Die politische Agenda für die Familie

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Anders als in Deutschland ist in Österreich der Staat nicht verpflichtet, Familie zu schützen. Studien und Expertisen zeigen hingegen deutlich auf, wo Handlungsbedarf bestünde.

Die präzise Abhandlung des Themas durch Wolfgang Mazal führt zu einer ernüchternden Feststellung: "Der österreichischen Bundesverfassung ist ein Schutz der Familie fremd“, schreibt der Jurist und Sozialexperte in einer "kurzen Analyse der verfassungsrechtlichen Regelungen“ zur Familie. Dabei sei es "reizvoll“, zu analysieren, welcher Stellenwert der Familie in der Verfassung zukomme. Nach sozialwissenschaftlichem Befund sei nämlich der Stellenwert der Familie von "zentraler Bedeutung für die meisten Menschen“, andererseits hätten Verfassungen Grundrechte und Staatsziele festzulegen. Doch Mazal kommt nicht umhin, in dieser für das Institut für Familienforschung erstellten Analyse zu schreiben: "Anders als in Artikel 6 des deutschen Grundgesetzes, der den Schutz von Ehe und Familie ausdrücklich normiert, ist die Familie in der österreichischen Verfassungsurkunde nicht erwähnt.“

Recht für Einzelne, keine Pflicht des Staates

Ein indirekter Schutz der Institution Ehe und Familie sei aus den subjektiven Rechten abzuleiten, welche die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet. Diese Konvention steht in Österreich im Verfassungsrang. Ihr zufolge haben Frauen und Männer nach innerstaatlichen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Damit sei es, so Mazal, dem Staat indirekt verwehrt, Ehe und Familie als Institution abzuschaffen oder zu verbieten. Eine Verpflichtung des Staates, den beiden Institutionen Schutz angedeihen zu lassen, "ist daraus allerdings nicht ableitbar“.

In Landesverfassungen fänden sich hingegen Regelungen zur Familie. Dies treffe auf die Länder Nieder- und Oberösterreich sowie Salzburg, Tirol und Vorarlberg zu. Das Land sei, in unterschiedlicher Form, verpflichtet, Familien anzuerkennen, zu schützen oder gar zu unterstützen. In den Landesverfassungen von Wien, Steiermark und Kärnten werde dies nicht erwähnt.

Die Auswertung der "normativen Befunde“ zeigt für Mazal, dass "durch die Gesellschaft offenbar ein Riss geht“. Dieser verhindere zum einen, dass die Familie in allen Landesverfassungen angesprochen werde, zum anderen, dass Familie in der Bundesverfassung eine Erwähnung findet.

Ein Blick in die Parteiprogramme scheine dies mit dem unterschiedlichen Stellenwert zu erklären, der Familienfragen zukommt. Mazal: "Während die Parteiprogramme der ÖVP seit jeher dem Familienthema in unterschiedlichen Akzentuierungen einen großen Stellenwert einräumen und auch die FPÖ Familie durchaus prominent anspricht, spielt die Familie in den Parteiprogrammen der SPÖ eine im Laufe der Zeit abnehmende und bei den Grünen praktisch keine Rolle.“

Doch Mazal hat Trost parat. Eine differenzierte Analyse der Programme und Gesetze zeige, dass es "unzulänglich wäre“, zwischen konservativen Kräften, die einem überholten Familienideal nachtrauern und fortschrittlichen Kräften zu unterscheiden. Es sei nämlich auch in den von der ÖVP geprägten Landesverfassungen "keine Verengung auf ein bestimmtes Familienbild nachweisbar“. Im Gegenteil. Es fände sich ein weites Verständnis von Familie, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anwende. Dieses sei auch für die Auslegung der Landesverfassungen maßgeblich - und der Gerichtshof erfasse mit seiner Interpretation nicht nur die klassische Familie, sondern auch andere Familienformen, die nicht auf einer Ehe gründen.

Mazal hält es daher "für unschwer möglich“, die Förderung der Familie als Staatszielbestimmung in die Bundesverfassung aufzunehmen und "auf diese Weise das gesellschaftliche Bewusstsein auch in der Bundesverfassung zu manifestieren“. Die Familien, so Umfragen, würden Hilfe erwarten.

Es ist keine kinderfreundliche Gesellschaft

Im Auftrag des Katholischen Familienverbandes Österreich (KFÖ) untersuchte Karmasin-Motivforschung 2010, wie sich Eltern in Österreich fühlen. Kurz gefasst: schlecht.

Dieses Bild entsteht allerdings erst auf den zweiten Eindruck. Denn, wie Sophie Karmasin im Tagungsbericht "Eltern unter Druck“ schreibt, werde auf die Frage nach der Zufriedenheit der Eltern zunächst sehr positiv geantwortet: "Über 80 Prozent sagen, dass sie sehr zufrieden oder zufrieden mit ihrer Situation als Mutter bzw. Vater sind.“ Doch diese Umfrage unter 500 Eltern mit Kindern bis 17 Jahre im Haushalt zeigt die Grenzen dieser positiven Einschätzung auf.

Wenn die Fragen nicht die eigene Person und Befindlichkeit berühren, sondern das System betreffen, dann ergeben die Antworten deutlich kritischere Werte. Karmasin: "Aus Sicht der Eltern leben wir in keiner besonders kinderfreundlichen Gesellschaft. Nur 45 Prozent geben an, dass in Österreich ein sehr kinderfreundliches bzw. ein kinderfreundliches Klima herrscht.“ Das scheint die Grundstimmung zu sein.

Die Untersuchung warf die Frage auf, ob Eltern in der Gesellschaft genügend wertgeschätzt würden? Ein Drittel der Befragten verneint diese Frage, aber ein weiteres Drittel sei der Meinung, dass Eltern in Österreich entsprechend wertgeschätzt werden (der Rest ist indifferent). Dieser Wert stelle, schreibt Karmasin, "ein Armutszeugnis für die Gesellschaft dar“. Bei einer "sehr weiten Interpretation“ könne er dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Geburtenrate seit Jahrzehnten ständig sinke. Dies könne "auch mit dem nicht gerade kinderfreundlichen Klima in Österreich zusammenhängen“. Doch die Eltern fühlen sich zudem durchaus belastet - und allein gelassen.

Hinsichtlich der Belastung der Eltern würde diese Studie ähnliche Ergebnisse zeigen wie jene der Konrad-Adenauer-Stiftung für Deutschland: Nur 19 Prozent der Eltern fühlen sich nie belastet. Mütter, vor allem jene im Vollerwerb, plage das schlechte Gewissen wegen möglicher Vernachlässigung der Kinder. Väter fühlen sich, ebenfalls noch etwas einem klassischen Rollenbild entsprechend, durch die Verantwortung für die finanziellen Ressourcen belastet: "75 Prozent aller Eltern fühlen sich zumindest manchmal überfordert und das ist doch ein sehr hoher Wert“, heißt es in der Karmasin-Studie. Die politischen Beiträge für Erziehungsarbeit sehen die Eltern "sehr nüchtern“. Nur 19 Prozent sagen, sie würden in ihrer Elternrolle von der Politik "gut oder sehr gut unterstützt werden“.

Maßnahmen gegen Gewalt und Missbrauch

In dem knapp 250 Seiten umfassenden 5. Familienbericht 1999-2009 des Familienministeriums werden zahlreiche tatsächliche Verbesserungen für die Lage der Familien aufgezählt, allerdings auch weitere Projekte genannt. In diesen geht es um Maßnahmen gegen Gewalt und Missbrauch, wie sie die österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit erst diese Woche in Wien neuerlich forderte. Und es geht weiters um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie sie in einer EU-mitfinanzierten und in diesen Tagen präsentierten Studie am IHS in Wien entwickelt wird.

Die gesamte Expertise scheint Sophie Karmasin zu bestätigen, die angesichts der von Eltern wahrgenommenen Mängel und Probleme schreibt: "Es gibt eine sehr große Chance für die Parteien, sich stärker bei den Eltern zu positionieren.“

Informationen dazu unter:

www.bmwfj.gv.at, www.familie.at, www.oif.ac.at

www.kinderjugendgesundheit.at

www.workcaresynergies.eu

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