Garten  - © Foto: Pixabay

Der Garten als Ort der Verlockung

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Funktion und Gestaltung von Gärten wandelten sich im Lauf der Epochen und repräsentierten immer auch politische und kulturelle Verhältnisse.

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Funktion und Gestaltung von Gärten wandelten sich im Lauf der Epochen und repräsentierten immer auch politische und kulturelle Verhältnisse.

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Ich kenne den Gartenbau nicht anders als durch den Genuss, den er mir verschafft, durch seine Farben, seinen Wohlgeruch, seine Düfte, seine Sinnesreize", notierte der romantische Dichter Alphonse de Lamartine, "er ist eine unerklärliche, urwüchsige, instinktmäßige Verlockung, welche zu allen Zeiten die Menschen, vor allem die Schriftsteller und Philosophen, veranlasst hat, in Gärten zu flüchten, vor dem Lärm der Menschen, vor dem Tumult der Öffentlichkeit."

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Die europäische Kulturgeschichte zeigt eine besondere Faszination, die von den Gärten ausging. Gärten verhießen Entspannung, Muße und Freude; sie waren Orte der sinnlichen Erfahrung, an der Schwelle zwischen Kultur und Natur, Orte, "in denen man sich außerhalb der Welt befindet, aber an einem bekannten Ort", wie es der französische Schriftsteller Marcel Proust beschrieb. Für de Lamartine war der Garten der Schauplatz eines ästhetischen Vergnügens.

Gleichzeitig spiegeln die Gärten gesellschaftspolitische, künstlerische und philosophische Entwicklungen unterschiedlicher historischer Epochen wider, wobei sich häufig Bezüge zum Mythos des verloren gegangenen Paradieses herstellen.

Ordnung statt Wildwuchs

Als Keimzelle der europäischen Gartenkunst fungierten die Klöster des Mittelalters. Dort galt der Garten als ein Zufluchtsort vor der heillosen Außenwelt; ein abgeschlossener Ort - Hortus conclusus -, in dem man Ruhe und Konzentration finden konnte, um sich auf das Göttliche einzulassen.

Einen ganz anderen Stellenwert nahm der Garten in der antiken griechischen Kultur ein. Hier fanden philosophische Disputationen statt, bei denen ein kleiner Kreis von befreundeten Denkern zusammenkam. Am Eingang befand sich ein Schild mit der Aufschrift: "Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt." Die zwanglosen Unterhaltungen, an denen auch Frauen und Sklaven teilnahmen, kreisten um Themen wie "Wie kann der Einzelne zur Glückseligkeit gelangen?" und "Was zeichnet ein gelungenes Leben aus?" Der Ruhepol Garten schien ein geeigneter Ort für solche existenziellen Betrachtungen zu sein.

In der Epoche der Renaissance feierten die Ideale der Antike ihre Wiedergeburt. Im Gegensatz zum Mittelalter rückte wieder der Mensch in den Mittelpunkt. Die Gärten dienten nicht der religiösen Erbauung, sondern dem weltlichen Vergnügen und Lustbarkeiten. Der Garten der Renaissance richtete sich auf die Außenwelt; Villa und Gärten wurden mit der sie umgebenden Landschaft verbunden und bildeten eine Einheit, die einer wohl durchdachten Theaterinszenierung glich. Heckengesäumte Wege, Wasserbecken und Wasserkanäle, kleine Teiche, symmetrisch angelegte Pflanzenbeete und Terrakottatöpfe bildeten ein kunstvolles Ensemble von Pflanzen, Skulpturen und architektonischen Elementen.

Es waren vor allem englische Schriftsteller und Philosophen wie Edmund Burke oder Alexander Pope, die sich gegen die strikte Reglementierung der Gärten aussprachen.

In einem solchen Ambiente fühlten sich Philosophen und Schriftsteller wie Marsilio Ficino oder Giovanni Boccaccio wohl; es war für sie der beste Ort, um philosophische Gespräche zu führen oder Novellen zu verfassen, in denen die Erotik ein wesentliches Thema bildete. Eine der eigentümlichsten Gartenanlagen der Renaissance findet sich in Bomarzo nahe der Stadt Viterbo. Dort ließ der Fürst Vicino Orsini, der von 1552 bis 1585 lebte, einen Park anlegen, der von monströsen Skulpturen bevölkert ist. Im sogenannten "Park der Ungeheuer" bilden Landschaft, phantastische Bauwerke und groteske Gestalten ein Ensemble, das die Besucher verwirren soll.

Der Barockgarten, wie er sich vornehmlich in Frankreich entfaltete, wurde von zwei Strömungen geprägt: dem politischen Absolutismus und dem philosophischen Rationalismus. Die rationalistischen Philosophen gingen davon aus, dass allen weltlichen Phänomenen Gesetzmäßigkeiten zu Grunde liegen, die vom Verstand - der Ratio - erfasst werden können. Diese Auffassung wurde in der Gestaltung der französischen Barockgärten umgesetzt, in denen geometrisch exakte Formen vorherrschten. Gerade Linien durchzogen die Gärten; sie strukturierten die ursprünglich wildwüchsige Natur und schufen eine überschaubare, klare Ordnung, die der Philosoph René Descartes mit dem rationalen Diskurs verband.

Auch im Bereich des Politischen hatten die streng geometrischen Strukturen der Gärten ein Pendant; sie entsprachen dem streng geregelten höfischen Zeremoniell, das auf den absolutistisch herrschenden König ausgerichtet war. Besonders deutlich wird dieses gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis des Absolutismus in den Schlossgärten von Versailles, die zahlreichen europäischen Gärten als Vorbild dienten.

"Adam und Eva in Eibe. Ramponiert"

In Deutschland erfolgte die Entfaltung der barocken Gartenkunst erst mit großer Verspätung, da die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges das Land in seiner kulturellen Entwicklung zurückgeworfen hatten. Eine der bedeutendsten Gartenanlagen entstand um 1700 in Herrenhausen bei Hannover unter kundiger Anleitung der Kurfürstin Sophie von Braunschweig-Lüneburg. Beraten wurde sie von dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, der von 1646 bis 1716 lebte. Leibniz beherrschte einen Großteil der Wissenschaften; so entwarf er die Infinitesimalrechnung und die symbolische Logik, die Erkenntnisse der Computerwissenschaften vorwegnahm. Neben diesen Tätigkeiten verfasste er ein umfangreiches philosophisches Œuvre, das zu den bedeutendsten Werken der europäischen Neuzeit zählt.

Die barocke Vorliebe zu geometrischen Formen, die sich in den Gärten realisierte, stieß nicht überall auf Gegenliebe. Es waren vor allem englische Schriftsteller und Philosophen wie Edmund Burke oder Alexander Pope, die sich gegen die strikte Reglementierung der Gärten aussprachen. Pope karikierte vor allem den Hang der Barockgärtner, aus natürlichen Gewächsen Skulpturen zu modellieren: "Adam und Eva in Eibe. Adam ein wenig ramponiert, weil ein Baum der Erkenntnis vom großen Sturm gefällt wurde", schrieb Pope, "der heilige Georg in Buchs. Sein Arm ist noch nicht lang genug, aber im kommenden April wird er den Drachen töten können. Zwei Riesen, verkümmert und billig abzugeben."

Die englischen Intellektuellen plädierten für die Natürlichkeit in der Gartengestaltung. Sie beriefen sich dabei auf die sensualistische Philosophie von John Locke und David Hume, die den Vorrang des Sinnlichen vor dem Rationalen propagierten. Die gerade Linie - das Symbol der rationalistischen Ordnung - wurde durch die Schlangenlinie ersetzt. An die Stelle von exakt gestutzten Bäumen und Hecken traten weite Rasenflächen und natürlich wirkende Flüsse und Seen, zwischen denen Bäume oder kleinere Wälder gepflanzt wurden, die sich in die umgebende Naturlandschaft einfügten.

Das Konzept der englischen Gärten wurde von dem 1943 geborenen französischen Gartenarchitekten und Kulturhistoriker Gilles Clément aufgenommen und modifiziert. Im Zeitalter einer wachsenden Naturzerstörung sieht er die Aufgabe der Gartengestaltung in der Erhaltung von Biodiversität. Darauf basiert sein Konzept des "Gartens in Bewegung", den er im Parc André-Citroën am Ufer der Seine in Paris realisiert hat. Dort findet man eine Vielfalt von Gewächsen, die nach keinem Konzept angeordnet sind; sie können verschwinden und an unerwarteten Stellen des Gartens wieder auftauchen.

Solche "Gärten in Bewegung" sollen Lebensfreude vermitteln. "Ich fühlte mich an wilden Orten mit außergewöhnlichen Pflanzen, und Tieren vollkommen glücklich", bekennt Clément, "sie strahlen eine besondere Lebensenergie aus."

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