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Auf Johnsons Ranch
Einen besonders schwierigen Start hatte Erhard in Washington. Es spricht viel dafür, daß der ermordete Präsident Kennedy für Erhard große Sympathien empfand. Die Vorbereitungen, die für seinen Besuch in Washington getroffen waren, lassen einen solchen Schluß zu. Der plötzliche Tod Kennedys war daher für Erhard ein großes Problem. Sein Besuch auf der Ranch des neuen Präsidenten Johnson und die betont herzliche Atmosphäre dabei hat diese Enttäuschung nicht ganz wettmachen können. Johnson wird im Wahlkampfjahr 1964 für die Außenpolitik mehr ausfallen, als es Kennedy getan hätte, dessen Wahl kaum gefährdet gewesen wäre. Zwar hat das Verhalten Johnsons beim Be-: such gezeigt, daß er an der deutschamerikanischen Freundschaft sehr interessiert ist, wieweit aber Erhard in Johnson einen Partner finden wird, zu dem sich ein ähnlich enges
Vertrauensverhältnis finden lassen wird, wie es zwischen Konrad Adenauer und Foster Dulles bestanden hat, das wird sich frühestens in einem Jahr sagen lassen. Erhard rechnete sichtlich mit einem engen Zusammenspiel mit Kennedy. Diese Tatsache darf nicht übersehen werden, wenn man seine außenpolitischen Bemühungen beurteilen will. Durch den Ausfall Kennedys ist er mehr auf seine europäischen Partner angewiesen, als er wahrscheinlich gerechnet hat.
Damit gewinnt aber auch die englisch-französische Verstimmung für ihn an Bedeutung. Unter diesem Eindruck stand Erhards Londoner Besuch im Jänner 1964. Erhard wurde mit betonter Herzlichkeit empfangen. Sein Auftreten war sicher und gewandt. Wie schon erwähnt, hat er es aber geschickt vermieden, in Frankreich Verstimmung über eine allzu enge Verbrüderung hervorzurufen. Zweifel, die über seine in Paris angekündigte neue Europainitiative in London aufgetaucht waren, konnte er zerstreuen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese noch auf Kennedys Europapläne abgestimmt waren, so daß ihnen jetzt etwas die Grundlage fehlt.
Von Kennedy kommend hätte es Erhard sicher leichter gehabt. So muß er zwischen den beiden befreundeten Mächten lavieren und einen Ausgleich finden, wo der Gegensatz spürbar vorhanden ist. England und Frankreich würden Erhard nicht ungern auf ihre Linie festlegen. Aber der neue Kanzler scheint zu wissen, daß er damit nicht nur seine Beweglichkeit einbüßen würde, sondern sich auch von seinem eigentlichen Ziel, in der Deutschlandfrage voranzukommen, entfernen würde. So muß er notgedrungen mit allen drei westlichen Verbündeten das Spiel einer Freundschaft auf Distanz spielen.
Vertrauen zu erwerben und sich doch nicht zu binden, ist eine der schwierigsten Verhaltensweisen in der Diplomatie, insbesondere für ein Land, das so leicht Mißtrauen erregt wie Deutschland. Erhard hat dadurch — wahrscheinlich durch Kennedys Tod — mehr Bewegungsfreiheit erhalten, als Adenauer seit langem besaß. Das ist für jemand, der in der Außenpolitik debütiert, keine ganz leichte Situation. Sein Wille, diese Bewegungsfreiheit zu nutzen, hat sich bereits in der Passierscheinfrage gezeigt, wo er über alle parteipolitischen Rücksichten hinweg Verhandlungen und schließlich ein Abkommen gedeckt hat' gegen das sich immer stärkere Widerstände in den eigenen Reihen zeigen. Die wieder unter größter Geheimhaltung angefangenen Verhandlungen zeigen, daß Erhard sich von dem Geraune nur wenig beeindrucken läßt. Hierbei zeigt sich, daß das, was viele für eine Schwäche des Kabinetts Erhard gehalten haben, in Wirklichkeit seine ganz besondere Stärke ausmacht: Die Tatsache, daß Erhard mit seiner Politik in allen Parteien Sympathien hat, macht ihn von seiner eigenen, zum Teil in eingefahrenen Geleisen verharrenden Fraktion weitgehend unabhängig. Noch deutlicher als in der Außenpolitik zeigt sich das auf dem Feld der Innenpolitik, auf dem Erhard kein leichtes Erbe angetreten hat.
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