An den Grenzen der Belastbarkeit

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Die Strapazen, denen Politiker täglich ausgesetzt sind, werden noch immer vielfach unterschätzt. Der Preis für die Droge Macht ist außerordentlich hoch.

Das bisschen Händeschütteln, der Smalltalk bei Empfängen und ein Gute-Laune-Gesicht vor der Kamera - was soll daran so anstrengend sein? Nicht wenige Politikerkarrieren zeigen es: Eine permanente Öffentlichkeit beschert neben Anerkennung und Macht auch Stress. "Die Politik wird zunehmend personalisiert, Politiker werden sozusagen öffentliches Eigentum", meint dazu der Politikwissenschaftler Anton Pelinka. Für Spitzenfunktionäre sieht Pelinka keine Chance, das Privatleben von der Öffentlichkeit abzuschotten. Es lasse sich heute eben unmöglich sagen: "Am Freitag um 17.00 Uhr endet meine öffentliche Funktion, und was bis Montag 8.00 Uhr stattfindet, geht niemanden etwas an."

Das glatte Wiener Parkett

Das hat hohe Kosten, und es belastet. Dennoch gibt es sie - die Möglichkeiten, das Zuhause vom politischen Amt zu trennen. Das sieht zumindest der Salzburger Psychologe und Ex-LIF-Politiker Christian Allesch so. Viele seiner Kollegen hätten es bewiesen, darunter Heide Schmidt. Dass aber permanentes Repräsentieren an die physischen und psychischen Grenzen gehen kann, bestätigt Allesch. Wer in die Politik einsteigt, muss wissen, dass ihn keine 40-Stunden-Woche erwartet. Darunter leidet in der Folge nicht selten das Familienleben. Besonders stressgefährdet sind da jene Funktionäre, die von der Landespolitik auf die nationale Ebene wechseln. Jene, die sich erst an ein neues Milieu anpassen müssen. "Es gibt da in der Provinz das geflügelte Wort vom glatten Wiener Parkett', worauf man als Vorarlberger oder Salzburger ausrutschen kann", so Allesch. Da komme es schon mal vor, dass ein ehemaliger Bürgermeister, der seine Sache bisher gut gemacht hat, an die Grenzen seiner Belastbarkeit stößt.

Den Unterschied zwischen Landes- und Bundesebene beobachtet auch der Sozialforscher Rudolf Bretschneider. In aller Stille zu arbeiten sei für einen Politiker kaum noch möglich. Die internationalen Anforderungen und die erhöhte Reisetätigkeit seit der EU-Mitgliedschaft Österreichs machen Aufgaben und Problemstellungen komplexer. Das politische Geschehen wird dann leicht unüberblickbar. Das hat auch kürzlich der Wahlkampf bewiesen. "Die EU-Abgeordneten waren fleißig unterwegs, aber das Einzige, womit sie öffentlich in Verbindung gebracht wurden, war der Spesenskandal", resümiert Bretschneider.

Ist das der Preis, den die Demokratie Politikern und Politikerinnen abverlangt? Der Preis der Macht? Permanent hohes Ansehen zu genießen und im Mittelpunkt der Debatten zu stehen, das macht mitunter süchtig. Weil aber die "Droge Macht" vorerst in kleinen Dosen verabreicht wird, kommt die Abhängigkeit erst nach und nach.

Anton Pelinka betrachtet Macht als wirtschaftliches Phänomen: Es vermittelt Lust und Gewinn. Deshalb lässt es sich auf so viele Lebensbereiche übertragen, nicht nur die Politik. Ein Manager ohne Machtstreben - ist das noch denkbar? Zwischen Wirtschaft und Politik liegt aber ein wesentlicher Unterschied. Den sieht Bretschneider in den vielen unvorhersehbaren tagespolitischen Ereignissen. Unmöglich für einen Politiker, einen Jahresplan wie ein Unternehmensleiter zu haben. "Wenn man als Politiker dann auch noch ein hohes Problembewusstsein hat", so der Sozialforscher, "kann man leicht in Stress geraten."

Der Zwang des Marktes

Auch Stress ist eine Droge. Denn wenn er von einem auf den anderen Tag wegfällt, kann das negative Konsequenzen für die psychische Gesundheit haben - es folgt das bekannte Loch, in das man nur allzu leicht hineinfällt. Allesch konnte beobachten, dass der Druck vor allem dann gravierend ist, wenn ein Politiker keine weitere Beschäftigung hat. "Wenn das zweite Standbein fehlt, geht man viele Kompromisse ein und schluckt sehr viel Ärger. Da wird die Politik zur Einbahnstraße, und der Politiker lässt sich leichter manipulieren." Pelinka weiß Politiker gut beraten, wenn sie sich vorab überlegen, ob sie den Anforderungen standhalten können. Denn Demokratie bedeute eben, sich dem Zwang des politischen Marktes anzubieten. "Und Politik ist hart, weil es immer genauso viele Verlierer wie Gewinner gibt."

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