Der Aufstand der Empörten

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Politik-Alumni und Bürger wehren sich gegen den Stillstand. Erwacht die österreichische Zivilgesellschaft zum Leben?

So gleichartig die Haarfarben, so bunt ist die politische Couleur der Herren, die sich dem Kampf gegen "Demokratie-Zerstörer“ und "Plünderer“ verschrieben haben. Von grau-meliert bis reinweiß reicht das Farbspektrum am Kopf - von rot bis grün, von schwarz bis gelb die Parteizugehörigkeit. Am Montag präsentierte eine bunte Mischung von Alt-Politikern ihre Demokratie-Initiative "MeinOE“. Die soll in ein Volksbegehren münden und weitreichende Veränderungen mit sich bringen. Wenn es nach den Initiatoren geht, gehören Wahlrecht, Föderalismus, Parteiengesetz und die direkte Demokratie reformiert, der Parlamentarismus wiederbelebt und Korruption effektiver bekämpft. "Die Republik muss den Bürgern zurückgegeben werden“, fordern die "MeinOE“-Proponenten, die außer einer vergangenen politischen Karriere noch etwas eint: Eine tiefe Sorge um den Zustand der Demokratie in Österreich.

"Die gegenwärtige Qualität der handelnden Personen stimmt nicht“, sagt Erhard Busek, der frühere VP-Vizekanzler. "Das Regierungsprogramm liest sich wie ein holpriger Schüleraufsatz“, ärgert sich Wolfgang Radlegger, ehemals Salzburger SPÖ-Landesparteichef. "Die repräsentative Demokratie wird untergraben“, sagt Friedhelm Frischenschlager, einst FP-Verteidigungsminister, danach LIF. Johannes Voggenhuber, der bis vor zwei Jahren für die Grünen im Europäischen Parlament saß, folgert: "Die Regierung kontrolliert das Parlament, nicht umgekehrt.“ Und Heinrich Neisser, ehemaliger Klubobmann der ÖVP, befindet:. "Das Wort unserer Zeit heißt Erstarrung. Österreich ist eine lethargische Republik.“

Demokratie am Prüfstand

Mit diesen Empfindungen dürften die honorigen Herren von "MeinOE“ nicht alleine sein. "Das Vertrauen in die Politik nimmt deutlich ab“, sagt Karin Cvrtila vom Meinungsforschungs-Institut OGM. Die Reaktion auf die Enttäuschung bewegt sich diametral zwischen Resignation auf der einen und offensivem Aktionismus auf der anderen Seite: Während 75 Prozent der Österreicher sich laut einer aktuellen IMAS-Umfrage nicht für das politische Geschehen interessieren, waren gleichzeitig noch nie so viele Volksbegehren angekündigt wie 2011.

Und auch Initiativen, die schon länger bestehen, scheinen jetzt erste Früchte zu tragen. So hat Neisser schon vor drei Jahren eine "Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ gegründet. Am Freitag wird er erstmals seinen "Demokratiebefund“ präsentieren, der den Zustand der Demokratie bewerten soll. Das diesjährige Urteil ist ernüchternd: "Die Parteien- und Politikverdrossenheit beginnt bereits demokratiebedrohliche Ausmaße anzunehmen, da immer mehr Menschen von der Politik nichts mehr erwarten und sich von ihr abwenden“, heißt es im Report. Neisser will deshalb die Zivilgesellschaft aufrütteln und engagiert sich zusätzlich bei "MeinOE“. Er schließt auch nicht aus, dass die beiden Initiativen zusammenwachsen.

"Zwischen den unterschiedlichen Initiativen gibt es keine Konkurrenz, sondern nur Synergien“, sagt auch Wolfgang Radlegger, der neben seiner "MeinOE“-Aktivität auch für das Bildungsvolksbegehren mobil macht. Das geht bekanntlich ebenfalls von einem Ex-Politiker aus: Hannes Androsch.

Der ehemalige SP-Vizekanzler meinte schon zum Auftakt des Unternehmens vor einem knappen Jahr, dass sich das Volksbegehren gegen eine "Koalition der Verhinderer“ richtet und appelliert: "Wir brauchen eine politische Kultur des Mutbürgertums, das auch im Hinblick auf Generationengerechtigkeit zukunftsweisende Reformen unseres Landes einfordert. Das Bildungsvolksbegehren ist daher auch Ausdruck einer Zivilgesellschaft.“ Am 3. November beginnt die einwöchige Eintragungsphase .

Ein Volksbegehren schwebte ursprünglich auch Claus Raidl vor. Der Präsident des Generalrates der Österreichischen Nationalbank, der sich selbst als Pensionist bezeichnet, kündigte für diesen Herbst ein Anti-Föderalismus-Begehren an. Um Androschs Bildungsvolksbegehren nicht in die Quere zu kommen, entschied er sich schließlich doch dagegen. Stattdessen will er in wenigen Wochen eine Internet-Initiative starten: "Es ist nicht so wichtig, welches Instrument man wählt. Hauptsache man übt Druck auf die Parteien aus. Und das passiert nur, wenn sie Angst haben, Wähler zu verlieren“, sagt Raidl, der auch die anderen Initiativen unterstützt: "Uns alle verbindet ein großes Unbehagen, weil keine ernsthaften Probleme angepackt werden. Die Regierung muss endlich erkennen: Die Leute haben es satt!“

Um den Druck zu verstärken, kann sich Raidl vorstellen, sämtliche Initiativen zu bündeln: "Ich bin gerne bereit, mich in einer großen Bewegung einzubringen.“ Das hält auch Meinungsforscherin Cvrtila für wichtig: "Um wirkliche Folgen zu haben, müssten die Initiativen breiter aufgestellt und tragender sein. Jetzt handelt es sich noch um Randgruppen, aber wenn es zu einer Massenbewegung wird, müssen Parteien darauf reagieren.“

Kollektive Bürgerbewegungen

Dass Mobilisierung auch ohne großes Budget oder prominente Galionsfiguren funktioniert, zeigt Wolfgang Bauer. Seit Jahresbeginn fordert der Wiener Pensionist auf seiner Plattform "Verwaltungsreform-jetzt.at“ die Umstrukturierung der Staatsfinanzen. Mit seiner Ansage "Das Geld muss knapp gehalten werden“ hat er bisher schon über 11.000 Unterstützer gewonnen. "Ich möchte die Anliegen in einer parlamentarischen Bürgerinitiative direkt in den Nationalrat bringen“, sagt Bauer. Seine Initiative wird auch über die Plattform "Aktion 21“ kommuniziert. "Unser Verein unterstützt die unterschiedlichsten Bürgerinitiativen mit Experten-wissen und medialer Präsenz“, erklärt die Obfrau Herta Wessely. Vor zwei Wochen wurde die ursprünglich nur in Wien aktive Initiative auf ganz Österreich ausgeweitet: "Wir wollen die Parteien dazu zwingen, mehr Bürgerbeteiligung zuzulassen“, sagt Wessely. Auch sie ist Pensionistin, betreibt ihr Engagement aber "wie einen Vollzeitjob“.

Das Ringen um die Jugend

Neben einer unbeugsamen "Da muss man doch was tun“-Einstellung ist nämlich tatsächlich das Alter der Wortführer ein gemeinsames Merkmal aller Initiativen. "Es ist nicht gut, wenn immer nur Pensionisten agieren“, meint Raidl dazu selbstkritisch, "aber: Better late than never“. Dass sie auch die Jugend an Bord holen müssen, wissen alle Protest-Pensionisten. Schließlich dient ihr Engagement den nachfolgenden Generationen. Zumindest auf Facebook gibt sich "MeinOE“ ganz jugendlich und sammelt eifrig neue Freunde. Ob die vielen zustimmenden "Like“-Klicks tatsächlich in zivilgesellschaftliches Engagement münden, dafür gibt es einen einfachen Indikator: Die Haarfarbe der zukünftigen Proponenten auf dem Podium.

"So geht es nicht weiter!“

Stéphane Hessel, Autor der Protestschrift "Empört euch!“, spricht im Plenarsaal des Österreichischen Parlaments über den neuen Aufbruch.

Freitag, 14. Oktober 2011, 18:00; Anmeldung:

veranstaltungen16@parlament.gv.at

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