Theologin Rettenbacher: „Die Kirche macht nichts aus ihrem Wissen“
„Wer schweigt, trägt das System mit“, sagt Sigrid Rettenbacher. Für die Linzer Moraltheologin gehören kritische Fragen zur Zukunft der Kirche. Erst recht beim Synodalen Prozess wie bei der Weltsynode in Rom.
„Wer schweigt, trägt das System mit“, sagt Sigrid Rettenbacher. Für die Linzer Moraltheologin gehören kritische Fragen zur Zukunft der Kirche. Erst recht beim Synodalen Prozess wie bei der Weltsynode in Rom.
Durchs Reden kommen d’Leut z’samm: Auch so könnte man das Anliegen hinter dem Synodalen Prozess und der Weltsynode pointiert zusammenfassen. Für die Moraltheologin Sigrid Rettenbacher gibt es in der katholischen Kirche da aber noch ordentlich Luft nach oben.
DIE FURCHE: Das Christentum ist eine Buchreligion. Ist das offene Reden in der katholischen Kirche gerade deshalb keine Paradedisziplin?
Sigrid Rettenbacher: „Theologie“ bedeutet „Rede von Gott“. Das funktioniert nur über das Werkzeug der Sprache. Sie ist für den Glauben essenziell. Sonst wüssten wir ja gar nichts über die Osterereignisse vor 2000 Jahren. Dennoch gibt es so einiges, worüber die Kirche nicht spricht. Ein Grund ist wohl, dass sie Privilegien und eine gewisse Bequemlichkeit nicht aufgeben möchte. Für die Kirche wäre es heilsam, darauf zu schauen, welche Machtfaktoren mitspielen, wenn gesprochen wird. Oder eben geschwiegen.
DIE FURCHE: In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich damit, worüber die Kirche nicht gern spricht. Ihre Erkenntnisse?
Rettenbacher: In meiner Arbeit mit postkolonialen Theorien aus den Kulturwissenschaften geht es stark um Macht- und Repräsentationsfragen. In den „Critical Whiteness Studies“ gibt es das Schlagwort „White Ignorance“. Marginalisierte bemühen sich, die Welt der Privilegierten zu verstehen, um nachteilige Situationen zu vermeiden. Privilegierte hingegen können es sich leisten, von den Ausgeschlossenen nichts zu wissen – ansonsten müssten sie sich und ihre eigene Lebensweise infrage stellen. Diese Theorie ist inspirierend, sie lässt sich vielseitig anwenden. Etwa auf die Frage nach Frauen und Weiheämtern. In der Kirche sind privilegierte Männer am Werk, die im System gut leben. Ihre Vorteile gegenüber Frauen, die sie ausschließen, machen sie sich kaum bewusst. Deshalb beschäftigen sie sich auch nicht oder nur wenig mit den Folgen. Das scheint für sie bequem und vertretbar zu sein.
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