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Jugend eines halben Jahrhunderts

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Der Verfasser des nachstehenden Artikels hatte Gelegenheit, im vergangenen Jahr den meisten politischen Jugendkongressen Europas beizuwohnen. Aus zahlreichen Gesprächen mit Vertietern der großen Jugendorganisationen glaubt er, einen Einblick in die Psychologie der politischen Jugend Europas gewonnen zu haben. Er selbst betont, daß seine Beobachtungen nicht Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemein-gültigkeit erheben wollen.

Welcher Unterschied zwischen der Jahrhundertwende und der eben beendeten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 1 Betrachtet man heute als Zeugnis die Gemälde, die literarische Produktion am Ende des vergangenen Säkulums, das im überschäumenden Optimismus einer zufriedenen Gesellschaft dieses Ereignis feierte, und demgegenüber die Weltuntergangsangst unserer fünfziger Jahre, so glaubt man zwei ganz verschiedene Welten zu sehen, andersartig in ihren Ausdrucksformen und Reaktionen, im Denken, Fühlen und Wollen.

Freilich, in der Silvesternacht 1900 konnte ein festfrohes Publikum nichts voraussehen, weder die Gaskammern des zweiten Weltkrieges, die Atombombe, die zerstörenden Kräfte kontinentaler Kriege. Vor allem war sich die Jugend der damaligen Zeit keiner Gefahr bewußt. Sie vermochte in der bürgerlichen Ruhe ihre Ausbildung zu beenden. Ihr war die Demokratie oder die Herrlichkeit der Kaiserreiche ein Besitz ohne Diskussion. Die Probleme, welche sich stellten, lagen vielfach noch im Raum literarischer Auseinandersetzungen oder allgemein menschlicher Prinzipien. Die grundsätzliche Revolution der dritten franzöischen Republik war — um nur ein Beispiel anzuführen — der Dreyfus-Prozeß, in dem die Frage gelöst werden mußte, ob die Staatsräson die Gerechtigkeit gegenüber dem Individuum ausschalten könne.

Selbst der erste Weltkrieg brachte noch nicht die Zerstörung der bisherigen Wertungen. Die Satzungen des Genfer Völkerbundes krönten Ideale eines humanistisch-bürgerlichen Zeitalters, das 1789 begonnen und in Wilson und Poincare ihre wichtigsten Interpreten gefunden hatte. Die russische Revolution wurde vorläufig noch als ein Ereignis an den Randzonen betrachtet, die Baltikumkämpfer und die Abenteurer des Zwischenkriegsdeutschland, die „Verdammten“ Ernst v. Salomons, die Unruhe Peguys, die faschistische und die nationalsozialistische Bewegung waren demnach nur Störung eines Gleichgewichts, unerwünschte Zwischenfälle, jedoch nicht der Mahnruf einer Weltenstunde.

Die mahnenden Rufe eines Georges Bernanos, Emmanuel Mounier und Ortega y Gasset verhallten im Sturme entfesselter Massenbewegungen. Das Gorgonen-haupt einer unvorstellbaren Zerstörung begann über der bürgerlichen Gesellschaft Europas und ihrer Jugend aufzudämmern, die bei allen konstruktiven Leistungen die Kräfte der Gegenwart nicht oder zu spät erkannt hatte.

Der zweite Weltkrieg und die Schatten, die heute über der Welt lasten, rufen nun zu einer letzten Entscheidung auf und trennen die Lauen und Zögernden von denen, die eine Neuordnung der Welt und des Lebens anstreben.

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