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Das Gespräch führte und übersetzte Udo Kawasser.

In ihrem neuen Roman „Unendlichkeit in ihrer Hand“ (Droemer Knaur 2009) erzählt die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli die biblische Geschichte von Adam und Eva neu. Sie liest sie als einen Gründungsmythos unserer Kultur, der Neugier und Wissensdurst bestraft, und stellt diesen Mythos erzählend in Frage.

BOOKLET: Sie scheinen in Ihrem Roman die biblische Paradiesgeschichte völlig gegen den Strich zu bürsten ...

GIOCONDA BELLI: Mein Roman ist postmodern in dem Sinn, dass er die Dekonstruktion des Mythos bietet. Andererseits bin ich überzeugt, dass sich die Frauen wegen ihrer marginalisierten Stellung als unterworfene Gruppe von den Bildern von sich selbst, die ihnen in Mythen wie diesen jahrhundertelang vorgelegt worden sind, befreien müssen. Ich glaube, dass mein Roman eine Eva zeigt, die sich an der Schöpfung der Welt beteiligt, die ständig das Verbot herausfordert, die patriarchalische Macht: Es ist die revolutionäre Eva, die wir Frauen sein müssen, um diese unsere Welt neu zu erschaffen.

BOOKLET: Nach der Vertreibung aus dem Garten Eden verzehren sich Adam und Eva vor Heimweh nach dem Paradies. Die Schlange, die zur beinahe exklusiven Gesprächspartnerin Evas wird, sagt am Ende: „Das einzige Paradies, in dem die Existenz etwas Reales ist, ist jenes, in dem Ihr die Freiheit und die Erkenntnis besitzt.“ Gibt es eine Verbindung zwischen dieser Sehnsucht und Ihrem revolutionären Kampf im Nicaragua der siebziger Jahre?

Belli: Ich würde nicht sagen, dass sich die beiden vor Heimweh verzehren. Ich glaube, dass die Schwierigkeiten, sich an die Erde zu gewöhnen, bei ihnen dazu führen, das „Fünfsternehotel“, das das Paradies zweifellos darstellte, zu vermissen. Aber schön langsam begreifen sie ihre Rolle, beginnen sie zu schätzen, was es bedeutet, die Erkenntnis geraubt zu haben und von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. Die Schlange, die in meinem Buch eine Art weibliches Alter-Ego des Schöpfers ist, regt sie dazu an, die Vorstellung vom Paradies in Frage zu stellen, indem sie ihnen zeigt, dass es ohne Freiheit und ohne Erkenntnis kein Paradies gibt. Und dies ist eine Erkenntnis, die wiederum aus den Lehren der autoritären und patriarchalen Revolutionen zu ziehen ist, in denen uns das Paradies im Tausch gegen Fügsamkeit und Parteidisziplin angeboten wurde, im Tausch dafür, dass wir nicht mehr wissen sollten, was diese „göttlichen“ Führer und Politbüromitglieder für uns als gut befanden.

BOOKLET: Sie zeichnen in Ihrem Buch einen ziemlich vorsichtigen und besorgten Adam und eine Eva mit einem beinahe faustischen Durst nach Erkenntnis ...

BELLI: Mein Roman stellt die Dualität von Gut und Böse, mit der wir im Christentum aufgewachsen und erzogen worden sind, in Frage. Die Schlange ist sowohl gutmütig als auch pervers und auf diese Weise wirkt sie menschlicher, eher dazu fähig, den Mann und die Frau zu verstehen. Andererseits stelle ich mir die Frau ohne die Folgen einer Geschichte vor, in der sie die „Schuld an der Erbsünde“ trägt. Indem sie sich nicht schuldig fühlt und auf Distanz zum Schöpfer geht und seine Absichten erahnt, begreift sie, dass die Erkenntnis, das Wissen notwendig ist, um in der Welt zu existieren und deswegen verfolgt sie es, sucht sie nach ihm ohne Unterlass. Adams Handeln hingegen bewegt sich mehr innerhalb der patriarchalischen Tradition und zwar in dem Sinn, dass er mehr Furcht vor dem Schöpfer hat, mehr Respekt vor dessen Rolle zeigt. Das macht ihn ängstlicher. Aber im Roman leben beide gleichzeitig in einer Welt, in der es noch keine Rollen gibt, wo Gleichheit herrscht und die Frau ihre Fähigkeiten und Intuitionen bis zum Maximum entwickeln kann.

BOOKLET: Man könnte folgern, dass es darum geht, dass sich auch die Männer endlich emanzipieren. Welche Wünsche haben Sie da?

Belli: Ich würde mir wünschen, dass es die Männer nicht mehr brauchen, sei es bewusst oder unbewusst, die oberen Ränge in der Hierarchie einzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass sie ihre Sicherheit nicht daraus beziehen, andere zu beherrschen, insbesondere, dass sie nicht das Gefühl hätten, dass sie die Frauen dominieren oder die Schlacht gegen sie gewinnen müssen. Die Emanzipation ist sehr schwer für den Mann, weil seine Identität auf einem engen Begriff von Überlegenheit und Vorherrschaft errichtet ist. In Bezug auf die Frauen, denke ich, werden sich die Männer dann emanzipieren, wenn sie begreifen, dass es nicht darum geht, die Macht abzutreten, sondern sie zu teilen.

BOOKLET: Wie sehen Sie die aktuelle Situation in Nicaragua?

Belli: Wir sind in einem gefährlichen Populismus gefangen. Daniel Ortega hat die Sandinistische Revolution jeden Sinns entleert und verwendet die Sehnsucht und die Symbole jener Zeit, die sehr stark mit der Volksidentität Nicarguas verbunden sind, um das Trugbild einer Revolution zu schaffen. In Wirklichkeit haben wir eine Regierung, die intrigiert und keine moralischen oder politische Skrupel hat, um straflos alles zu tun, um die Führungsmacht von Ortega und dessen Frau zu befestigen. Sie wurde von niemandem gewählt und dennoch handelt sie wie eine virtuelle Kopräsidentin des Landes. Diese Doppelpräsidentschaft hat unsere demokratischen Anfänge verraten, hat Wahlen manipuliert, hat ein Netz von Bürgermachtsräten (Consejos de Poder Ciudadano) etabliert. Sie haben Chavez’ Schema übernommen, nur ohne das Geld und die Popularität von Chavez. Es ist eine Katastrophe. Ich habe in einem Artikel geschrieben, dass wir in Lateinamerika in dem Maße, wie diese populistischen Präsidenten versuchen, gegen die Verfassungen ihrer Länder zu verstoßen und im Namen des Volkes sich über die demokratischen Institutionen hinwegzusetzen, noch mehr Fälle wie Honduras haben werden.

BOOKLET: Sie pendeln zwischen zwei Welten, leben ein halbes Jahr in Santa Barbara in Kalifornien und ein halbes Jahr in Managua, Nicaragua. Welche Erfahrungen machen Sie als Frau in diesen unterschiedlichen Kulturen?

Belli: Wir Frauen von heute leben in einer Art Schizophrenie, denn man verlangt von uns, dass wir modern und emanzipiert sein, aber auch die Attribute traditioneller Frauen bewahren sollen. Mir scheint, dass diese Spannung zwischen dem, was wir sein wollen, und dem, was man uns als weibliches Ideal nahelegt, zu einem starken inneren Kampf führt. Ich habe versucht ein Gleichgewicht zwischen meinem Privatleben, der Familie, meiner Liebe für meinen Mann, der in Kalifornien arbeitet, und der politischen und intellektuellen Frau, die ihren Platz in Nicaragua hat, zu finden. Dieser Kampf hat in mir viele Zweifel und Schuldgefühle ausgelöst. Ich glaube, dass ich die nicaraguanische Kultur bevorzuge. Trotz aller Beschränkungen eines „Dritteweltlandes“ bietet sie mir mehr als die nordamerikanische Kultur, die mir isolierend und zu individualistisch vorkommt.

Gioconda Belli (geb. 1948 in Managua, Nicaragua) beteiligte sich in den 70er Jahren am Widerstand der Sandinisten gegen die Diktatur, ging ins Exil und kehrte mit dem Sieg der Sandinisten nach Nicaragua zurück. Ihre erotischen Gedichte lösten Anfang der 70er Jahre einen Skandal aus. Mit ihrem Roman „Bewohnte Frau“ (1988) wurde Gioconda Belli auch international bekannt.

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