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Anthroposophie und Waldorf-Schulen

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Schon zum zweitenmal in diesem Schuljahr hat das Pädagogische Institut der Gemeinde Wien zu einem Vortrag über die „Waldorf-Schulbewegung“ eingeladen. Die schriftliche Einladung trägt die für Wiener Junglehrer und Lehramtskandidaten sehr verlockende Ankündigung: „Es besteht die Möglichkeit, daß Lehrer und Lehrerinnen an den Waldorf-Schulen eine Anstellung finden. Nach dem Vortrag gibt Herr Professor von Baravalle Auskunft über die Anstellungsbedingungen.“

Zwei Fliegen also auf einen Schlag: Man kann die Waldorf-Schulpädagogik kennenlernen, also seine pädagogischen Kenntnisse bereichern, und man kann vielleicht irgendwo in Deutschland oder in der Schweiz an einer Waldorf-Schule unterkommen, da während der nächsten Jahre in Wien die Aussichten für junge Lehrer ohnedies sehr gering sein werden. So harmlos, ja, so verheißungsvoll und erfreulich diese Tatsache mit Vortrag über die Waldorf-Schul-bcwegung auch aussieht, so muß doch zu den Waldorf-Schulen selbst ein Wort gesagt werden.

In den folgenden Zeilen geht es nicht für oder gegen das pädagogische Gedankengut der Waldorf-Schulen. Eine Auseinandersetzung darüber gehört in pädagogische Fachzeitschriften. Hier sei nur ganz allgemein bemerkt, daß die Pädagogik der Waldorf-Schulen im rein Methodischen manchen brauchbaren Gedanken enthalten mag und daß ein junger Lehrer in einem Kreis von Waldorf-Lehrern manche Anregung für seine Arbeiten finden kann. Vielleicht wird — ähnlich wie bei anderen Reformschulbewegungen — das eine oder andere einmal dauernder Besitz auch von Erziehern und Lehrern werden, die im übrigen anderen pädagogischen Strömungen anhängen. Vielleicht wird manches auch nach fünf oder zehn Jahren als Umweg und Irrweg erkannt und als unbrauchbar beiseitegestellt werden.

Hier soll von den weltanschaulichen Grundlagen der Waldorf-Schulen die Rede sein. Denn es besteht einiger Grund zur Annahme, daß die meisten Hörer des Vortrags am Pädagogischen Institut und die Interessenten für eine Anstellung an einer der Waldorf-Schulen von den philosophischen Hintergründen der Waldorf-Schulbewegung nichts wissen, vielleicht, weil man gern vermeidet, darüber mit aller notwendigen Klarheit und Aufrichtigkeit zu sprechen.

Die erste Waldorf-Schule ist 1919 von dem Begründer der Anthroposophie Dr. Rudolf Steiner errichtet worden, und zwar für die Kinder der Angestellten an der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart. Nach dieser ersten Schule tragen alle Schulen desselben Geistes ihren Namen. Wer von Rudolf Steiner nur einiges weiß, der weiß auch, daß er ein scharf profilierter Mensch war, der nichts nur Zufälliges, nur Beiläufiges schuf, sondern daß allen seinen Werken der Charakter seines Denkens und Wollens anhaftete. Das gilt sicher in besonderem Maße von seinen Schulgründungen.

Sind seine Schulen anthroposophische Lehranstalten? Man könnte glauben — und viele Nichtanthroposophen, die an solchen Schulen wirken oder sich um eine Anstellung an einer solchen Schule bewerben, werden es glauben-, daß man Lehrer an einer Waldorf-Schule sein, aber nicht Anthroposoph werden müsse. Die Frage ist wiederholt im Schrifttum der Wal-dorf-Schulbewegung gestellt und immer wieder ist diese Möglichkeit auch von anthroposophi-schen Autoren bejaht worden. Wer aber solche Ausführungen liest und nur einiges Fingerspitzengefühl besitzt, der wird sehr bald merken, wie vage und unbestimmt das ist, was die Vertreter der Waldorf-Schulbewegung zu diesem Problem zu sagen wissen. Da heißt es zum Beispiel in dem Buch „Waldorf-Pädagogik und Staatsschulwesen“ von Heinz Kloss (Ernst Klctt-Verlag, Stuttgart) auf Seite 95:

„Weltanschauung kann in einem weiteren und in einem engeren Sinne gemeint sein. In seiner weiteren Bedeutung ist es gleichsinnig mit Weltbild. Es bezeichnet dann auch solche Ueberzeugun-gen, die mit der religiösen Zugehörigkeit nichts oder nur mittelbar zu tun haben, wie z. B. die Einstellung zum Fleisch- und Alkoholgenuß, zum Waffendienst, zur Rassenfrage, zum Volkstum, zum

Eigentumsgedanken, zum Kantianismus, zur Relativitätstheorie usw.“

Schon diese Aneinanderreihung von Begriffen, die zum Teil auf sehr verschiedenen Ebenen liegen, muß den denkenden Christen aufhorchen lassen. Auf Seite 97 desselben Buches lesen wir:

„ ... es liegt im Wesen der Sache, daß auch in einer 'rein pädagogisch arbeitenden Konferenz diejenigen Lehrer, die neben den besonderen Gesichtspunkten der Pädagogik Rudolf Steiners auch solche aus seinem übrigen Lebenswerk sich zu eigen gemacht haben, manches anders ansehen als ihre Kollegen.

Gar keine Schwierigkeiten hingegen können der Zusammenarbeit zwischen Lehrern verschiedener weltanschaulicher Herkunft aus der Forderung erwachsen, daß niemals in den Unterricht anthroposophische Lehren hineinfließen dürfen. Natürlich ist nicht denkbar, daß Waldorf-Lehrer tagaus, tagein den Lehrstoff so darböten, als ob sie keine Anthroposophen wären.“

Man vergleiche diesen letzten Satz mit einem Wort des Verfassers auf der Seite vorher:

„An den Waldorf-Schulen wird kein Lehrgut, das man als für die Anthroposophie und nur für sie allein charakteristisch bezeichnen könnte, dargereicht.“

Und auf derselben Seite:

„Es ist übrigens auch unvorstellbar, daß die Nichtanthroposophen, die an den meisten Schulorten die große Mehrheit der Waldorf-Eltern bilden, sich eine solche Beeinflussung ihrer Kinder schweigend gefallen ließen, und noch weniger ist es vorstellbar, daß die Pfarrer der beiden großen Kirchengemeinschaften, welche Tag für Tag irgendwelchen Waldorf-Schülern Religionsunterricht erteilen, von einer solchen Beeinflussung nichts erführen und nicht, sei es bei ihren Kirchenbehörden, sei es in der Oeffentlichkeit, dagegen Einspruch erhöben.“

An andere Stelle, auf Seite 98, erfahren wir: „Also nicht die anthroposophische Weltanschauung lehren die Waldorf-Schulen, wohl aber ein goetheanistisches Weltbild.“

Einige Zeilen weiter unten wird der Verfasser deutlicher:

„Einer der bekanntesten Goetheanisten beklagte sich privatim darüber, er werde immer wieder gegefragt, ob er Anthroposoph sei; diese Frage bestätigt, daß sich Goetheanismus und Anthroposophie in Wesentlichem entsprechen.“

Die angeführten Zitate dürften schon zeigen, welche Verschwommenheit, welche Ungenauig-keit und Mehrdeutigkeit bei der Erklärung des weltanschaulichen Charakters der Waldorf-Schulen herrschen. Aber ist diese vage, mit den Kategorien logischen Denkens kaum ganz erfaßbare Unbestimmtheit nicht überhaupt ein Charakteristikum der „Geisteswissenschaft“ Rudolf Steiners? Indessen scheint ja die Gefahr der Anthroposophie nicht in der meist unverstandenen philosophischen Lehre Steiners zu liegen, sondern in seiner Anknüpfung an die weltanschaulichen Fragen der Zeit und in dem Versuch, sie im „geisteswissenschaftlichen“ Lichte zu beantworten. Da wimmelt es von richtigen und unrichtigen Gedankengängen, da werden , die Ereignisse des Weltgeschehens in Beziehung gebracht zu anthroposophischen Grundideen der Evolution, der Re-Inkarnation und des Karma. , Da gibt es an vielen Stellen Bilder und Ausdrücke, die irgendwie aus dem Christentum genommen sind, aber mit dem Christentum kaum mehr etwas gemeinsam haben. Da ist von Jesus , die Rede und von Erlösung, von der „Wesenheit des Christus“, von Taufe und Auferstehung, aber mit allem ist etwas anderes gemeint, als I was der gläubige Katholik darunter versteht. Und wer nicht ein wirkliches ungebrochenes Wissen aus dem Glauben, aus der Lehre der j Kirche, besitzt, der läßt sich wahrscheinlich nur allzu leicht von all diesen religiös klingenden Worten bezaubern und gewinnen. Gerade Menschen, die noch irgendeinen Funken religiöser Sehnsucht in sich tragen, aber — oft aus unverschuldeter Unwissenheit und Unbildung — keinen Weg zur Lehre der Kirche finden; solche auch, die aus privaten Gründen von jenei Kirche, der sie durch die Taufe angehören, enttauscht wurden; viele schwärmerisch veranlagte, etwas absonderliche Seelen; nicht zuletzt Menschen, die die Leere und Ausweglosigkeit der heutigen materialistischen Zivilisation schmerzlich empfinden: sie alle können sich gerade vor der neu und schön klingenden Sprache manchei Formulierungen der Anthroposophie bestechen lassen. Dabei merken sie nicht, was sie leicht merken könnten, wenn sie nur ein Mindestmaß von religiösem Wissen hätten: daß all der schönen und tief scheinenden Worten in philosophischer Hinsicht alles im Pantheismus Stecker bleibt und man vergeblich irgendwo nach dem persönlichen Gott des Christentums sucht, und daß es sich in religiöser Beziehung um eine ausgesprochene Häresie handelt, um eine neue Forrr des uralten Gnostizismus.

Dieses schillernde Spielen mit christlich anmutenden Ausdrücken zeigt sich nirgends so auffallend wie in der von Rudolf Steiner gegründeten „Christengemeinschaft“.

In ihr gibt es „Sakramente“ und „Priester“, hier finden sich religiöse Symbole, die aus der Liturgie der katholischen Kirche genommen sind, hier wurde ein „neuer Kultus“ mit einem „neuen Sakramentalismus“ geschaffen, nachdem die Lehre der Kirche als Aberglaube und Magie oder zum mindesten als veraltet und heute nicht mehr brauchbar erklärt wurde. Und es gibt seit neuestem in der Christengemeinschaft „Priester“ und ein „Priester“seminar. Der Schreiber dieser Zeilen hat es selbst einmal erfahren, welchen Eindruck die neue „Meßfeier“ der Christengemeinschaft mit all ihrer Nachahmung katholischer Formen auf einen religiös ganz ungebildeten infantil gebliebenen Menschen der höchsten Stände gemacht hatte. Erst dadurch, daß diesem wahrscheinlich ehrlich Suchenden ein deutsches Meßbuch von Schott und ein paar von den kleineren liturgischen Schriften Guardinis gezeigt wurden, konnte er einsehen lernen, daß die „Messe“ der Christengemeinschaft nicht eine originäre Schöpfung eines Pfarrers der Christengemeinschaft, sondern eine freilich ganz im Aeußeren steckenbleibende Nachahmung der malten katholischen Meßfeier ist.

Keinem erwachsenen, mündigen Menschen kann verboten werden, sich der Anthroposophie oder einer anderen der vielen Sekten anzuschließen, von denen wir Oesterreicher heute heimgesucht werden. Aber deutlich gemacht muß werden die enge Verbindung der Waldorf-Schulen mit der neugnostischen Sekte der Anthroposophie, und gewarnt muß -werden vor Strömungen, die sich nicht mit aller Offenheit als das geben, was sie sind. Ein katholischer Lehrer an einer Waldorf-Schule? Das ist jedenfalls ein Widerspruch in sich.

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