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Wiederherstellung des Hauseigentums in Sowjetrußland

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In diesen Tagen, da die gespannte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Vorgänge in Berlin gerichtet war, hat sich, wenig beachtet von der Öffentlichkeit des Westens, ein bedeutungsvolles Ereignis vollzogen. Am 31. August veröffentlichte die Moskauer „I s w e s t i j a" eine Verfügung des Präsidiums des Obersten Sowjets „über das Recht der Bürger auf Kauf und Bau von Einzelwohnungen“ und im Anschluß daran unter dem hochoffiziellen Titel „Im Ministerrat der UdSSR“ folgende, im nadistehen- den von uns wörtlich wiedergegebene mit Gesetzeskraft ausgestattete Verlautbarung.

„Über die Ordnung der Anwendung des Ukases des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 26. August 1948 .Über das Recht der Bürger zum Kauf und Bau von Einzelwohnhäusern'.

In Übereinstimmung mit dem Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 26. August 1948 .Über das Recht der Bürger zum Kauf und Bau von Einzelwohnhäusern' verfügte der Ministerrat der UdSSR:

1. Die Exekutivkomitees der Regions-, Gebiets-, Stadt- und Rayonssowjets der Werktätigen werden verpflichtet, den Bürgern sowohl innerhalb als außerhalb der Stadt Grundstücke zum Bau von Einzelwohnhäusern mit einem oder zwei Stockwerken und einer Zimmcranzahl von 1 bis einschließlich 5 zuzuweisen.

2. Die Grundstücke für den Bau der Einzelwohnhäuser werden auf Rechnung des Grundbesitzes der Städte und Dörfer, des Staatlichen Grundfon d s und des G r u n d b e s i t z es d e s Staatlichen Grundfonds auf unbefristete Benützungsdauer zu gewiesen, während die auf diesen Grundstücken erbauten Häuser persönliches Eigentum der Erbauer sind.

3. Das Ausmaß der Grundstücke wird in jedem einzelnen Fall von den Exekutivkomitees der Gebiets-, Stadt, und Rayonssowjets der Deputierten der Werktätigen bestimmt, und zwar in Abhängigkeit vom Ausmaß des Hauses und von den örtlichen Bedingungen und im Bereiche folgender Normen: in den Städten — von 300 bis 600 Quadratmetern; außerhalb der Stadt — von 700 bis 1200 Quadratmetern.

4. Für die Benützung der Grundstücke wird eine Grundrente in dem vom Gesetz bestimmten Ausmaß eingehoben.

5. Der Bau der Einzelhäuser muß in Übereinstimmung mit den Planungsprojekten und mit der Verbauung der Städte, Vorstädte und Siedlungen auf einem für diesen Zweck geeigneten Gelände vor sich gehen.

6. Der Bau der Einzelwohnhäuser muß nach Typen, und individuellen Plänen durchgeführt werden. Den Exekutivkomitees der örtlichen Sowjets der Deputierten der Werktätigen wird vorgesdllagen, die Erbauer mit den nötigen Typenplänen zu versorgen.“

Anschließende Bestimmungen verpflichten die Besitzer von Einzelwohnhäusern zur Herstellung von Grünanlagen und richten eine Staatsinspektion ein zur Aufsicht über die Instandhaltung und ordnungsmäßige Führung dieser Privatwohnungsbauten. Den Exekutivkomitees der Stadt-(Rayons-)Sowjets der Deputierten der Werktätigen wird das Recht verliehen, in Fällen von selbstherrlicher Bautätigkeit oder grober Verletzung der bautechnischen Regeln den Erbauer zu verpflichten, den Bau einzustellen und. innerhalb Monatsfrist mit eigenen Kräften und auf eigene Rechnung alle von ihm angeführten Bauteile abzutragen und das Grundstück wieder in Ordnung zu bringen.

Mit diesen Bestimmungen wird in Stadt und Land auf breiter Front ein privates Hauseigentum geschaffen, das auf öffentlichem, unentgeltlich zur Verfügung gestelltem Grund als unkündbares, ewiges Superfiziarrecht sich entfalten darf. Der Hauseigentümer zahlt der öffentlichen Hand eine jährliche Grundrente und ist den allgemeinen Bestimmungen der Bauordnung unterworfen, dafür erhält er eine Area, die für Einzelwohnhäuser ziemlich reichlich bemessen ist, einer großen Familie in Fünfzimmerwohnungen Raum bietet und ein Gärtchen, außerhalb der Stadt sogar einen ansehnlichen Gartengrund erlaubt. Die V e r- erblichkeit dieses Wohnungseigentums auf fremdem (öffentlichem) Grund wird zwar in dem zitierten Ukas nicht ausdrücklich ausgesprochen, ergibt sich aber sinngemäß schon aus der Statuierung des Eigentums und der Unkündbarkeit der Bodennutzung bei ordnungsmäßigem Gebrauch.

Wenn auch die Sowjetunion seit einigen Jahren schon ein Privateigentum an Wohnbauten für gewisse unausweichliche Verhältnisse zugelassen hat, so in Gegenden, die der Kultivierung zugeführt und in denen Siedler zur Niederlassung bewogen werden sollten, so waren dies doch in besonderen Bedürfnissen begründete Ausnahmen. Der Ukas vom

26. August ist aber eine Reform von grundsätzlicher allgemeiner Tragweite, die Wiederherstellung des Privateigentums an unbeweglichem Besitz städtischer und ländlicher Wohnhausbauten und Konstruktion eines Bodenrechtes, das vom Grundeigentum wenig mehr als theoretisch sich unterscheidet.

Es ist hier eine dem Erbpachtrecht ähnliche Institution geschaffen worden, deren Züge alle typischen Wesen heiten uralter Eigentumsordnung an sich tragen. ,

Die Tragweite der Neuerung ermißt man an ihren Abstand von den Kardinalgrundsätzen, mit denen der russische Kommunismus begann. Mit dem Fundamentalstatut des bolschewistischen Rechts, den verfassungsrechtlichen „Grundrechten des arbeitenden und ausgebeuteten Volkes" wurde die Vollsozialisierung des bisherigen gesamten Privateigentums an Grund und Boden zum Prinzip erhoben. Verfügungen über Liegenschaften, so der Verkauf von Häusern, Vererbung und Schenkung, wurden verboten und unter Strafe gestellt; dem bisherigen Eigentümer war es demzufolge nicht mehr erlaubt, eine Hypothek auf sein Haus aufzunehmen — es war eine restlose Enteignung. Der sozialisierte Boden fiel den Gebietskörperechaften, also der öffentlichen Hand zu. Von dem damals grundsätzlich geschaffenen Rechtszustand konnten innerhalb dreißig Jahren nur sehr große Sprünge zu der heutigen Neuordnung führen. Nun erhält nicht nur die künftige Haus- und Wohnungswirtschaft in Sowjetrußland ein anderes Gesicht, sondern auch die bisherige Unbedingtheit des kommunistischen Prinzips. So wichtig die hier angemeldete Veränderung ist, so wäre es doch abwegig, aus ihr politische Folgerungen abzuleiten. Die Tatsachen lassen jedoch eine soziologische Deutung zu: aus dem amorphen Zustand, den in Rußland, die Zertrümmerung der alten Gesellschaftsordnung durch den Kommunismus geschaffen hat, lösen sich allgemach Formen und Gestalten heraus. Schon kristallisiert sich seit geraumer Zeit eine durch Bildung und Lebensstandard privilegierte Oberschichte, die sich aus der breiten Masse abhebt. Persönliche Leistung verleiht höhere Rechte, politische Stellung und poli-

tischer Einfluß begründen besondere Ansprüche — die Kräfte, die im Frühmittelalter die ständische Gliederung einleiteten, melden sich irgendwie auch hier. Nun wird in breiter Zone eine Klasse der Seßhaften, mit vererblichem unbeweglichem Eigentum Ausgestatteten namentlich in den Städten entstehen, eine Klasse 'der H a u s- u n3 Villenbesitzer, die es in großen Wohnungen und eigenen Gärten schön haben. Zweifellos eine Reform zur inneren Festigung des Systems, das um sich einen sozialen Wall von interessierten Teilhabern an dem Wohl des Staates aufbaut.

Diese Reform im Raume des Eigentumsrechtes erinnert an die vorausgegangenen Anordnungen zur Sicherung der Ehe und der Familie im Sowjetstaate, Maßnahmen des Gesetzgebers, der trotz allen Widersprüchen zu Dogma und bisheriger Praxis sich durch bittere Erfahrung getrieben sieht, den Forderungen des Naturrechts Rechnung zu tragen. Eine Evolution gegen die Revolution. Die Gesetze des Lebens erweisen sich eben stärker als die Ritualweisheit der politischen Sadduzäer und Schriftgelehrten. Und zuweilen sehen auch diese sich veranlaßt, ihnen zu folgen. Auch in nähergelegenen Lagern sollte man davon Kenntnis nehmen. f

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