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Wolfgang Mazal, Sozialrechtler und Präsident des Österreichischen Instituts für Familienforschung, über das "Systemversagen" punkto Familie.

Die Furche: Herr Professor Mazal, halten Sie die Dramatik, mit der in Deutschland gerade über das drohende Ende der Familie debattiert wird, für überzogen - oder angemessen?

Wolfgang Mazal: Ich bin an sich positiv überrascht, dass das Thema diskutiert wird, weil sich die Entwicklung seit etlichen Jahren dramatisch abzeichnet. Dass einzelne diskutierte Maßnahmen auch überdramatisch sind und in falsche Richtungen gehen können, ist aber nicht zu übersehen.

Die Furche: Etwa eine Rentenkürzung für Kinderlose bis zu 50 Prozent?

Mazal: Richtig.

Die Furche: Tatsache ist, dass Deutschland mit 1,36 die niedrigste Geburtenrate seit 1945 aufweist. Gibt es aus Ihrer Sicht eine Erklärung für diesen aktuellen Tiefststand?

Mazal: Ein Geburtenrückgang hat immer viele Gründe. Einer der Faktoren, die hier eine Rolle spielen, ist sicher Zukunftsangst. Und das dürfte sich in der für die Statistik relevanten Periode, also vor eineinhalb, zwei Jahren, manifestiert haben. In der Endphase der Regierung Schröder war ja das gesellschaftliche Klima in Deutschland von Pessimismus geprägt.

Die Furche: Dafür hat die deutsche Koalitions-Regierung vergangenen Freitag die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten von maximal 4000 Euro pro Jahr beschlossen. Ein Vorbild für Österreich?

Mazal: Ich halte das für ein mögliches, sinnvolles Modell.

Die Furche: Österreich schneidet mit einer Geburtenrate von 1,39 ebenfalls unzufriedenstellend ab, wobei das Sozialministerium zuletzt eine um den "Tempoeffekt" bereinigte Fertilitätsrate von 1,63 präsentiert hat. Ist eine solche Bereinigung seriös?

Mazal: Die Bereinigung ist sogar sehr wichtig, damit man erkennt, was eine der wesentlichen Ursachen für die niedrige Geburtenrate ist - nämlich die Hinauszögerung der Erstgeburt. Dadurch allein werden 40 bis 50 Prozent des Geburtenrückgangs erklärt, weil die Zeit, die für die Reproduktion zur Verfügung steht, kürzer wird und insgesamt auch die Gebärhäufigkeit abnimmt. Für mich ist es aber immer unseriös, aus kurzfristigen Schwankungen politische Argumente abzuleiten. Letztlich sind es nur Tendenzen. Und die Tendenz in vielen Ländern Europas ist sicher sinkend, bestenfalls - wie in Österreich - stabilisierend.

Die Furche: Wobei der Zugang der Frauen zu Bildung von manchen als größtes "Verhütungsmittel" betrachtet wird. Muss man sich damit abfinden, dass es in gleichberechtigten Gesellschaften zu Bevölkerungsschwund kommt?

Mazal: Nein, das muss nicht sein - wenn man nach Skandinavien schaut. Es ist nur die Frage, wie man damit umgeht. Wenn man etwa Skandinavien und Irland vergleicht, so haben beide Gesellschaften - so unterschiedlich sie sind - hohe Reproduktionskapazität. Weil sie klare Signale geben: In Skandinavien würde es niemand als negativ betrachten, wenn man ein Kind in außerhäusliche Betreuung gibt. Und in Irland ist man nicht out, wenn man zu Hause bleibt. Die österreichische Gesellschaft sendet aber extrem zweischneidige Signale aus, etwa: Wir wollen, dass du das Kind außer Haus betreust, aber gleichzeitig kommt nicht in Frage, dass wir außerhäusliche Betreuungsplätze ausweiten und außerdem bist dann vielleicht eine Rabenmutter. Es fehlt der innere Wunsch der Gesellschaft, jegliches Modell als positiv zu kommunizieren. Doch damit wälzen wir das Systemversagen in das schlechte Gewissen der jungen Menschen ab.

Die Furche: Zum Systemversagen gehört nach Meinung vieler das Kinderbetreuungsgeld samt Zuverdienstgrenze. Wie ist hier Ihre Meinung?

Mazal: Es gibt vieles, was wir bei der Evaluierung des Kinderbetreuungsgeldes im Rahmen des Instituts für Familienforschung bis zum Abgabetermin am 31. März diskutieren. Ich persönlich habe aber schon vor Inkrafttreten dieser Regelung gesagt, dass ich die Zuverdienstgrenze für verfassungswidrig und sachlich falsch halte.

Die Furche: SPÖ und Grüne plädieren für mehr Flexibilität beim Kinderbetreuungsgeld bzw. für eine einkommensabhängige Staffelung...

Mazal: Für mich persönlich wäre es durchaus möglich, dass wir das Kinderbetreuungsgeld klar verkürzen oder einkommensabhängig gestalten. Nur müssen wir immer auch dazusagen, wie wir es finanzieren wollen und wo wir es wegnehmen können. Es ist aus meiner Sicht auch zu befürchten, dass man damit ein oszillierendes Signal setzt, nach dem Motto: Einkommensabhängig ja, aber nur, wenn die Leute nicht zu viel verdienen, weil es sonst zum Privileg für die Reichen wird.

Die Furche: Sie sind seit kurzem Präsident des - nun als Projekt an der Uni Wien geführten - Österreichischen Instituts für Familienforschung. Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Mazal: Wir haben noch einen starken Bedarf an Familienforschung, aber auch an Familienberatung bis tief in die Wirtschaft. Es sind derzeit nur oberflächliche Konzepte für Work-Familiy-Balance realisiert. Ich hoffe, dass es unserem Institut im Lauf des nächsten Jahres gelingt, in diesem Bereich stärkere Akzente zu setzen.

Die Furche: Das sollte auch die neue Familien GmbH unter Günter Danhel - eine Ausgliederung aus dem Sozialministerium, die von der Opposition heftig kritisiert worden ist ...

Mazal: Dieses Thema ist völlig aufgebauscht. Wir haben in allen Ressorts Ausgliederungen erlebt, weil sich das Instrumentarium des öffentlichen Dienstes als zu schwerfällig erweist. Auch für diese Ausgliederung gab es seit Jahren von externen Betriebsberatern klare Konzepte. Da geht es nicht um Versorgungsposten, sondern darum, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Koordination mit der Wirtschaft zu verbessern.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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