Einfach pragmatisch

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Zwei Schlaglichter auf die Große Koalition.

Daneben verblassen Viktor Klimas Boxhandschuhe oder Karl-Heinz Grassers Colt: Strahlend lächelnd hielt uns Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky auf Seite 1 des letzten Sonntags-Kuriers eine bunte Sammlung von Kondomen entgegen, hübsch aufgefächert wie Spielkarten: alle Trümpfe in der Hand, sozusagen. Die Botschaft dazu: die Präservative will Kdolsky höchstpersönlich in Schulen an 13-und 14-Jährige verteilen. (Und schon wieder ein Punkt für die ÖVP: Damit lässt die "schrille Politikerin" [Kurier] Nachhilfelehrer Alfred Gusenbauer alt aussehen …) "Fröhlichen Pragmatismus" attestiert ihr dafür der Kommentator des Blattes euphorisch: keine "geheuchelten Familienidyllen" und das Bewusstsein, "dass Jugendliche heute Sexualität wie eine Ware konsumieren und dennoch wenig Ahnung davon haben".

Vielleicht aber liegt ja genau hier das Problem - und vielleicht greift "fröhlicher Pragmatismus" da doch ein wenig zu kurz. Freilich, wenn das Gegenteil davon "ideologische Verbissenheit" ist, so wird uns diese auch nicht weiterhelfen - ebensowenig wie der Rekurs auf "frühere Zeiten", in denen eherne ethische Grundsätze das Handeln bestimmt hätten. Doch es könnte ja auch so sein, dass der enorme Zuwachs an individueller und kollektiver Freiheit, den die letzten Jahrzehnte gebracht haben - und den wir uneingeschränkt bejahen sollten -, uns gleichzeitig ein weit höheres Maß an Verantwortung abverlangt, soll menschliches Zusammenleben gelingen. Und dies müsste in besonderer Weise dort gelten, wo ein Höchstmaß an Intimität die Verletzlichkeit besonders groß macht: im Bereich der Sexualität.

Natürlich ist Aufklärung unerlässlich, und natürlich ist das Wissen um Verhütungsmittel ein wesentlicher Bestandteil dieser Aufklärung; die - das muss man innerkirchlich leider noch immer deutlich sagen - das einzig sinnvolle Gegenprogramm zur Abtreibung darstellt. Aber diese Aufklärung müsste heute mehr denn je einem im besten Sinne pädagogischen Impetus folgen: Sie müsste hinführen zu einer ganzeitlichen Sicht von Sexualität, die weiß, dass Intimität persönliche Reife verlangt, Liebe mit Respekt vor der Würde des anderen zu tun hat, Freiheit - siehe oben - an Verantwortung gekoppelt ist. Das kann freilich nicht eine Gesundheitsministerin alleine leisten, aber die eine oder andere weltanschauliche Markierung in diesem Sinne könnte man sich von einer "modernen konservativen" Politikerin schon erwarten. Auf die Seite 1 der Sonntagszeitung kommt man damit freilich nicht so leicht.

In einem übergeordneten Sinn fügt sich Andrea Kdolsky mit ihrem "Pragmatismus" freilich recht gut in das Gesamtbild der Regierung, der sie angehört. Zur Perfektion in dieser Haltung hat es - er ist ja schließlich auch der Chef - Bundeskanzler Alfred Gusenbauer gebracht, auch wenn sein Pragmatismus weniger "fröhlich" denn seltsam abgeklärt wirkt. Nein, es soll hier nicht nocheinmal genüsslich die Liste der SP-Umfaller ausgebreitet werden. Einen Gutteil dieses Umfaller-Images hat die SPÖ ja ihrem in Oppositionszeiten und vor allem im Wahlkampf praktizierten Populismus zuzuschreiben, demzufolge nach Jahren der neoliberalen Rosskur nun wieder Milch und Honig fließen würden. Aber die Nonchalance, mit der sich der Kanzler und SP-Chef nicht einmal mehr die Mühe macht, sein Einschwenken auf VP-Linie der eigenen Klientel begreiflich zu machen, muss auf Freund wie Feind gleichermaßen stupend wirken.

Besonders krass wurde dies am Beispiel des Streits (Streits?) um die Erbschaftssteuer deutlich. Das Thema hätte nach Einbettung in eine breit angelegte Diskussion um Verteilungsgerechtigkeit und um die Frage "Wer ist reich bzw. arm?" verlangt. Wäre es nicht sinnvoll, Arbeit statt Vermögen zu entlasten? Geht jemand, der 4000 Euro verdient und mehrere Kinder hat, schon als "G'stopfter" durch? Stattdessen wurden wir mit Schlagworten abgespeist: "Mittelstandssteuer" (ÖVP), "Millionenerben" (SPÖ) und dergleichen mehr. Die dahinterstehenden Fragen scheinen Alfred Gusenbauer nicht anzufechten. Das Gekläff überlässt er den Parteisekretariaten - und im übrigen ist er einfach Bundeskanzler, ganz pragmatisch.

rudolf.mitloehner@furche.at

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