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Ein „Kulturkampf, der uns alle angeht

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Das traditionelle Muster vom „Kulturkampf ist überholt. Stattdessen ist längst ein tiefgreifender Wertewandel im Gange.

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Das traditionelle Muster vom „Kulturkampf ist überholt. Stattdessen ist längst ein tiefgreifender Wertewandel im Gange.

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Das Wort „Kulturkampf” geistert wieder durch die Lande und löst Gefechte über Kulturpolitik aus. Was dabei übersehen wird: Erstens ist nicht jeder Konflikt über Fragen des Kulturlebens gleich ein „Kulturkampf” im •ursprünglichen Sinn, zweitens wird Kultur überhaupt viel zu schmalsp/irig gesehen, und drittens setzt jede derartige Debatte ein Minimum an Gesprächs-Kultur voraus.

Was derzeit als Anlaß für eine „Kulturkampf”-Diskussion herhält, hat zwar mit dem historischen Begriff „Kulturkampf” wenig zu tun, aber das müssen ja jene, die jede Kritik an Burgtheaterdirektor Claus Peymann oder an der Gage des Salzburger Festspielintendanten Gerard Mortier bereits als Anschlag gegen die Freiheit der Kunst oder Ausdruck einer reaktionären Gesinnung zurückweisen, nicht unbedingt wissen.

Wie in jedem Lexikon nachzulesen ist, geht der Begriff „Kulturkampf” auf die Konflikte zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche in den Jahren 1871 bis 1887 zurück. Reichskanzler Otto von Bismarck betrieb mit einer Reihe von Gesetzen den Versuch, die katholische Kirche auf Kirchenraum und Sakristei zu reduzieren.

So wurden neben einer Reihe anderer Maßnahmen die Rechtsstellung der Kirchen und die nicht in der Krankenpflege tätigen Orden - insbesondere die Jesuiten - in Preußen aufgehoben, das Kirchenvermögen stellte man unter Staatsaufsicht, von Geistlichen wurde ein staatliches „Kulturexamen” verlangt. Der um Ausgleich bemühte Papst Leo XIII. beendete den „Kulturkampf”, geblieben ist in Deutschland seit damals die obligatorische Zivilehe, der „Kanzelparagraph” (Geistlichen ist es verboten, in Ausübung ihres Amtes Staatsangelegenheiten in einer „den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise” zu erörtern) und die staatliche Aufsicht über das konfessionelle Schulwesen.

Einen solchen „Kulturkampf” zwischen Staat und katholischer Kirche gibt es heute in Österreich nicht. Die Versuche des Liberalen Forums, Religion zur völligen Privatsache zu degradieren, bergen zwar noch Zündstoff, die größeren Sorgen der Kirche liegen aber in ihren inneren Konflikten und in der wachsenden Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber religiösen Institutionen .(was nicht unbedingt mit Desinteresse an Sinnfragen des Lebens gleichzusetzen ist). Viele leben nach Friedrich Nietzsches Satz „Gott ist tot” beziehungsweise nach Dostojewskis Wort „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt”. Die von Nietzsche angekündigte „Umwertung aller Werte” ist längst im Gang.

Ganz ohne großen „Kulturkampf” ist es dahin gekommen, daß Kirchen nicht mehr viel staatlichen Beistand für ihre Anliegen und Wertvorstellungen (etwa Schutz des Lebens, der Ehe, der Familie) erwarten dürfen. Gläubige Menschen müssen sogar damit rechnen, daß - wie im alten Rom - manches, was ihnen heilig ist, bewußt, zum Teil sogar mit öffentlicher Förderung, straflos (siehe die Handhabung des Paragraphen gegen die Herabwürdigung religiöser Lehren) verächtlich gemacht wird. Die Freiheit der Kunst macht es möglich. Diese soll auch gar nicht in Frage gestellt werden, ob man aber manifeste Zeugnisse von Intoleranz als besondere Kulturleistung anzusehen hat, ist doch entschieden zu bezweifeln.

Der Gepflogenheit, unter dem Wort „Kultur” meist sehr schmalspurig nur „Hochkultur” beziehungsweise das Geschehen in den traditionellen Sparten (Theater, Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur) zu verstehen - natürlich samt allen neuen Möglichkeiten, sich in Bild und Ton künstlerisch auszudrücken -, ist entgegenzuhalten, daß Kultur viel mehr umfaßt. Unsere Kultur weist Einflüsse von den Sumerern bis zu den Sumi-Ringern, von Hellas bis Dallas, von den Wurzeln der Demokratie bis zu den Auswüchsen der Demoskopie auf. Wir leben bekanntlich in einer multikulturellen Gesellschaft, also in einer Mul-tikultur. Bedeutet das nicht zwangsläufig auch einen „Multikulturkampf”?

Verdient das, was sich in diesem Kultur- und Wertewandel durchzusetzen scheint, noch den Namen Kultur? Eßkultur ä la McDonalds, Trinkkultur ä la Coca Cola aus der Dose, Gesprächskultur ä la TV-Diskussion, politische Kultur ä la Bespitzelung, Vernaderung und Plakatbeschmieren, Konfliktkultur ä la Bambo oder Terminator, Jugendkultur ä la Video-Clip? All das prägt aber unser Leben, unsere „Alltags-Kultur”, vermutlich ungleich mehr als das Schaffen der Herren Peymann und Mortier! Die spielen nur Statistenrollen.

Und schließlich: Feiertagskultur ä la Kaufrausch vor Weihnachten - nun auch am 8. Dezember? Gerade die Diskussion um das Fest Maria Empfängnis hat deutlichst gezeigt, daß wirtschaftliches Denken dem Kulturgut Feiertag schon lange den Rang abgelaufen hat. Hätten nicht viele schon seit Jahren diesen Feiertag zum Einkaufen im Ausland genutzt, hätte der heimische Handel den Wunsch nach Aufsperren an diesem Tag kaum durchsetzen können.

Oder: Lesekultur, die über Karl Mays „Schatz im Silbersee” nicht hinausreicht? Für welche unter denen, die für politische Ämter in unserem Land kandidieren, hat Kultur überhaupt einen Stellenwert?

Ein Anlaß der neuen „Kulturkampf-Diskussion war, daß wieder einmal der Ensemblesprecher des Wiener Burgtheaters, diesmal Robert Meyer, mit herben Worten an seinen Chef, Claus Peymann, seine

Funktion zurückgelegt hat, ein anderer Anlaß war ein gegen die gegenwärtige Kulturpolitik gerichtetetes Wahlplakat. Vor allem Peymann bemühte sich kaum, zwischen seinen Kritikern zu unterscheiden und sich konkret mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, wie es einer echten Gesprächskultur entsprochen hätte.

Wer sachliche Vorwürfe (zu viele Schließtage, zu viele teure Gäste von auswärts, zu wenige Aufgaben für Ensemble-Mitglieder, sinkende Besucherzahlen) nicht mit Zahlen zu widerlegen, sondern nur mit rüden Tönen gegen die Kritiker zu beantworten vermag, agiert wie ein gekränkter Politiker, nicht wie ein dialogfähiger Kulturmensch.

Je lauter über Kultur gestritten wird, je mehr man einander als „Kommunisten” oder „Faschisten” beschimpft, je mehr man „kulturkämpferisch” der Versuchung erliegt, alles einfach in schwarz oder weiß, in gut oder böse, in fortschrittlich oder reaktionär einzuteilen, umso mehr liefert man wohl den Beweis, daß echte Kulturmenschen in diesem Land rar geworden sind.

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