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„Weiterbildung ist ein Teil des Bildungssystems“
In Österreich wird seit einiger Zeit verstärkt eine Umstrukturierung des gesamten Bildungssystems angestrebt. Es ist deshalb von Interesse, einen Blick außerhalb unseres Landes zu richten, um zu sehen, wie anderswo an das Problem herangegangen wird. So stellte beispielsweise der Deutsche Bildungsrat im März 1970 nach langen Beratungen einen „Strukturplan für das Bildungswesen“ fertig. Dieses Kompendium von 406 Seiten samt Anhängen beruht auf einer fast genau vierjährigen Arbeit von Vertretern der deutschen Länder und des Bundes sowie prominenten Fachleuten der Bildungsplanung. Unter anderem arbeiteten der frühere Staatssekretär und Soziologieprofessor Ralf Dahrendorf, der Bildungsökonom Professor Friedrich Edding, der bedeutende Pädagogikprofessor Heinrich Roth und der Direktor des Berliner Bildungsforschungsinstituts, Hellmut Becker, mit.
In Österreich wird seit einiger Zeit verstärkt eine Umstrukturierung des gesamten Bildungssystems angestrebt. Es ist deshalb von Interesse, einen Blick außerhalb unseres Landes zu richten, um zu sehen, wie anderswo an das Problem herangegangen wird. So stellte beispielsweise der Deutsche Bildungsrat im März 1970 nach langen Beratungen einen „Strukturplan für das Bildungswesen“ fertig. Dieses Kompendium von 406 Seiten samt Anhängen beruht auf einer fast genau vierjährigen Arbeit von Vertretern der deutschen Länder und des Bundes sowie prominenten Fachleuten der Bildungsplanung. Unter anderem arbeiteten der frühere Staatssekretär und Soziologieprofessor Ralf Dahrendorf, der Bildungsökonom Professor Friedrich Edding, der bedeutende Pädagogikprofessor Heinrich Roth und der Direktor des Berliner Bildungsforschungsinstituts, Hellmut Becker, mit.
Hier seien zunächst einige wichtige Inhalte des Strukturplanes genannt, die nach Ansicht der Reformer heute schon „Gemeingut“ sind: Ausbau der vorschulischen Erziehung für die Drei- und Vierjährigen; Einschulung der Fünfjährigen; Umwandlung der Grundschule; Einführung eines zehnten Schuljahres; Angebot eines qualifizierten mittleren Abschlusses (Abitur I); differenziertes Fächerangebot auf der Oberstufe (Sekundarstufe II); verstärkter Zugang zum Hochschulbereich über berufliche Bildungsgänge.
Uber den Zeitplan bestanden im Bildungsrat folgende Vorstellungen: Das zehnte Schuljahr für alle soll in fünf Jahren verwirklicht werden. Kindergartenplätze für 75 Prozent der Drei- und Vierjährigen sollen in zehn Jahren zur Verfügung stehen. Ebenso sollte der gesetzliche Schulbeginn bereits für die Fünfjährigen in zehn Jahren möglich sein. Erst nach 1980 kann das zehnte Pflichtbildungsjahr für alle mit fünf Jahren Eingeschulten erreicht werden. Von besonderer Bedeutung für Österreich ist das Kapitel über die nachschulische Weiterbildung. Schule und berufliche Ausbildung werden künftig für immer mehr Menschen nur die erste Phase im Bildungsgang sein. Denn schon heute zeigt sich, daß die in dieser ersten Bildungsphase erworbene Bildung späteren Anforderungen selbst dann nicht genügen kann, wenn diese Bildung auf Tiefe, Breite und die Erfüllung erwarteter Bedürfnisse angelegt ist.
Weiterbildung umfaßt Fortbildung, Umschulung und Erwachsenenbildung. Sie ergänzt die herkömmlichen geschlossenen Bildungsgänge und setzt sie unter nachschulischen Bedingungen fort.
Die Wirksamkeit von Lernprozessen im Rahmen der Weiterbildung beruht nicht zuletzt auf der durch Lebenserfahrung ausgelösten Lernmotivation. Bei Abstimmung der Curricula der ersten Bildungsphase mit denen der Weiterbildung wird sich eine Verteilung der Bildungsanstrengungen als Entlastung der Hochschule und der Sekundarstufe auswirken; durch eine sinnvolle Verteilung wird sich in manchen Fällen die Ausbildungszeit verkürzen lassen.
Die bekannten Bildungsgefälle zwischen den Sozialschichten, den Geschlechtern, den Religionen und den Konfessionen setzen sich in die Weiterbildung hinein fort. Zu ihrem Ausgleich bedarf es der Entwicklung von Curricula, die auf diese Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sind und die die Weckung des Bedürfnisses, sich weiterzubilden, als besondere Aufgabe betrachten. Für die Gesamtsituation der Weiterbildung ist traditionelle Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung bestimmend. Die Regelung der staatlichen Förderung vollzieht sich auf der Grundlage dieser Trennung, so daß die berufliche Weiterbildung (als Fortbildung und Umschulung) und die nichtberufliche (als Erwachsenenbildung) isoliert nebeneinander geplant, organisiert und gefördert werden.
Die Einheit von beruflicher und nichtberufldcher Bildung bleibt in den Gesetzen und Gesetzentwürfen unberücksichtigt. So schließt zum Beispiel das niedersäohsische Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung Institutionen von der Förderung aus, die überwiegend der unmittelbaren beruflichen Aus- und Fortbildung dienen; anderseits sind zum Beispiel nach dem Arbeitsförderungsgesetz Maßnahmen, die zum Bereich der Allgemeinbildung gehören, von Seiten der Bundesanstalt für Arbeit nicht förderungsfähig. Weiterbildung kann weder als beliebige Privatsache noch als eine nur Gruppeninteressen dienende Maßnahme betrachtet und behandelt werden. Es kann vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Interesse an einer allseitigen ständigen Weiterbildung einer möglichst großen Anzahl von Menschen unterstellt werden, das ähnlich stark ist wie das gesellschaftliche Interesse an der Schulbildung für alle.
Die erste Bildungsphase ist ohne Weiterbildung unvollständig. Der Gesamtbereich Weiterbildung ist daher Teil des Bildungssystems.
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