Der Kampf gegen die Feindschaft

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Zwischen Menschen gibt es keine natürliche Feindschaft. Kein Mensch wird als Feind geboren. Zum Feind wird man gemacht. Auch die jungen Menschen, die aus Europa wegzogen, um gegen Europa in den Dschihad zu ziehen, kamen nicht als Feinde des Westens auf die Welt. Sie wuchsen in westlichen Gesellschaften auf. Und sie mutierten hier zu Feinden des Westens. Deshalb sollte der Westen auch seine Verantwortung für diese Gewalttäter übernehmen und sie nicht an andere Staaten delegieren.

Wir sind aber nicht nur aufgrund des "Verursacherprinzips" zur Rücknahme von Dschihadisten verpflichtet, sondern auch wegen der Werte, auf denen unser Rechtssystem aufbaut. Schließlich lehnen wir die Todesstrafe ab, weil wir so etwas wie ein Menschenrecht auf Umkehr unterstellen: das Recht, ein anderer Mensch werden zu können und zu dürfen.

Ich will die Gefahr, die von Rückkehrern ausgeht, nicht kleinreden. Ich bin mir bewusst, dass wir für diese Gewalttäter Feinde sind, die es zu vernichten gilt. Wer jedoch Feindschaft bekämpfen will, muss gegen die Feindschaft an sich ankämpfen. Und dieser Kampf kennt nicht nur die Verteidigung des eigenen Lebens. Er enthält darüber hinaus die Weigerung, den Feind in alle Ewigkeit zum Feind zu erklären. Nur so wird die Macht der Feindschaft auf Dauer durchbrochen.

Der Kampf gegen die Feindschaft verlangt deshalb von uns, im Feind immer auch den anderen Menschen zu sehen. Politisch heißt das, auch in der Verfeindung den Anspruch auf Gerechtigkeit für den Feind aufrechtzuerhalten. Das können wir nur garantieren, wenn wir die Rückkehrer in unserem Rechtssystem verurteilen. Insbesondere Christinnen und Christen werden durch das Gebot der Feindesliebe dazu angeleitet, den Feind nicht zu entmenschlichen. Nichtdestotrotz müssen wir uns vor Rückkehrern schützen. Es gibt keine Garantie dafür, dass eine Integration gelingt. Damit sind hohe personelle und finanzielle Kosten verbunden. Aber ich glaube, wir haben, wenn wir unseren politischen Werten und dem biblischen Imperativ der Feindesliebe treu bleiben wollen, keine andere Wahl.

Dschihadisten sind Lebensverächter

Dschihadisten sind Lebensverächter. "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod." - In diesem Satz spricht sich eine Lebensverachtung aus, die in einer Lebensfeindlichkeit gründet. Diese Lebensfeindlichkeit äußert sich in einem abgrundtiefen Hass. Dem Ausagieren dieses Hasses wird im Dschihadismus alles andere untergeordnet, sogar der eigene Überlebenswille. Ein Blick in unsere jüngste Geschichte zeigt, dass dieses Phänomen keineswegs neu ist. Es gibt eine Reihe von Überlappungen zwischen Faschismus und Dschihadismus. Man erinnere sich nur an den Ruf der spanischen Faschisten: "Lang lebe der Tod!". Worin gründet diese Lebensfeindlichkeit?

Die Dschihadisten hassen das Leben, weil sie mit dem Leben nicht klarkommen. Ihre Lebensfeindlichkeit ist eine Reaktion auf eine Lebensuntauglichkeit. Diese Lebensuntauglichkeit offenbart sich in einem Set von Identitätsstörungen: Junge europäische Dschihadisten haben häufig an einem oder mehreren Punkten in ihrem Leben den Halt verloren. Sie leiden an einer inneren Leere. Das Gefühl innerer Leere entsteht, wenn Menschen keine Identität ausbilden können, die im Mitgefühl gründet. Vielfach spielen Diskriminierungserfahrungen eine Rolle, nicht so sehr eigene, sondern die der Eltern oder der Großeltern.

Der Drang zu einer späten Rache ist für einige Täter handlungsleitend. Der Mangel an Selbstwertgefühl ist bei vielen offensichtlich und drückt sich nicht selten in einem ausgeprägten Narzissmus aus. Die jungen Terroristen sind zudem unfähig, ihren Körper in Balance zu erfahren. Sie bilden einen "Fragmentkörper"(K. Theweleit) aus und leiden unter physisch-psychischen Turbulenzen spätpubertärer Adoleszenz.

Dschihadismus verspricht Therapeutikum gegen diese Störungen zu sein, dabei ist er Symptom derselben. Halten wir fest: Die Störungen, die Menschen für den Dschihadismus empfänglich machen, entstehen inmitten unserer westlichen Gesellschaften. Sie sind kein eingeschlepptes Virus. Dschihadismus ist aktiver Nihilismus, und dieser entsteht durch nihilistische Tendenzen innerhalb westeuropäischer Gesellschaften. Mit Nihilismus ist eine spezifische Lebenserfahrung bezeichnet: ein Leben in erschreckender Sinnlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Lieblosigkeit. Dschihadismus selbst ist zutiefst nihilistisch. Eine Integration der IS-Rückkehrer kann deshalb überhaupt nur gelingen, wenn wir in den Spiegel schauen und erkennen, dass diese jungen Menschen in unserer Gesellschaft radikalisiert wurden. Integration setzt deshalb auch eigene Transformation voraus.

Eine wirksame Prävention hat hier anzusetzen. Sie besteht darin, gesellschaftliche Zustände zu schaffen, in denen junge Menschen Selbstvertrauen, Selbstachtung und ein Selbstwertgefühl ausbilden können. Nihilismus beginnt, wenn Endlichkeitssinn und Möglichkeitssinn austrocknen.

Die dschihadistische Gewalt ist eine Reaktion auf Angst vor der eigenen Schwäche und Verletzbarkeit. Die Philosophin Martha Nussbaum fordert zu Recht, dass es heute Lebensformen bedarf, in denen jungen Menschen die Botschaft vermittelt wird, "dass alle Menschen verletzlich und sterblich sind und dass dieser Aspekt des menschlichen Lebens nicht hassenswert und abzulehnen ist, sondern durch gegenseitige Anerkennung und Hilfe aufgefangen werden kann".

Aber das allein reicht nicht: Es bedarf auch gesellschaftlicher Zustände, in denen junge Menschen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen können. Denn ohne Veränderungserfahrungen kann sich kein Möglichkeitssinn einstellen. Ohne Möglichkeitssinn kommt Menschen das Vermögen zu hoffen abhanden. Sie werden zukunftsmüde. Von der Zukunftsmüdigkeit ist es nur ein kleiner Schritt hin zur lebensfeindlichen Lebensmüdigkeit.

Angehörige der Opfer nicht vergessen!

Ein Aufblähen des Sicherheitsapparates ist kein Gegenmittel gegen dschihadistische Gewalt. Im Gegenteil. Dadurch werden die Ursachen derselben eher verdeckt. Wer meine Position leichtfertig als die eines "Gutmenschen" kritisiert, überlege bitte, wie er/sie, ohne sich in Widersprüche zu verstricken, Dschihadismus bekämpfen will.

Eines ist mir allerdings sehr wichtig: Bei der Debatte sollten wir eine Stimme nicht vergessen: die der Angehörigen von Opfern dschihadistischer Attentate. Haben wir sie gefragt, was sie von unserer Position für oder wider die Rückkehr halten? Ich nicht. Wir sollten aber nicht mit dem Rücken zu ihnen über die Zukunft von (potenziellen) Terroristen in unserer Gesellschaft entscheiden.

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