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Entwicklungspolitik einmal anders

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KULTUREN IM UMBRUCH. Studien zur Problematik und Analyse des Kulturwandels in Entwicklungsländern. Herausgegeben von Gottfried-Karl Kindermann. Verlag Rombach, Freiburg i. Br.,1962. Preis 49.50 DM.

In den „Freiburger Studien zu Politik und Soziologie”, welche von dem bekannten Professor Dr. Arnold Bergsträsser herausgegeben werden, erschien ein Band mit Aufsätzen, die sich mit der Problematik der Entwicklungsländer, den Möglichkeiten und Grenzen einer geplanten Entwicklungspolitik sowie dem kulturellen Umbruch, der unter dem Anprall der modernen Technik erfolgt, befassen. Die Themen der einzelnen Beiträge haben eine große Spannweite.

An die Spitze des Bandes ist eine knappe, aber gut informierende dogmengeschichtliche Zusammenfassung der

Ethnologie gestellt, oder der Anthropologie, wie dieser Wissenszweig in den anglo-amerikanischen Ländern genannt wird. Dieser Beitrag weist mit Recht auf die erforderlichen weiten Horizonte hin, die eine „richtige” Entwicklungspolitik kennzeichnen sollte Es wird die Gefahr eines einseitig „ökonomistischen” Konzeptes für eine Entwicklungspolitik bloßgelegt, das rein mechanistisch in den Entwicklungsländern gleiche kulturelle Bedingungen ew äiscjirnordamtrikanischcn Raum stillschweigend vorąussetzt.

Es folgt ein Essay „Über .Infrastrukturen’ als Voraussetzungen einer funktionsfähigen Volkswirtschaft” von Reimut Jöchimsen. ln seiner Abhandlung führt der Autor den Leser in die wirtschaftliche Problematik der Entwicklungsländer ein, soweit dies auf nur fünfzehn Seiten überhaupt möglich ist. Dankenswerterweise unternimmt der Verfasser es auf Seite 30, den modisch gewordenen Ausdruck „Infrastruktur” zu definieren. Darnach bedeutet dieses Wort im Französischen den Schienenunterbau bei der Eisenbahn, im Italienischen darüber hinaus die Bodenorganisation im Flugverkehr, im übertragenen Sinne kennzeichnet es den Marxschen „gesellschaftlichen Unterbau” und schließlich in der NATO die Summe „aller sachlichen Einrichtungen für das Nachschub-, Kommunikations- und Transportwesen der westlichen Verteidigung”. (Im Bereiche der Wirtschaft versteht man heutzutage darunter meist das Sozialkapital, also Verkehrswesen, Erziehungswesen, Kanalisation usw.)

Auf Seite 36 stellt er sich die Frage, ob „es sozusagen ein Minimum an Infrastruktur (gibt), welches vorhanden sein muß, bevor ein nennenswertes wirtschaftliches Wachstum einsetzen kann”.

Leider befriedigt Jochimsen nicht die Neugier des Lesers, weil aus den folgenden Abschnitten nicht hervorgeht, ob ein Minimum an Infrastruktur gegeben sein muß, und wenn ja. welches Minimum. Allerdings muß man dem Autor zugutehalten, daß eine eingehende Erörterung dieses Problems wohl den Rahmen des vorliegenden Bandes gesprengt hätte.

Als dritte grundsätzliche Abhandlung fügt sich jene von Karl-Ernst Ringer über die Agrarreform und wirtschaftliche Entwicklung ein. Dieser Aufsatz vermittelt den gegenwärtigen Stand der Kenntnisse über den Zusammenhang von Agrarverfassung (Eigentumsverteilung, Betriebsgrößenverteilung, Pachtsystem usw. in der Landwirtschaft) und wirtschaftlicher Entwicklung der „underdeveloped countries”.

An die mehr grundsätzlichen Arbeiten schließen sich solche an, die an besonderen Beispielen die tatsächlichen Probleme in der Entwicklungspolitik aufzeigen. Der Herausgeber des Bandes, Gottfried K. Kindermann, unterrichtet zum Beispiel in einer längeren Abhandlung über die landwirtschaftliche Entwicklungspolitik des modernen China seit Sunyatsen. Infolge des knappen Raumes, der für diese Besprechung zur Verfügung steht, ist es nicht möglich, alle übrigen Arbeiten entsprechend zu würdigen. Skizzenhaft sei jedoch vermerkt, daß sie verschiedene Aspekte der.wirtschaftlichen EntwrckJunfs- ptirne in Indien. Malayä, lsräel”und einigen anderen Ländern aus dem’’ äfrd asiatischen Raum und der dadurch eintretenden kulturellen Veränderungen behandeln.

Der vorliegende Band vermag zweifellos über die komplexen Zusammenhänge ein Bild zu geben, die in den Entwicklungsländern durch den Zusammenprall tradi- tionalistischer Verhaltensformen mit der modernen westlichen Industriewelt entstehen. Freilich vermißt man die Behandlung gerade dieser Probleme im südamerikanischen Raum. Das Buch dürfte aber imstande sein, die Leser davon zu überzeugen, daß mit Geldanleihen allein den Entwicklungsländern nicht geholfen ist.

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