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Film und Wirklichkeit

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Der Verfasser gesteht, daß er mit größten Vorbehalten den Film Otto Premingers, „Der Kardinal“, besuchte, um so mehr, als er als Historiker seinerzeit mit Herrn Dr. Preminger eine nicht gerade sanfte Kontroverse, vor allem bezüglich der WienEpisode, hatte. Es ist nicht Sache des Historikers, die schauspielerischen Leistungen zu qualifizieren, dafür ist der persöniche Geschmack, vielleicht auch die Kinoerfahrung maßgebend.

Als Gesamtkunstwerk ist der Film eine Leistung, die Beachtung verdient, und zwar nach zwei Richtungen: Der Tendenz nach ist er haargenau ein Anti-Hochhuth-Stück und damit auf dem Umweg über die Wiener Episode ein handfestes Argument für die tatsächliche Schutzleistung der Kirche zugunsten aller Verfolgten, einschließlich der Juden. Diese Schutzstellung wird nur wieder umgebogen und dem amerikanischen Bischof bei seiner Anwesenheit in Wien in den Märztagen des Jahres 1938 zugeschrieben und nicht, wie es historisch richtiger wäre, auch dem zunächst so verlästerten Kardinal Innitzer. Dieser wurde „als begeisterter Anschlußfreund“ nun einmal nach Premingers Wunsch dem Drehbuch aufgepfropft, ohne im ursprünglichen Roman, außer der Erwähnung seines Namens, überhaupt vorzukommen. Die Innitzer-Episode vereinfacht in gefährlicher Weise das Verhalten des Kardinals: Zuerst Begeisterung für den Anschluß und dann radikale Erschütterung und Umschlagen nach den Oktoberereignissen des Jahres 1938 (Sturm auf das Palais). Welche Verantwortung hinter den Verhandlungen im März stand, daß die Vorleistungen der österreichischen Bischöfe — so bedauerlich sie waren — erpreßt wurden, das alles wird nicht deutlich gemacht. Sosehr Preminger auf die Echtheit des Milieus Wert legt — meisterhaft die Szenen in Alt-Boston, das Einfangen der Stimmung im Vatikan, die Bischofsweihe —,• so kitschig und in Aufwand und Stimmung falsch sind die Österreich-Szenen. Mit der Uniformierung hapert es besonders, trotz aller Berater; so tragen zum Beispiel Polizisten im Oktober 1938 die Uniform der Zweiten Republik mit Hakenkreuzarmbinden! SS-Männer treten nur mit silbernen Feldbinden auf, und der Empfang beim Reichsstatthalter strotzt nur von Stilwidrigkeiten.

In den Massenszenen, etwa beim Sturm auf das Erzbischöfliche Palais, zeigt sich allerdings, das muß man zugestehen, die Hand des Meisters. Wo es gilt, das innere Ringen auszudrücken, dort versagt er auf weiten Strek-ken, wie überhaupt einer der schönsten Teile des Romans, die Episode zwischen dem jungen Monsignore und der römischen Gräfin, zugunsten einer banalen Liebesgeschichte, die in Österreich spielt, weggelassen wurde.

Man hat Preminger vorgeworfen, der „Kardinal“ sei nur ein gutes Verkaufsobjekt in der jetzt allgemeinen Konjunktur der Filme mit katholischer Thematik. Dies trifft nicht zu. Die von echter Frömmigkeit getragene Szene der Prüfung und des Leidens des jungen Kaplans Fer-moyle in einer Auslandspfarre am Sterbebett eines scheinbar in seiner Aufgabe versagenden, aber heiligmäßigen Pfarrers, ist so großartig, daß man über vieles, was der Film an UnWahrscheinlichkeiten und geschichtlichen Unwahrheiten bringt, hinwegsehen kann.

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