Nicht mehr an den Müttern vorbei

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Geburt und Geboren sein

Fromme Menschen haben schon immer gewusst, dass wir alle abhängig sind. Dadurch unterscheiden sie sich von den autonomieversessenen Philosophen der europäischen Aufklärung. Von wem oder was aber hängen wir ab? Wer ernsthaft im Sinn hat, aus den diversen Krisen unserer Gegenwart einen Ausweg zu finden, sollte über diese Frage nachdenken.

Die gängige Theologie sagt, wir seien von dem abhängig, der uns geschaffen hat: vom Herrn und Vater im Himmel. Bin ich aber nicht zuallererst von Luft und Wasser abhängig, von Nahrung, Sprache, Tradition, Liebe, vom vielfältigen und wohlwollenden Tätigsein meiner ungefähr sieben Milliarden Mit-Erdenbürgerinnen und -bürger? Warum danken wir in Gottesdiensten dann aber kaum je einander, stattdessen notorisch einem abstrakten Höheren Wesen über uns?

Tatsache ist: Wir kommen durch einander, durch den Leib eines Menschen der vorangegangenen Generation. Es ist trotzdem weise, uns als "Geschöpfe Gottes“ zu bezeichnen, denn es sind ja nicht die Mütter und Väter, welche die Kinder "machen“. Mütter und Väter sind selbst Töchter und Söhne von Söhnen und Töchtern. Und hinter all dem Gebären und Zeugen und Leben-Weitergeben wirkt ein Geheimnis, das wir niemals ganz entschlüsseln werden, auch nicht mit dem Teilchenbeschleuniger. Wir kommen durch einander: durch Macht in Beziehung, ein großes Umunsherum, ein Ich-bin-da (Ex 3,14) durch umfassende Liebe (1 Joh 4,8).

Die theologische Aufgabe, nicht mehr an den Müttern vorbei oder über sie hinweg, sondern mit ihnen und durch sie das Göttliche zu denken, trägt mich wie von selbst ins schöpferische Durcheinander der vielen Namen Gottes. Wie schön, dass sich all diese Namen, und auch die Weihnachtsgeschichte in unserer biblischen Tradition finden lassen.

* Die Autorin ist Schriftstellerin und ev. Theologin in der Schweiz

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