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Parteirat der Alternative

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„Wir wollen zu großen, umfassenden Alternativen kommen, deren Bogen sich von der Wirtschaftspolitik über die Gesund- heits- und Wohnpolitik bis zur Kulturpolitik in allen Bereichen spannt.“ Mit diesem Vorsatz — nicht ohne Schöpfungspathos in der Formulierung — versucht Kreisky, das Image der österreichischen Sozialisten zu verbessern und der Partei das zu geben, was sie am dringendsten benötigt: eine Aufgabe für die Zukunft. Und diese hofft der SPÖ-Vorsitzende nach wie vor durch die Erstellung von Programmen zu finden.

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„Wir wollen zu großen, umfassenden Alternativen kommen, deren Bogen sich von der Wirtschaftspolitik über die Gesund- heits- und Wohnpolitik bis zur Kulturpolitik in allen Bereichen spannt.“ Mit diesem Vorsatz — nicht ohne Schöpfungspathos in der Formulierung — versucht Kreisky, das Image der österreichischen Sozialisten zu verbessern und der Partei das zu geben, was sie am dringendsten benötigt: eine Aufgabe für die Zukunft. Und diese hofft der SPÖ-Vorsitzende nach wie vor durch die Erstellung von Programmen zu finden.

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Der SPÖ-Parteirat in dieser Woche wird seine Aufgabe ohne Widerspruch erfüllen, die Programme zu akzeptieren.

Erst in der vergangenen Woche wurde das Jutizprogramm der SPÖ vorgestellt, das unter dem Titel „Mehr Rechtsschutz für den Staatsbürger“ d''"ch die Federführung Exministers Broda entstanden ist. Doch mehr als eine Sammlung von Bekanntem ist in den neunzehn Seiten nicht zu finden. Dennoch ist es nicht ohne pikante Nebenerscheinungen: Während der sozialistische Abgeordnete Czernetz noch vor fünf Monaten im Parlament gegen die Heranziehung der elektronischen Datenverarbeitung in der Justiz heftig protestiert hatte, bringt das SPÖ- Programm eine derartige Umorganisation der Gerichte als unbedingte Notwendigkeit. Sprach er sich für eine verstärkte Verbreitungsbeschränkung von pornographischen Werken aus, so belehrt ihn das vorliegende Programm wohl eines besseren. Darin wird nämlich die Aufhebung des Paragraphen 10 des Pomographiegesetzes urgiert, also jenes Paragraphen, der das Verbreitungsverbot beinhaltet.

Die Vorschläge zur Presserechtsreform wiederum sind nichts anderes als die Wiederholung des schon 1951 abgelehnten Pressęgesetzent- VHSifesi'7 •'

In der Familienrechtsreform wire! neben der Beseitigung der Benachteiligung der Frau im Familien- und Elternrecht eine Neuregelung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes und die zeitgemäße Gestaltung des Unterhaltsrechtes für Frau und Kinder gefordert. Nach nordischem Vorbild wird auf die verfassungsmäßige Institutionalisierung des „Anwalts des öffentlichen Rechts“ als Rechtsschutzbeauftragten des Parlaments gedrängt.

In der Bejahung der Homosexualität und der Schwangerschaftsunterbrechung sehen die Fachleute der Programmredaktion nur eine Entrümpe

lung des Strafrechts. Das sind aber letzten Endes jene Punkte, die das sozialistische „Papier“ von dem Gedankengut des derzeitigen Justizministers Klecatsky unterscheiden.

Wesentlich heißer umkämpft aber als die Justizreformvorschläge der SPÖ war und ist das Wohnbauprogramm. Dieses Konzept für die Verbesserung der Wohnverhältnisse in Österreich dürfte Dr. Kreisky noch längere Zeit Schwierigkeiten bereiten — und hier vor allem die Neubewertung der Mietzinse. Schon im September stellte die „Arbeiter-Zeitung“ in einer Artikelserie fest, daß der „derzeitigen Berechnung des Mietzinses“ jener Zins zugrunde liegt, „der im Jahre 1914 gezahlt wurde; dabei wird die heute Qualität und Lage der Wohnung nicht berücksichtigt Es muß daher eine Bemessungsgrundlage eingeführt werden, die vom Wohnwert (Gebrauchswert) ausgeht". Mit anderen Worten hätte das nichts anderes bedeutet, als daß eine empfindliche Erhöhung der Mietzinse eingetreten wäre.

Dr. Kreisky gestaftd von sich aus ein, daß „eine solche Formulierung bei den Menschen in den großen Industriegemeinden den Eindruck erwecken muß, daß eine hemmungslose Mietzinserhöhung beginnen wird.“ Deshalb . tilgte der Ttotstift 'auch das. was .der, ŠP0 vor den

Im ersten Entwurf wurde noch Wien als Beweis für die SPÖ-Wohnungs- freundlichkeit angeführt, nach einer kürzlich erschienenen Statistik, die gerade das Gegenteil erbrachte, aber sofort nicht mehr erwähnt. Brachte die „Arbeiter-Zeitung“ im September freudig die Nachricht, daß nach Erfahrungen aus Schweden die „Experten“ eine Wohnungsgröße von 70 Quadratmeter als Durchschnitt ansehen, so war auch diese Freude nur von kurzer Dauer: Die Regierungspartei hat in ihrer Wohnungsreform eine Nutzgröße von zirka 130 Quadratmeter pro Wohnung vor

gesehen. Was liegt also näher, als daß man im SPÖ-Wohnbaupro- gramm nunmehr keine Durchschnittsgröße mehr zu lesen bekommt, sondern vielmehr mit einer Obergrenze von 150 Quadratmetern konfrontiert wird.

Herzstück der Studie ist ein Finanzierungsvorschlag, bei dem die stärkere Heranziehung des Kapitalmarktes mit einer sozialen Absicherung vorgesehen ist. Dabei ist eine Finanzierungsstruktur in Aussicht genommen, die bei Genossenschafts- und Mietwohnungen eine Aufbringung der Baukosten zu 10 Prozent aus Eigenmitteln und zu je 45 Prozent aus öffentlichen Darlehen und Darlehen aus dem Kapitalmarkt ergeben. Für Eigenheime und Eigentumswohnungen ändert sich der Schlüssel auf 20 zu 40 und 40 Prozent. Damit hat sichąuch dęr Förderungsmpdus des. SPÖ-Wohnbauprogrammes zum ersten Entwurf geändert, der ohne Differenzierung 35 Prozent aus öffentlichen Darlehen, 45 Prozent aus Kapitalmarktmitteln und die restlichen 20 Prozent aus Eigenmitteln bei der Aufbringung der Baukosten angesetzt hat.

„Wir benützen die Zeit der Opposition, um eine umfassende Alternative zu erarbeiten“, haben sich die Sozialisten zum Vorsatz genommen. Mit dem dieswöchigen Parteitag wird unter diese Bemühungen ein Schlußstrich gezogen. Erfolg oder Mißerfolg entscheidet jedoch erst das nächste Jahr.

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