an andere Völker, wenn für sie die Stunde der Berufung schlägt.

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