Im Glashaus der Aktualität sitzen

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Ein Gutteil der Äußerungen und Kommentare zum Ausgang der Bundespräsidentenwahl setzte sich mit der Polarisierung im Land auseinander und mit der tatsächlichen oder herbeigeredeten Zeitenwende, die diese Wahl darstellte. Wer mitten im Glashaus des aktuellen Geschehens sitzt, sollte aber nicht vorschnell mit Steinen der Bewertung schmeißen. Denn wie historisch die Ereignisse des April/Mai 2016 tatsächlich sind, wird sich erst in gebührender zeitlicher Distanz klären lassen. Auch die Rede von der Tiefe der Gräben im Land könnte sich mehr als aufgeregtes (Medien-)Gegacker denn als eindeutige Tatsache erweisen. Man sollte sich da durchaus ein Beispiel an der ersten Wortmeldung des Wahlsiegers nehmen, der wenig beschönigte, aber auch nicht dramatisierte: Das Land sei politisiert worden, meinte Alexander Van der Bellen durchaus anerkennend. Solch Befund trifft den Nagel auf den Kopf.

Diese Politisierung ging auch mit einer Positionierung der Gesellschaft einher, die, im Nachhinein betrachtet, durchaus überraschend wirkt. Auch wenn es ein üblicher österreichischer Reflex ist, Stimmen von außen nicht wahrnehmen zu wollen und ganz schnell "das Ausland" als böse hinzustellen, lohnt es sich, der Außensicht Augenmerk zu schenken. Nur ein Beispiel von vielen ist die Beobachtung, die in der Berliner Zeitung unmittelbar vor der Wahl zu lesen war: "Die Sozialdemokraten, die liberale Opposition, fast die gesamte konservative Volkspartei, der Wiener Kardinal und etliche katholische Verbände, die Industrie, ja, praktisch die gesamte Wirtschaft: Sie alle scharen sich um den Grünen. Man muss es gar nicht offen tun; es reicht, bestimmte Codewörter wie 'Offenheit','Abschottung','Europa' zu verwenden."

Es wäre sinnvoll, derartige Beobachtung an der politischen Ausrichtung der verschiedenen Player der Zivilgesellschaft durchzubuchstabieren. An dieser Stelle soll dies vor allem mit dem Blick auf die kirchlichen Stimmen geschehen, denn hier wird doch eine Zeitenwende manifest - ein Novum in der Zweiten Republik: Es war mehr eine Frage der Nuancierung und des politischen Geschmacks, ob die "katholische" Positionierung für Alexander Van der Bellen implizit oder explizit ausfiel: Was Kardinal Schönborn oder auch die Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, im Vorfeld geäußert hatten, sparte den Namen des Kandidaten aus, während etwa die Katholische Frauenbewegung, der Katholische Akademikerverband und auch andere katholische Stimmen gar nicht mehr verklausuliert argumentierten. An der grundsätzlichen Positionierung änderte das aber wenig.

Christen können nun erst recht nicht politisch neutral sein

Dass Andreas Laun, der Rechtsaußen unter Österreichs Bischöfen, sich seinerseits für Norbert Hofer ins Zeug legte und alle Van-der-Bellen-Wähler gleich pauschal verunglimpfte (und dafür von Kardinal Schönborn in bislang ungekannter Weise zurechtgewiesen wurde), passt durchaus in dieses Bild der Politisierung auch des kirchlichen Segments. Bei aller - historisch notwendigen -parteipolitischen Zurückhaltung der katholischen Kirche können Christinnen und Christen heute nicht mehr politisch neutral agieren. Papst Franziskus lebt das mit seiner Option für Arme und Flüchtlinge vor, das diesbezügliche Engagement hierzulande, das im katholischen Kernsektor stark ist, bildete sich nun auch in der Wahlentscheidung ab.

Das liegt aber durchaus in Österreichs kirchlicher Tradition, wie sie ein Diktum Kardinal Königs, das heute weiter aktuell ist, beschreibt: Der Altvordere des österreichischen Nachkriegskatholizismus hatte da gemeint, dass es "die Parteien selbst sind, die durch ihre Programme, ihre Praxis und die Auswahl ihrer handelnden Personen Nähe oder Ferne zur Kirche bestimmen". Dass der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer im Jahr 2009 aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, war da ein klares Statement seinerseits. Denn damals hatte es katholischen Widerspruch gegen die Vereinnahmung des Christentums durch die FPÖ gegeben, wogegen Hofer mit dem Kirchenaustritt protestierte. Dass er sich im Präsidentschaftswahlkampf nun als "Christ" gerierte, wurde im katholischen Aktivsegment kaum ernst genommen. Hofer gehört bekanntlich heute der evangelischen Kirche an - man darf gespannt sein, wie die kleinere christliche Konfession mit seinen politischen Positionen künftig umgeht.

Diese Fragestellung trifft aber die Katholiken gleichermaßen. Denn dass Hofer gerade "auf dem Land" in der Wählergunst vorn lag, birgt auch eine Botschaft: Wo die einstige "Volkskirche" noch am ehesten präsent ist, war Blau die politische Farbe der Wahl. Auch an diesem Befund einer politischen Zeitenwende gibt es - leider - nichts zu deuteln.

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