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Der Thronfolger

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Erlherzog Frans Ferdinand von Oesterreich-Este. Von Rudolf Kiszling. Verlag Hermann Böhlaus Nachr., 356 Seiten mit 18 Abbildungen. Preis 69 S

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Erlherzog Frans Ferdinand von Oesterreich-Este. Von Rudolf Kiszling. Verlag Hermann Böhlaus Nachr., 356 Seiten mit 18 Abbildungen. Preis 69 S

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Wären nicht wir selbst und unsere Väter noch Zeugen des Unterganges der Donaumonarchie gewesen, so wäre es für uns sinnfällig, daß dieses Kataklysma den Stoft zu mehr als einem Shake-spearischen Königsdramä, zu mehr als einer antiken Tragödie in sich birgt. Welch ein Ab-gesang eines Reiches! Da ist zunächst eine Dynastie, die erlauchteste der Christenheit, verkörpert durch einen uralten, durch jedes Leid geschrittenen Herrscher. Seine Vorfahren hatten über Kontinente und Ozeane geboten, sein Großvater noch die Römisch-Deutsche Kaiserkrone getragen, er selbst dem letzte transkontinentalen europäischen Staatenbund vorgestanden. Die Dynamik einer aufbrechenden Zeit hatte ihn und sein System überfordert, seine Herrschaft auf ein Reich beschränkt, das freilich immer noch wenige seinesgleichen hatte. Als es zerstört war, sah man erst, was es bedeutet hatte. Es war von einander hero-stratiich widerstreitenden Völkern bewohnt, deren einigendes Band seine langsam verlöschende imperiale Hoheit war. Wie stand es um die Nachfolge i.n diesem zerbrechlich gewordenen staatsrechtlichen Bau? Sie lag bei einem Manne, dessen Schicksal für sich allein antikische Züge aufweist. Eine Herrscherpersönlichkeit, ohne je zur Herrschaft zu gelangen, totgesagt, wieder an die Schwelle der Macht getreten — ein Nachfolger, der durch eine furchtbare Untat vor dem Vorgänger ins Grab sank. Wie die Gattin des Vorgängers fiel jene des Nachfolgers durch Mörderhand. War die erstere ihrem durch ein düsteres Geschick geraubten Sohne und Thronerben ins Grab gefolgt, so raubte der letzteren ein Hausgesetz die Nachfolge aus eigenem Blut. Und von den beiden Kugeln, die ihr Mörder abfeuerte, traf die eine sie selbst, die andere den künftigen Herrscher. An dessen Bahre dann der weltweite, menschenmordende Streit, der erste Weltkrieg und, aus der unseligen Zerteilung des Erbes heraus, der zweite. Was hätte Shakespeare wohl für eine Folge von Dramen aus solchem Stoffe geformt?

Diese Betrachtung scheint nicht zur Würdigung eines historischen Werkes zu gehören, ist aber ihr Teil wie der Hintergrund jener des Bildes. Hier liegt nun ein mit Sachkunde und Sorgfalt geschaffenes Lebensbild „des Thronfolgers“ vor. Ob es, wie das Vorwort andeutet, „das endgültige“ ist, wagen wir nicht zu entscheiden. Bisher unveröffentlichtes Material stand dem Autor in reichstem Ausmaße zur Verfügung und wurde sinnvoll genutzt. Hier seien vor allem der im Haus-, Hof- und Staatsarchiv erliegende schriftliche Nachlaß des Erzherzogs sowie jener des Ministerpräsidenten Max Vladimir Freiherrn von Beck erwähnt. Aus so umfangreicher, sich durch viele neue Zitierungen erweisender Quellenarbeit entsteht eine objektive Darstellung des Lebensablaufes, der politischen Ereignisse. Irrtümer, charakterliche Eigenheiten des Thronfolgers treten ebenso zutage wie seine grundlegenden Eigenschaften: seine starke Persönlichkeit und Willenskraft, seine leidenschaftliche Staatsbejahung, seine Religiosität, sein echtes Soldatentum, seine habsburgische Hingabe an seine Pflichten. Die ganze Vielfältigkeit aller persönlichen und politischen Bezüge des Themas selbst kann hier an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden.

Der Leser forscht bei )edtt Biographie im Porträt der dargestellten Persönlichkeit nach jenen Zügen, die deren inneres Wesen erschließen. Sie sind für ihn so wichtig wie die greifbaren Etappen des Lebensablaufes. Es mag mit an der straffen, historisch exakten Darstellung liegen, wenn hier Fragen von einem gewissen Gewicht unbeantwortet bleiben. Möglicherweise war auch eine so reich facettierte Persönlichkeit, in eine so verwirrend vielfältige Umwelt gestellt, in einem solchen, vergleichsweise schmalen Bande nicht in allen ihren Bezügen und Nuancen zu erforschen und zu deuten. Aber der Leser bleibt in Unkenntnis, welche geistigen Grundlagen und Erkenntnisse dem Erzherzog so scharf profilierte Bildner'seiner Jugendjahre, wie der Historiker Onno Klopp, der kommende Staatsmann Max Vladimir Beck vermittelt haben. Wie entwickelte sich, ferner, das Weltbild des Erzherzogs und wie stellte sich jenes des gereiften Mannes dar? Es ist bekannt, daß es ein tief vom Weltanschaulichen her bestimmtes war. Nicht zu vergessen ist, daß nur aus dieser Schau die Persönlichkeit des Erzherzogs ganz erfaßt werden kann. Das sachliche Verdienst der vorliegenden Arbeit soll durch diese ergänzende Feststellung nicht geschmälert werden.

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