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Sympathien für den Teufel?
Satanskult in Österreich: Ein Opfer klagt an” titelte kürzlich eine Trendzeitschrift. Berichtet wird über jugendliche Satansjünger, die „schwarze Messen” feiern. Sie schlachten dabei Tiere und vergewaltigen minderjährige Mädchen. Botschaften wie diese garantieren zwar die Aufmerksamkeit der Leser, sind in der Begel aber mit Vorsicht zu genießen. Sie setzen Form und Inhalt gleich und berücksichtigen nicht, ob das äußerlich Sichtbare übereinstimmt mit der Intention der 1 landlungen und Bituale. Die Verfasser solcher Beportagen ignorieren häufig, daß Jugendliche den Satanismus nicht selten als Ideologie benützen, um eigene Aggressionen zu rechtfertigen.
Der US-amerikanische Soziologe Jeffrey S. Victor plädiert dafür, generell eher von „pseudosatanischen” jugendlichen Straffälligen zu reden als von Satanisten. Denn insbesondere okkulte Gruppen üben auf straffällige und soziopathische Persönlichkeiten eine gewisse Anziehungskraft aus, weil sie dort abwegiges Verhalten unter dem Deckmantel einer „Beligion” legitimieren können. Das ergaben Untersuchungen okkultbezogener Kriminalfälle. Victor stellte sogar bei fast allen Jugendlichen, die sich selbst als „bekennende Satanisten” bezeichneten, fest, daß ihnen die entsprechenden theoretischen Kenntnisse fehlten. Sie bastelten sich aus okkulten Büchern eine kriminelle
Ideologie zusammen, um entweder aggressive Feindseligkeit auszudrücken, Bebellion gegen soziale Unterdrückung zu rechtfertigen oder öffentliche Aufmerksamkeit zu erhaschen. Widerlegt werden Sensationsberichte über ausufernden Jugend-Satanismus überdies durch empirische Untersuchungen. Demnach hegen etwa nur 0,4 Prozent der Schüler in Deutschland Sympathien für den Teufel. Im Einzelfall beruhigt dies natürlich nicht.
Charakteristisch für Jugend-Satanismus ist eine Mischung aus verschiedenen okkult-magischen Zusammenhängen, Vorgegebenem, eigenen Anschauungen und Mutmaßungen. „Be-ligionsbricolage” nennt der Pädagoge Werner I Ielsper, Dozent an der Universität Halle, diese Form von Beligion. Man versteht darunter religiöse Sinnangebote, die von den Jugendlichen nicht en gros übernommen, sondern auszugsweise - in einer Art Montage zu eigener Beligion zusammengefügt werden. Eckhard Türk, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Diözese Mainz, spricht bei dieser Erscheinungsform vom „synkretistischen Jugend-Satanismus” (vgl. nebenstehenden Buchtip). Wie im Synkretismus werden auch hier unterschiedliche Lebensstile, Moden und Bichtungen zu einem neuen Ganzen zusammengefügt. Jeder mixt sich sein individuelles satanisches Potpourri, ohne auf die Bedeutung und Verwendung unterschiedlicher (pseudo-)sata-nischer Symbole zu achten. Hauptsa-
Spektakuläre Fälle scheinen das Gegenteil zu signalisieren. Dennoch gibt es keine Anzeichen für besorgniserregenden Satanis-mus unter Jugendlichen. che, dem eigenen Lebensgefühl wird Ausdruck verliehen. Dies erklärt auch, warum es im Jugend-Satanismus für die Verwendung von Symbolen, wie etwa dem Pentagramm (fünfzackiger, auf der Spitze stehender Stern) keine alleingültige Lesart gibt.
Verborgene Botschaften, umgedrehte Sätze, die die Göttlichkeit Satans propagieren und zeigen sollen, daß er alles auf den Kopf zu stellen vermag, findet man auch hier. Wer besonders eifrig nach Zeichen des Satans Ausschau hält, wird meist auch anfällig für Wahrnehmungsverzerrungen. Da kann es vorkommen, daß selbst Alltägliches wie Telefonklingeln auf die Kundgabe Satans umgedeutet wird. Auch die vielzitierten „schwarzen Messen” sind eine Mischung verschiedener Versatzstücke, wobei meist ein Jugendlicher, der die rituelle Kompetenz an sich zieht, Begie führt. Dessen Vorerfahrungen und das „Wissen” bestimmen den Ablauf einer solchen „Messe”.
Was bewegt Jugendliche, sich solch okkulten Gruppen anzuschließen? Aufschlußreich sind hier die -spärlich vorhandenen - Porträts und Biographien ehemaliger „Satanisten”. Hauptmotiv für die Faszination des „Bösen” liegt diesen Quellen zufolge meist in der jeweils problematischen I>ebenssituati-on des einzelnen. Zentral ist ein wiederholtes, oft traumatisches Zerbrechen der Beziehungen zu den zentralen emotionalen Bezugspersonen (Eltern ...), das zum grundlegenden Verlust von Sicherheit und Vertrauen führt, analysiert Pädagoge Helsper. Sich-Selbst-Überlassen-Sein, Bezie-hungslosigkeit, Desinteresse an der eigenen Person werden zur generellen emotionalen Unterversorgung. Mangelndes Vertrauen, Verlassen- und Ausgestoßen-Werden, zum Teil rigide und brutale Kontrollen sowie Sanktionierungen lassen insbesondere nahe Bezugspersonen zu gefährlichen Verfolgern und Aggressoren werden, zu „bösen Geistern” des eigenen Lebens. „Böse” sind okkult-magische Riten nicht per se, postuliert Sektenexperte Türk: „Nicht der Satanismus stellt die Ursache für die Probleme dar, sondern die Probleme sind die Ursache für den Satanismus.”
In Teilbereichen unbeantwortet bleibt indes die Frage, warum Jugendliche den Satan überhaupt beschwören. Der Psychoanalyse folgend wird als ein mögliches Motiv interpretiert, daß so die Nähe zu den machtvollen, gefährlichen Elternbildern erneut gesucht und gleichzeitig neu bearbeitet werde: mittels magischer Macht sich die Übermacht des gefährlichen Bösen gefügig und zu eigen zu machen, es unter die eigene Kontrolle zu zwingen. Allerdings bleibt dieser Versuch ein höchst ambivalentes Unterfangen, denn die lebensgeschichtlichen Erfahrungen werden in der Beschwörung des Satans in verdichteter Form virulent. Oft erweist sich das, was gebannt und unter Kontrolle gebracht werden soll, am Ende doch als mächtiger. Stets vorhandene Angst wird übermächtig.
Suche nach dem „Thrill” und Lust an der Angst sind als Motive ebenfalls weit verbreitet. Dahinter steht meist der Wunsch nach Aufwertung, Prestigesteigerung, Macht oder aber die Abgrenzung gegen die offizielle Kirche. Als Protest gegen die Welt schlechthin sieht etwa der Theologe W. Janzen die Faszination Satans. Wer sich als Un-derdog der Gesellschaft fühlt, baut sich Gegenwelten und Subkulturen, in denen sich die Rebellen gegen das „Establishment” formieren. Auch Satan ist gegen alles Etablierte und baut eine Gegenwelt gegen „die da oben” auf.
Den meisten Jugendlichen geht es in der Auseinandersetzung mit dem Okkulten nicht um Sinnfindung, sondern um Erlebnisintensität, einen „Thrill” gegen die alltägliche Langeweile. Parallel dazu gibt es auch die Irritation der Weltsicht durch Grenzerfahrungen im Jugendalter, eine Suche nach Lebenshilfe, den Wunsch nach Aufwertung und Machtzuwachs. Besonders den Fans von „Heavy Me-tal”, einer ziemlich lauten, oft aggressiven Spielart der Rockmusik, wird nachgesagt, Neigungen für Satanisches zu haben. Das stimmt so nicht, denn in* erster Linie fasziniert hier die kraftvolle Musik. Durch sie gelingt es den Jugendlichen, sich wie mit einer Schallmauer von der Erwachsenenwelt ab zugrenzen. Musik und Text sind aber auch gezielte und bewußte Provokation: Unangepaßtes löste in allen Epochen jugendliche Begeisterung aus.
Negatives Lebensgefühl wurde besonders in den achtziger Jahren mit der Symbolik des Satans ausgedrückt. Dabei, fällt auf, daß Satan als Gegenprinzip zu Gott gedacht ist. Er wird zum Bestandteil einer Gegenwelt, zum Symbol für den Protest gegen die ganze Welt. Er repräsentiert den Widerstand gegen Gott und das Gute, das sich im.) täglichen Leben ohnehin nur als Illusion entpuppt. Mit Hilfe der Musik können viele Jugendliche Aggressionen und Frustrationen verarbeiten, oder ihren Leidensdruck durch Zudröhnen für den Zeitraum des Musikgenusses verdrängen. Heavy Metal - eine teuflische Musik? Der Satanismusforscher Josef Dvorak erzählt überzeugend, daß der Gründer der Church of Satan, Anton LaVey, Rock völlig ablehnt. Satanische Musik müsse schön klingen, also Mozart, Schubert, Palestrina.
Ohne verharmlosen zu wollen: im Zusammenhang mit den aufgezeigten satanischen Phänomenen ist es eher angebracht, von „Pseudosatanismus” zu sprechen. Anzeichen für einen besorgniserregenden Satanismus unter Jugendlichen sehe ich nicht, wohl aber viele besorgniserregende Anzeichen für die Zukunftschancen Jugendlicher. Als Prävention - auch gegen einen synkretistischen Jugendsatanismus -empfehlen sich alle Maßnahmen, die dazu beitragen, die Lebenssituation Jugendlicher mit mehr Zukunftsperspektiven zu versehen. Als Prävention empfiehlt sich auch eine offene Gesprächshaltung für Erwachsene, die Konflikte weder mit einem Machtwort beendet, noch ihnen ausweicht, sondern die immer wieder zur Auseinandersetzung und zum Gespräch einlädt.
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