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Neues Europa und altes Österreich

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Anläßlich der Verleihung des Ehrendoktorats der rechts- und staats wissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck an Rudolf Laun hielt dieser — seit Jahrzehnten eine europäische Autorität des Völkerrechts — eine Rede, die wir hier im Auszug bringen, da sie über alles Persönliche und Situationsbezogene hinaus Tatsachen festhält, die sehr zu unser aller Schaden heute nur mehr wenige zu wissen scheinen: das alte Österreich war nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich bereits ein Vorbild einer künftigen europäischen Union, um deren Struktur so viele Auseinandersetzungen der Gegenwart und auch wohl noch der nahen Zukunft gehen. „Die österreichische Furche"

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Anläßlich der Verleihung des Ehrendoktorats der rechts- und staats wissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck an Rudolf Laun hielt dieser — seit Jahrzehnten eine europäische Autorität des Völkerrechts — eine Rede, die wir hier im Auszug bringen, da sie über alles Persönliche und Situationsbezogene hinaus Tatsachen festhält, die sehr zu unser aller Schaden heute nur mehr wenige zu wissen scheinen: das alte Österreich war nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich bereits ein Vorbild einer künftigen europäischen Union, um deren Struktur so viele Auseinandersetzungen der Gegenwart und auch wohl noch der nahen Zukunft gehen. „Die österreichische Furche"

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In tiefster Rührung ergreife ich das Wort.

Ich danke der Universität Innsbruck und ihrer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät für die außerordentliche Ehrung, ich danke meinem österreichischen Vaterland dafür, daß es meiner in so schöner Weise gedacht hat, trotzdem ich seit fast 33 Jahren nicht mehr hier gelehrt habe.

Das alte Österreich, hervorgegangen aus der von Karl dem Großen gegründeten und von den Ottonen erneuerten Ostmark zum Schutz gegen Angriffe östlicher Völker, ist, als es am Beginn der Neuzeit eine Großmacht wurde, eine Ostmark für ganz Europa gewesen. 1529 und 1683 standen die Türken vor Wien, anderthalb Jahrhunderte haben die Militärmacht der Habsburger und das deutsche Sprachgebiet ihrem weiteren Vordringen, das ganz Europa der Fahne des Propheten unterwerfen wollte, Halt geboten. Österreich hat diese Mission erfüllt, trotzdem es im Rücken gegen mächtige Feinde, wie Frankreich und Schweden, zu kämpfen hatte.

Diese Lebenskraft, die ein Konglomerat von neun Völkern und einigen Volks- splittem durch Jahrhunderte bewiesen hat, legt die Frage nahe, ob nicht in der Verfassung und Verwaltung des Reiches trotz seiner unleugbaren Mängel und seines schließlichen Untergangs doch Bausteine zu finden seien, die bei einem vielleicht einmal künftig bevorstehenden Aufbau eines wirklich und ehrlich geeinten Europa verwertet werden könnten.

Für unsere Betrachtung kommt nur die westliche Reichshälfte, Österreich im engeren Sinn, in Betracht. Staatsrechtlich hieß sie „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder".

Dieses alte Österreich wurde von acht Völkern bewohnt. Im Norden waren es, von Westen nach Osten: Deutsche, Tschechen, Polen, Ukrainer oder Ruthenen und Rumänen; im Süden: Italiener, Slowenen und Serbokroaten. Dabei sind die kleinen Splitter der Ladiner in Südtirol und der Magyaren in der Bukowina nicht mitgerechnet.

Keines dieser Völker hatte die Mehrheit im Staate, jedes für sich bildete eine schutzbedürftige Minderheit gegenüber den anderen.

In diesem Punkt würde ein europäischer Bund es schwerer haben: wenn wir auch hier von kleineren Splittern absehen, so würde ein Europa ohne die Länder des Ostblocks etwa fünfzehn, ganz Europa etwa fünfundzwanzig Nationalitäten umfassen.

Viel schwerer wiegt noch ein anderer Umstand. Das alte Österreich war nicht durch Eroberungskriege zusammengewachsen. Durch viele Generationen kannten die Völker Österreichs keinen Krieg gegeneinander.

Ganz anders die Grenzen Europas. Sie sind zum größten Teil die Ergebnisse imperialistischer Eroberungskriege. Seit

Generationen gab es immer wieder willkürliche Eingriffe in die Freiheit und nationalen Wünsche der Völker.

Ungeheure Mengen von Haß sind also in Europa aufgehäuft, wie es ihn zwischen den Völkern des alten Österreich bis zu dessen Zerfall 1918 in solchem Grad nicht gegeben hat. Europa wird also, wenn es einen ehrlichen, friedlichen und dauernden Bund bilden will, allen Grund haben, sich nach Vorbildern dafür umzusehen, wie eine große Zahl von Völkern in Freundschaft vereint und zusammengehalten werden könne.

Es wird kaum ein anderes Vorbild finden als das alte Österreich.

Sehen wir nun, was das alte Österreich uns heute noch an Vorbildlichem bieten könnte.

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