Das Rütteln am freien Sonntag

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Eigentlich schien es mehr ein "protestantisches“, denn ein "katholisches Anliegen zu sein: Wen es noch vor wenigen Jahrzehnten am Sonntag etwa in ein schottisches Städtchen verschlug, der fand dort nicht einmal das Gasthaus geöffnet - alle, wirklich alle hielten den Tag als Ruhetag ein. Zur gleichen Zeit waren auch im katholischen Italien die Sonntagsmessen voll, kleine Geschäfte wie Restaurants hingegen hatten auch am Tag des Herrn durchaus Betrieb.

Was einst also durchaus als Unterscheidungsmerkmal zwischen protestantischer "Gesetzestreue“ und katholischer "Lebensfreude“ herhielt, hat sich längst zu einem gemeinsamen, auch kirchlichen Anliegen gewandelt.

Zivilgesellschaftliche Allianzen

Am 20. Juni wurde in Brüssel eine "Europäische Allianz für den arbeitsfreien Sonntag“ gegründet, die wesentlich von katholischen und evangelischen Christen (im Verein vor allem mit Gewerkschaften) getragen ist und auch von den Kirchenleitungen gestützt wird. In Österreich gibt es eine entsprechende Allianz ja schon seit Längerem, bei der Gründungstagung des europäischen Pendants wurde Österreich explizit als Paradebeispiel für das gesellschaftliche wie politische Lobbying in dieser Frage gewürdigt.

Zufall oder nicht: Just dieser Tage ist auch hierzulande wieder einmal die Forderung laut geworden, auch am Sonntag den Konsumenten im Lande ein richtiges Shopping-Erlebnis zu ermöglichen. Es mag typisch für die Diskussionskultur sein, dass das Thema vom Kasperl der Nation losgetreten wurde, der sich sonst über halbseidene Einladungen zum Ballereignis des Jahres oder über seine mit wechselnden Tiernamen versehenen Partnerinnen ins öffentliche Bewusstsein drängt. Die Frage ist dennoch weit weniger lustig, als die handelnde Person vermuten lässt.

Man darf nun zum einen hoffen, dass diese aktuelle Debatte nach kurzem Aufflackern einmal mehr versandet und dem Lobbyisten eines Wiener Einkaufszentrums und seinen Mitstreiter(inne)n die Bühne entzogen wird. Von daher ist die von Christen und Kirchen mitgetragene Gegenlobby eine notwendige zivilgesellschaftliche Aktivität, der ein möglichst anhaltender politischer Erfolg zu wünschen ist.

Kein Kulturkampf vonnöten

Zum anderen sollte die Auseinandersetzung nicht zum Kulturkampf stilisiert werden: Es geht weder um eine etwaige "Wirtschaftsfeindlichkeit“ der Christen, noch um die hehre "Rettung christlicher Werte“ in einer entchristlichten Gesellschaft. Sondern ums nüchterne Argumentieren einer Position, die auch, aber nicht nur auf religiöser Begründung fußt.

Klar ist, dass das Konzept der Menschenwürde eine christliche Konnotation hat: Wer an den Menschen als Ebenbild Gottes glaubt, wird sich auch dem Gebot, den "Tag des Herrn zu heiligen“ nicht verschließen. Gleichzeitig wissen die Christen aus der Interpretation dieses Gesetzes, wie sie der jüdische Rabbi Jesus hinterlassen hat, dass der Sabbat für den Menschen da ist - und nicht umgekehrt.

Letztere Sicht zieht auch in der allgemeinen gesellschaftlichen Diskussion: Es geht da um Solidarität, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft nötig ist. Und um die Frage, dass wirtschaftliche Nützlichkeit nicht ein eindimensionales Anliegen ist, etwa Konsum immer und zu jeder (Tages-)Zeit zu ermöglichen, sondern dass eine Gesellschaft Zeiten und Orte braucht, zur Ruhe zu kommen.

Fürs Funktionieren ebendieser Gesellschaft ist sowieso schon die Sonntagsarbeit von knapp einer halben Million Österreicher vonnöten. Eine signifikante Steigerung dieser Zahl erhöht die Lebensqualität im Land sicher nicht. Im Übrigen ist im Jahr der Freiwilligenarbeit darauf hinzuweisen, dass auch die viel beschworenen ehrenamtlichen Tätigkeiten ihren Zeitraum brauchen: Wer am freien Sonntag rüttelt, sägt auch an dieser Säule der Gesellschaft.

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