Identität - © Collage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung von Bildern von iStock: GeorgiosArt, FooTToo, Yummy pic, Firn sowie DieterMeyrl)

Waldhäusl-Sager: Vom Othering und dem guten Kollektiv

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Der Waldhäusl-Sager, Wien wäre ohne Ausländer „noch Wien“, sorgte für Empörung. Aber ein Kollektiv kann auch anders gedacht werden: mit Respekt für Minderheiten und ohne antidemokratische Unterwerfungsphantasien.

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Der Waldhäusl-Sager, Wien wäre ohne Ausländer „noch Wien“, sorgte für Empörung. Aber ein Kollektiv kann auch anders gedacht werden: mit Respekt für Minderheiten und ohne antidemokratische Unterwerfungsphantasien.

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Die sechste Klasse des Laaerberg Gymnasiums in Wien Favoriten wurde in der vergangenen Woche zum politischen Spielball. Während einer Puls4-Sendung hatte der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) der Klasse mit Migrationshintergrund beschieden, dass „Wien noch Wien“ wäre, wenn man die Asylpolitik der FPÖ umgesetzt hätte und die Schüler nicht hier wären. Die Aussage des Politikers sorgte für große Entrüstung.

Einige hundert Menschen versammelten sich daraufhin am Reumannplatz in Favoriten zur „Solidaritätskundgebung für Vielfalt und Zusammenhalt“, um gegen die Asylpolitik-Aussage von Waldhäusl zu protestieren. Das Motto: „Wien sind wir alle.“ Der Waldhäusl-Sager regte vor allem deshalb auf, weil er die Schulklasse – in klassisch rassistischer Manier – als Fremdgruppe definiert, die sich von der eigenen Gruppe, den „echten“ bio-österreichischen Wienerinnen und Wienern, angeblich fundamental unterscheide. Und genau dieses othering legitimiert Ungleichbehandlung und kreiert ein vermeintliches Kollektiv, das auf Unterdrückung basiert. Der Versuch der scharfen Abgrenzung zweier Gruppen wird jedoch durch unscharfe Biografien zunichte gemacht. Wann ist ein zugezogener Kärntner, Vorarlberger oder Salzburger ein echter Wiener? Waldhäusl, der das „Wienerische“ für sich proklamiert, ist selbst Niederösterreicher.

Mit der Frage, was ein gutes Kollektiv ausmacht, hat sich bereits 1950 der deutsche Psychiater und Philosoph Karl Jaspers beschäftigt. Sein Vortrag „Das Kollektiv und der Einzelne“ liefert gute Erklärungen, warum sich Gemeinschaften spalten lassen und was man antidemokratischen Unterwerfungsphantasien entgegnet.

Jeder Einzelne ist gefragt

Gerade in der Massengesellschaft, wie Jaspers attestierte, kommt der Einzelne zu kurz. Dabei brauchen wir das Kollektiv, um Mensch zu werden. Denn der Mensch „wächst nicht, wie alle Tiere, durch die biologischen Erbsubstanzen von selbst [...], sondern durch die Erziehung in geschichtlichem Wandel“. Schon in der Lehre des Konfuzius heißt es, dass das menschliche Leben eine ständige Wiederherstellung des ewig Gleichen ist. Mit den Folgen der Technik, schreibt Jaspers, stehe die Gemeinschaft – und damit das menschliche Leben – nun aber in neuer Gestalt da.

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