S2 petersplatz - ©  Getty Images / AFP / Ludovic Marin (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Zur Weltsynode in Rom: Wie geht kollektive Wahrheitsfindung?

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Ab 4. Oktober tagt in Rom die erste Session der Weltsynode – erstmals mit stimmberechtigten Frauen. Wende- oder Kipppunkt in der katholischen Kirche? Man sollte dieser Synode und den Synodalen etwas zutrauen!

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Ab 4. Oktober tagt in Rom die erste Session der Weltsynode – erstmals mit stimmberechtigten Frauen. Wende- oder Kipppunkt in der katholischen Kirche? Man sollte dieser Synode und den Synodalen etwas zutrauen!

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Es ist (s)ein Mantra: Immer wieder betont Papst Franziskus, Syn­odalität nicht mit Parlamentarismus zu verwechseln. Es gehe nicht darum, Mehrheiten zu suchen, um ganz bestimmte Abstimmungsergebnisse hinzubekommen. So banal es klingt: Es geht dabei um einen geistlichen Prozess: ums Hören – anders, echt, ernst gemeint, nicht gemimt.

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Der Historiker Volker Reinhardt, ein Kenner des Papsttums, nannte die Weltbischofssynode in der Zeit-Beilage Christ & Welt eine „pseudodemokratische Illusion“. Sie diene vornehmlich dem „Machterhalt“. Andere, wie der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, sprechen von „Beteiligungssimulation“. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf zweifelt grundsätzlich. Für ihn ist die Syn­ode nur „ein weiterer Debattierclub ohne rechtliche Vollmachten“: „Es ist ein reines Beratungsinstrument – entschieden wird nichts. Zwar spricht Franziskus den ganzen Tag über Synodalität und Subsidiarität – aber faktisch nimmt er beides nicht ernst.“ Und Wolf setzt noch eins drauf: Es gebe „weder Demokratie noch Gewaltenteilung. Und: „ Es gibt noch nicht mal eine Tagesordnung. Typisch jesuitisch ist, dass es ein Arbeitspapier gibt und zu dem soll ein Brainstorming stattfinden. Franziskus uminterpretiert Synodalität im Sinne einer jesuitischen Aktivierung.“ Ist also alles nicht ernst gemeint, was der Papst vorhat, der die Kirche vor drei Jahren auf einen synodalen Prozess eingeschworen hat?

Top-down muss anders werden

Die vergangenen Jahre haben zutage gefördert, dass die Frauenfrage, der Wunsch nach einer anderen Entscheidungsfindungskultur und nach echter Beteiligung keineswegs nur „europäische“ Forderungen sind. Diese und weitere Themen sind auf allen fünf Kontinenten virulent, wenn auch, kulturell bedingt, mit unterschiedlichen Gewichtungen. Aber sie sind unübersehbar da.

Die Kirche muss neu lernen zu hören. Ihre Amtsträger vor allem. Aber nicht nur auf ihresgleichen. Und ohne ideologische Scheuklappen. Es ist also ein Lernprozess, ein mühsamer Übungsweg – und der braucht Zeit! Auch deswegen, weil Entscheidungen bisher meist top-down getroffen wurden: Der Papst, der Bischof, der Pfarrer entscheidet, basta! Das soll, das muss, das wird anders werden!

Diesmal sind auch 80 Nichtbischöfe dabei. Das ist neu. Es zeigt, dass sich die kurz vor Abschluss des II. Vatikanums von Paul VI. 1967 erstmals einberufene „Bischofssynode“ weiterentwickeln wird. Das verdanken wir Franziskus. Die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop spricht zwar von einem „Paradigmenwechsel“. Aber sie wendet ein: „Die Beteiligung der Laiinnen und Laien bleibt Symbolpolitik. Unter den 363 stimmberechtigten Synodalen sind rund 100 Personen keine Bischöfe, darunter 54 Frauen. Sie können schon quantitativ kein kritisches Gegengewicht zu den Bischöfen bilden.“

Längst ist jedoch klar: Die Zeiten sind vorbei, in denen Bischöfe nur untereinander beraten. Es stimmt: Der Papst ist völlig frei, was er damit macht. Aber Franziskus wird starke Mehrheitsvoten nicht noch einmal, wie im Nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia (2020), in dem er das Zwei-Drittel-Votum (!) der dort stimmberechtigten Bischöfe mit keiner einzigen Silbe erwähnt, wenigstens in ihrerRegion „bewährte Männer“ (viri probati) zum Priesteramt zuzulassen, übergehen können.

Diese Kirche hat keine Angst vor der Vielfalt, die sie in sich birgt, sondern bringt sie zur Geltung, ohne sie zur Gleichförmigkeit zu zwingen.

Arbeitsdokument zur Weltsynode

Auf dem Rückflug von seiner Mongolei-Reise sagte Franziskus: „Wenn man auf ideologische Weise denkt, ist die Synode am Ende! In der Synode ist kein Platz für Ideologie: Es gibt Raum für den Dialog, für die Begegnung unter Brüdern und Schwestern und für die Auseinandersetzung mit der Lehre der Kirche.“ Er skizzierte dabei auch die „synodale Atmosphäre“, die entstehen soll: „Dies ist keine Fernsehsendung, in der über alles Mögliche geredet wird. Nein. Da gibt es ein religiöses Moment, ein Moment des religiösen Austauschs. Denken Sie nur daran, dass in den synodalen Beiträgen jeder drei bis vier Minuten spricht und dann gibt es drei bis vier Minuten Stille für das Gebet. Dann weitere drei und wieder Gebet. Ohne diesen Geist des Gebets ist es nicht Synodalität, sondern Politik, Parlamentarismus.“

Die Ordensfrau Nathalie Becquart, Untersekretärin der Bischofssynode (also die Nummer drei!), stellte klar: „Ziel einer Synode ist es nicht, Entscheidungen zu treffen, bei denen die Hälfte oder drei Viertel der Leute nicht mitgenommen werden. Das geht nicht.“ Was geht dann also? Mein Plädoyer: Abwarten, nicht Beratungen von vornherein kleinreden. Wenn klar wäre, was am Ende der Synode, herauskommen soll, wäre doch alles schon fixiert.

Kann Synodalität funktionieren?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese 26 Tage dauernden Beratungen nicht eine Auswirkung haben darauf, wie der Papst, wie die Kurie künftig vorangeht. Ist das zu blauäugig? Erzbischof Franz Lackner, Kardinal Christoph Schönborn, ein „Synodenveteran“, und die Linzer Pastoraltheologin Klara-Antonia Csiszar sind die österreichischen Teilnehmer. Trauen wir ihnen etwas zu!

Wer die Äußerungen des Papstes, die Stellungnahmen der federführenden Kardinäle Mario Grech und Jean-Claude Hollerich und wer die bisherigen Dokumente zur Kenntnis nimmt: Kann man da wirklich zu einer düsteren, negativen Sicht gelangen?

Damit Synodalität funktioniert, so der Neutestamentler Thomas Söding, der an der Weltsynode teilnimmt, „müssen drei künstlich erzeugte Gegensätze aufgehoben werden: Hören und Handeln, Beraten und Entscheiden, Geist und Struktur dürfen nicht auseinanderfallen, sondern müssen verbunden werden.“ Eva-Maria Faber, Dogmatikerin in Chur, setzt in den Stimmen der Zeit auf „Lernchancen“: „Nur wenn im ,syn‘ das ,dis‘ zugelassen wird, sind Transformationen möglich. Diese These nun betrifft auch die Stilfragen.“ Es gehe um „die Bereitschaft, sich besserer Einsicht zu öffnen. Synodalität würde also verlangen, Argumente nicht nur für die eigene und gegen die andere Position zu suchen, sondern in einem komplexen Prozess pro und contra für alle Positionen durchzuspielen, ohne Gegnerschaften aufzubauen.“

Synodale Werkzeugkiste

Das „Instrumentum laboris“ (IL), das Arbeitsdokument für die erste Session, mag zwar „viel Synodenpoesie“ (Moritz Findeisen) enthalten, streckenweise „vage“ bleiben oder sich „hinter dem Fragemodus“ verschanzen. Aber es fasst die diözesanen und kontinentalen Ergebnisse zusammen.

Das entscheidende Stichwort dieser „synodalen Werkzeugkiste“ lautet „Unterscheidung“. Nicht jeden Tag zu hören: „Diese Kirche hat keine Angst vor der Vielfalt, die sie in sich birgt, sondern bringt sie zur Geltung, ohne sie zur Gleichförmigkeit zu zwingen. Der synodale Prozess war eine Gelegenheit, damit anzufangen zu lernen, was es bedeutet, Einheit in Vielfalt zu leben.“ (IL 25).

Zur Methodik liest man: „Über alle Kontinente hinweg ist zu erkennen, wie fruchtbar die hier als ,Gespräch im Geist‘ bezeichnete Methode war, die in der ersten Phase zum Tragen kam und in einigen Dokumenten als ,geistliches Gespräch‘ oder ,synodale Methode‘ bezeichnet wird.“ (IL 32) „Wie können wir unseren Strukturen und Institutionen die Dynamik der missionarisch-synodalen Kirche einhauchen?“, lautet eine Frage. Die Kirche ist tatsächlich unterwegs zu einer neuen synodalen Kultur und Spiritualität. Sie hat mit „Umkehr“ zu tun – was nicht vorschnell als Spiritualisierung abgetan werden sollte, weil wir vor allem strukturelle Reformen im Blick haben. „Welche neuen Ämter könnten geschaffen werden?“, „Wie kann Mitverantwortung in Entscheidungsprozessen an abgelegenen Orten und in sozial problematischen Kontexten erhört werden, wo Frauen oft die Hauptverantwortlichen in der Seelsorge und Evangelisierung sind?“ – Sind das keine relevanten Fragen?

Kollektive Wahrheitsfindung ist, wie schon auf dem letzten Konzil, ein mühsames Geschäft. Der Weg mag steinig sein. Aber Synodalität ist zu lernen. Deswegen müssen sich alle daran beteiligen.

Der Autor ist Theologe, Publizist und Seelsorger in München.

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