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Tief ist der Brunnen der Vergangenheit...

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Mehrere Umstände spielten zusammen, um Cerams Buch „Götter, Gräber und Gelehrte“ zu einem Welterfolg zu machen: einmal unsere Zeitsituation mit ihren hunderterlei Organisationen, Mitgliedsbeiträgen, Vereinsabenden und all den technischen Errungenschaften der Zivilisation, die in uns den Wunsch nach dem ganz anderen, dem Einfachen, dem Archaischen wachrief, nach Hemingway, chinesischen Tuschzeichnungen und der versunkenen Welt der Antike; dann unser Streben, das Wissen der Welt in klaren Uebersichten geordnet zu sehen und damit die Uebermacht der stetig andrängenden Welt selbst leichter bewältigen zu können (ein Grund für die diversen „Taschenenzyklopädien“!); und schließlich die Darstellungsweise Cerams: er verstand es, uns die Ergebnisse einer Wissenschaft, der Archäologie, verständlich und zugleich spannend, ja dramatisch zu machen, indem er sie in der Form der Detektivseschichte erzählte und das „menschliche

Element“ hinzufügte. Denn er breitet nicht bloß die Ergebnisse vor uns aus, er berichtet auch, wie sie erarbeitet, wie Hypothesen aufgestellt und verworfen wurden und wie andere zum Ziele führten.

Das Buch — dem inzwischen viele ähnliche folgten — wurde ein Welterfolg und in 17 Sprachen übersetzt. Versprach er in ihm den „Roman der Archäologie“ zu erzählen, so ist die Aufgabe,, die er sich in seinem zweiten Werk „Enge Schlucht und schwarzer Berg“ stellte, zugleich schwerer und zugleich leichter: Schwerer, weil er sich mit der Geschichte der Entdeckung des Hethiter-Reiches auf Neuland begibt, denn die Hethiter sind, etwa wie die Etrusker, noch eines der zum Großteil ungelösten Probleme des Altertums; leichter, weil er sich hier auf ein einziges Forschungsgebiet, nämlich das Reich der Hethiter, beschränken konnte. Diesmal ist die Entdeckungsgeschichte kein „Roman“, reich an anekdotenhaften Einzelzügen der Ausgräber, sondern ein nüchterner Bericht wissenschaftlicher Forschungen und Forschungsmethoden, aber deswegen nicht weniger fesselnd. Zugute kam der Darstellung die eingehende Beschäftigung des Verfassers mit der Hethiterfrage, seine Teilnahme an den Ausgrabungen Prof. Bosserts in Karatepe (türkisch = Schwarzer Berg) und am XXII. Orientalistenkongreß in Istanbul, so daß er die dargestellte Materie nicht nur aus dtm Studium der Quellen, sondern auch aus Gesprächen mit den bedeutendsten Hethitologen und aus eigener Anschauung kennt.

Das Reich der Hethiter — die schon in der Heiligen Schrift (im 2. Buch der Könige) erwähnt werden — begann um etwa 1680 vor Christi, erlebt im 14. und 13. Jahrhundert seine größte Blütezeit tmd endet um 1190 vor Christi. Neue Völkerscharen strömen nach Kleinasien, die Hauptstadt der Hethiter, Hattusas (das jetzige Boghazköy, was soviel wie Schluchtdorf bedeutet), brennt. Es umfaßte in seiner Blütezeit das mittlere Kleinasien und erstreckte sich im Süden bis in die Gegend von Damaskus; auch Babylon wurde erobert, zeitweilig auch das westliche Anatolien, das Teil des Jordan und die Insel Zypern beherrscht. Es war das älteste indogermanische Reich an der Grenze Europas, das jahrhundertelang die Geschichte Vorderasiens bestimmte.

Die lebendige Bebilderung des Werkes stammt weitgehend von einem „Life“-Photographen. Besonders aufschlußreich sind die Kapitel über die „Kunst der Entzifferung“ und die „Wissenschaft vom historischen Datum“. Eine Zeittafel und ein umfassendes Literaturverzeichnis beschließen das Werk. Wir gehen wohl nicht fehl, auch ihm eine Bestseller-Laufbahn vorauszusagen.

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