Autismus Kommunikation Körpersprache - © Collage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von iStock/ozgurdonmaz

Stefan Verra: „Es braucht Signale der Bindung“

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Der Welt-Autismus-Tag am 2. April soll Bewusstsein für ein breites Spektrum rätselhafter Erkrankungen schaffen. Körpersprache-Experte Stefan Verra über seine Arbeit mit Menschen, die oft an der alltäglichen Kommunikation scheitern.

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Der Welt-Autismus-Tag am 2. April soll Bewusstsein für ein breites Spektrum rätselhafter Erkrankungen schaffen. Körpersprache-Experte Stefan Verra über seine Arbeit mit Menschen, die oft an der alltäglichen Kommunikation scheitern.

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Menschen aus dem Autismus-Spektrum haben in ihrem Alltag mit einigen Herausforderungen zu kämpfen: Dazu zählen vor allem das Sozialverhalten und die Kommunikation – sowohl der verbale als auch der non-verbale Austausch mit anderen Menschen. Nicht zufällig ist Stefan Verra auf die Arbeit mit dieser Gruppe gestoßen. Seit über 20 Jahren beschäftigt sich Verra mit dem Thema „Körpersprache“. Der gebürtige Osttiroler ist überzeugt, dass viele Missverständnisse vermeidbar wären, wenn mehr Menschen darüber Bescheid wüssten, welche Botschaften sie mit dem eigenen Körper aussenden.

Verra ist sowohl in der Wirtschaft als auch im Nonprofit-Bereich tätig. Vor kurzem ist sein Buch „Körpersprache gendert nicht“ (Ariston, 2023) erschienen. Momentan tourt er mit der Show zum Buch durch den deutschsprachigen Raum. Neben Menschen aus dem Autismus-Spektrum und Hochbegabten widmet er sich nun auch Transgender-Personen im Rahmen eines Projekts im Klinikum Rechts der Isar in München. Anlässlich des Welt-Autismus-Tags am 2. April bat DIE FURCHE den bekannten Coach, Workshop-Leiter und Vortragenden im Wiener Café Prückel zum Gedankenaustausch.

DIE FURCHE: Herr Verra, Sie analysieren sonst gern Politiker und Prominente – wie sind Sie zu Ihrer Arbeit mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum gekommen?
Stefan Verra: Wie so oft in meiner Arbeit kamen die Menschen aus dem Autismus-Spektrum auf mich zu. Der erste Kontakt fand vor sieben Jahren statt. Damals war ich auf Tour mit meiner Show in Karlsruhe. Nach dem Event sprach mich eine Mutter mit ihrer Tochter aus dem Autismus-Spektrum an und sagte: „Herr Verra, wir sind verzweifelt: Meine Tochter tut sich schwer, Körpersprache zu lesen. Wir haben viele der erhältlichen Bücher studiert. Und sie hat alles auswendig gelernt, was da drin steht: Zum Beispiel ‚Arme verschränken‘ bedeute Verschlossenheit, ‚Lächeln‘ hieße Freundlichkeit, ‚Beine überschlagen‘ hieße Distanziertheit – und so weiter. Aber wir stellen fest, es hat nichts gebracht. Meine Tochter läuft immer noch gegen Mauern.“

DIE FURCHE: Das ist eine typische Erfahrung für Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Wo lag in diesem Fall das Problem?
Verra: Was die beiden übersehen hatten, war, dass ein einzelnes körpersprachliches Signal nie nur eine Bedeutung hat. Wenn ich die Arme verschränke, lächle, mich zu Ihnen hinbeuge, die Augenbrauen nach oben ziehe und Ihnen zunicke, kann das ein Sympathiesignal sein. Mache ich aber die gleiche Geste, sehe Sie finster an, schiebe den Unterkiefer nach vorne und sitze breitbeinig da, wirkt das plötzlich aggressiv. Dasselbe gilt für andere Körperbereiche: Ich kann meine Beine überschlagen, und es wirkt total distanziert; ich kann damit aber auch ein Flirt-Signal aussenden. Körpersprache ist eben nicht wie Vokabel-Lernen. Wissenschaftlich gesprochen: Körpersprache ist ein komplexes System. Aus klinischer Sicht spricht man von Integrierter Medizin. Übrigens gilt es immer auch, den Kontext und die Umgebung miteinzubeziehen. Stellen Sie sich vor, es hat draußen minus 25 Grad: Niemand verschränkt dann die Arme, weil man jemanden unsympathisch findet, sondern weil es kalt ist.

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