6784766-1970_08_06.jpg
Digital In Arbeit

Gegen die Landflucht

19451960198020002020

Der österreichische Markt für literarische Erzeugnisse ist an sich schon klein und wird durch die Konkurrenz der Verlage und Autoren des gesamten deutschsprachigen Raumes weiter eingeschränkt. Wien, und Österreich überhaupt, sind kein kultureller Kristallisationspunkt mehr. Nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse in Westdeutschland und die finanziellen Möglichkeiten der deutschen Verlage, sondern auch das literaturfreundliche Klima der Bundesrepublik üben einen starken Sog auf österreichische Schriftsteller aus und führten zu einer „literarischen Landflucht“.

19451960198020002020

Der österreichische Markt für literarische Erzeugnisse ist an sich schon klein und wird durch die Konkurrenz der Verlage und Autoren des gesamten deutschsprachigen Raumes weiter eingeschränkt. Wien, und Österreich überhaupt, sind kein kultureller Kristallisationspunkt mehr. Nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse in Westdeutschland und die finanziellen Möglichkeiten der deutschen Verlage, sondern auch das literaturfreundliche Klima der Bundesrepublik üben einen starken Sog auf österreichische Schriftsteller aus und führten zu einer „literarischen Landflucht“.

Werbung
Werbung
Werbung

Die schweren Aderlässe der Jahre 1918 und 1938 und 1945 haben einen großen Teil der Substanz jener Gesellschaftsschichte zerstört, die kulturfördernd gewirkt hat. Nur sehr langsam entwickeln sich neue kulturtragende Schichten. Der parlamentarischen Demokratie, kontrolliert von einer mächtigen Bürokratie, fällt Kunstförderung schwer. An die Stelle von individueller Förderung treten kollektive Maßnahmen. So hat sich in Österreich eine Art Kunstförderung entwickelt, die vor allem karitativen Charakter trägt. Die parlamentarische Demokratie ist ihrem Wesen nach eher geneigt, Forderungen nachzugeben, die von lautstarken oder politisch einflußreichen Interessengruppen vorgetragen werden. Die Kulturschaffenden sind bisher weder politisch einflußreich, noch treten sie in der Öffentlichkeit mit Nachdruck auf. Sie sind fast schon die einzige Bevölkerungsgruppe, die glaubt, apolitisch sein zu können. Damit aber versperren sich die Kulturschaffenden selbst die Wege, um das erwünschte Ziel zu erreichen, nämlich, die öffentliche Hand dazu zu bringen, Förderungsmaßnahmen zu setzen, die echte kulturelle Leistungen unterstützen. Je weiter sich der Kulturschaffende von der politischen Einflußnahme entfernt, um so mehr wird er zum Almosenempfänger karitativer

Kunstförderung, die ihn noch unter dem Sozialrentner einordnet. Von literarischer Tätigkeit halbwegs sorgenfrei zu leben, ist nur wenigen Autoren geglückt. Hohe Honorare können mit wenigen Ausnahmen nur große deutsche Verlage bezahlen, die gleichzeitig auch dem Schriftsteller eine entsprechende hohe Auflage seiner Werke sichern. Verlage, die ihre Tätigkeit auf Österreich allein beschränken, sind meist nicht in der Lage, ihre Autoren ausreichend zu honorieren, weil sie auch nicht in der Lage sind, entsprechende Verkaufserfolge zu erzielen. In jüngster Zeit ist es einer beträchtlichen Anzahl junger österreichischer Autoren gelungen, in der Bundesrepublik Fuß zu fassen, meist sind es Schriftsteller, die sich auf die zur Zeit moderne Linie der „neuen Linken“ eingestellt haben.

Aufgabe einer österreichischen Kulturförderung muß es sein, Schriftsteller, die entweder schon hinreichende Beweise ihres Talentes gegeben haben oder aber zu der Erwartung berechtigen, sich zu Talenten zu entwickeln, die wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, um relativ sorgenfrei schreiben zu können. Nur so kann verhindert werden, daß österreichische Autoren sich mit Haut und Haaren am ausländische Verlage verkaufen müssen. Eine Lösung dieser Probleme von Grund auf wird nur langfristig zu

erzielen sein, und zwar durch die Schaffung einer kulturfreundlichen Atmosphäre in Österreich. Das ist eine Aufgabe der Erziehung und der Erwachsenenbildung. Kurzfristig dagegen bedarf es anderer Hilfen. Daß solche Hilfen aber vonnöten sind, steht außer Zweifel. Sonst wird die ganze junge Generation der Schriftsteller zur Abkehr von ihrem Vaterland Österreich gezwungen und in eine absolute Opposition gedrängt, und überdies werden junge Autoren, die die Mode der „neuen Linken“ nicht mitmachen wollen, zum Schweigen gebracht. Weder die karitative Kunstförderung noch die Subventionierung von Verlagen sind geeignete Mittel, um schöpferische Begabungen zu fördern. Der Schriftsteller bedarf des echten Erfolges auch beim Publikum, um sein Talent voll entfalten zu können. Man muß ihm die Gelegenheit geben, für eine gewisse Zeit ohne materielle Sorgen zu sein, um schöpferisch arbeiten zu können.

1. Die Anstellung von Kulturschaffenden durch Bund, Länder und Gemeinden (Frankreich). Dabei ist an Halbtagsbeschäftigung zu denken, in Positionen wie Museen, Bibliotheken, Instituten usw.

2. Bund, Länder und Gemeinden müssen im Rahmen einer geeigneten Institution ihre Förderungsmaßnahmen koordinieren. Die öffentliche Hand soll also sowohl Förderungspreise an junge Autoren als auch Staatspreise an Schriftsteller vergeben, die ihre Begabung schon unter Beweis gestellt haben. Die Zahl dieser Preise und ihre Ausstattungen müßten jedoch ganz wesentlich höher sein als gegenwärtig. Ein Förderungspreis sollte nicht weniger als 30.000 Schilling, ein Staatspreis nicht weniger als 20.000 Schilling betragen. Die Förderungspreise sollten halbjährlich verliehen werden, und zwar nicht weniger als jeweils einnundert. Die Staatspreise jährlich, und zwar nicht weniger als fünfundzwanzig. Im einzelnen wird vorgeschlagen: Beschaffung von Wohnungen für ins Ausland abgewanderte Kulturschaffende. Bei Renovierung von Schlössern oder Klöstern sollte daran gedacht werden, Wohn- und Arbeitsräume für Kulturschaffende bereitzustellen. Die Zuwendung (Gelder a Kulturschaffende) sollte mit Berechtigung steuerfrei sein. Ein Jury anerkannter Persönlichkeiten könnte über die Berechtigung urteilen. Staatspreise auch für die Kategorien Essay und wissenschaftliche Prosa. Die österreichischen Kulturinstitute im Ausland müssen der Aufgabe gerecht werden, österreichische Literatur im Ausland zu propagieren. Lesungen durch Künstler und durch die Autoren selber sollten organisiert werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung