Österreich und der Geist
Buchmesse in Frankfurt. Ein "Weiszbuch" in Wien. Anlässe, über das Verhältnis Österreichs zum Geist, statt zum Weingeist, nachzudenken.
Buchmesse in Frankfurt. Ein "Weiszbuch" in Wien. Anlässe, über das Verhältnis Österreichs zum Geist, statt zum Weingeist, nachzudenken.
Österreichs Dichter schenken Österreich nichts. Die Kette der Österreich liebend oder hassend, meist haßliebend die Wahrheit hineinsagenden Dichter reicht von Karl Kraus und Arthur Schnitzler über Robert Musil bis Thomas Bernhard und Robert Menasse. Österreich revanchiert sich und schenkt seinen Dichtern nichts. Es enthält ihnen vor, was ihnen zusteht, steuerlich, sozial- und urheberrechtlich. Es hält den Geist nieder, indem es ihn an der materiellen Basis packt. So erweist es sich der Schelte seiner Dichter und seines Rufes als traditionsverbundenes Land würdig. In welche Tradition es sich damit einreiht, ist den politischen Machern wohl gar nicht bewußt. Auch wenn sie selbst dort sitzen, wo im Vormärz einer der großen Begründer dieser Tradition saß. Denn daß sich ein Sozialdemokrat wie Viktor Klima mit Staatskanzler Wenzel Metternich identifiziert, kann man ja nicht annehmen.
Sie wandeln aber getreu in seinen Fußstapfen und haben den Grundsatz verinnerlicht, daß nur arme Dichter gute Dichter sind, weil der aufrechte Gang stets mit der Stellung in der Gesellschaft und dem Geld zu tun hat. Österreich versteht es virtuos, dem Geist - es sei denn, er wese schon in den Grüften - die Achtung zu verwehren und das Leben zu erschweren. Wenn der Staat nicht will, haben hier die Dichter nicht einmal mitzureden, wenn es um ihre eigenen Werke geht. Was soll man von einem Land halten, das Jahrzehnt um Jahrzehnt an einer Regelung festhielt, die den Schulbuchverlagen das Recht gab, Texte nicht nur honorarfrei abzudrucken, sondern auch zu verstümmeln? Die Autoren hatten kein Recht auf Verständigung, konnten nicht Einblick in geplante Abdrucke nehmen. Eine ähnliche Regelung in Deutschland wurde vor Jahrzehnten entsorgt.
Die Kämpfe, die nötig waren, um diese Selbstverständlichkeit auch in Österreich durchzusetzen, sind signifikant für die Gleichgültigkeit und Sturheit, mit der Österreichs Politiker auf Forderungen und Probleme der Literatur reagieren, ob sie nun dem schwarzen oder dem roten Lager angehören, von der - allerdings wohlbegründeten - notorischen Geistfeindlichkeit der Blauen ganz zu schweigen. Der schier unglaubliche Opportunismus dessen, was sich in diesem Land Kulturpolitik nennt, läßt sich am Steuerrecht vorführen. Wer Tantiemen "aus der Verwertung patentrechtlich geschützter Erfindungen" bezieht, bezahlt dafür nach wie vor nur den sogenannten Hälftesteuersatz. Gleichgültig, wie hoch diese Einkünfte sind. Hochbezahlte Wissenschaftler in Weltkonzernen zahlen für Patenteinkünfte, die zum Gehalt dazukommen, die Hälfte der Steuer, die sonst fällig wäre. Den Autoren wurde der Hälftesteuersatz für Einkünfte aus der Verwertung literarischer Urheberrechte in den siebziger Jahren zugestanden und in den achtziger Jahren wieder gestrichen. Übelste Vormärz-Tradition: Der Staat verteilt und entzieht Gunstbeweise. Den Autoren wurde der Hälftesteuersatz übrigens nur zugestanden, wenn diese Einkünfte Nebeneinkünfte waren.
Eine solche Schlechterstellung verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Hälftesteuersatz wird den Erfindern zugestanden, weil Lizenzeinkünfte erst nach langer Vorarbeit und Bezahlung hoher Patentgebühren fließen, wenn überhaupt. Aber auch von dem, was Geistesarbeiter schaffen, trägt vieles erst nach Jahrzehnten oder nie materielle Früchte. Selbst die Berühmtesten schrieben einen oft beträchtlichen Teil ihres Lebenswerks für den Nachlaß. Im Vorjahr erschien - erstmals! - ein Roman, den Milo Dor mit Reinhold Federmann in den fünfziger Jahren geschrieben hatte. Christoph Ransmayr, Felix Mitterer, Lida Winiewicz, Raoul Schrott und andere waren daher auch moralisch im Recht, falls sie sich tatsächlich, wie man immer wieder hört, aus steuerlichen Gründen nach Irland empfahlen.
Das Steuerrecht ist nur ein Beispiel für das Prinzip, den Geist niederzuhalten. In derselben Tradition wird die in Deutschland vor Urzeiten verwirklichte begünstigte Sozialversicherung für Künstler auf jene lange Bank geschoben, auf der das Urheber-Nachfolgerecht noch liegt und die Kopierabgabe jahrzehntelang lag. Auch das Gesellschaftsspiel Hängenlassen gehört hierher: Nachdem die Kunstbeamten jahrzehntelang ratlos die Schultern gehoben hatten, wenn Dichter wissen wollten, ob Stipendien steuerfrei seien oder nicht, schlugen die Finanzämter zu. Erst nach Jahren wurde Klarheit geschaffen. Jahre, in denen dieses Problem die Autoren okkupierte und andere Probleme vernachlässigt werden mußten.
Die Logik der Macher liegt offen zutage: Innovationen, die das Bruttosozialprodukt erhöhen, sind für das Land wichtig. Selbst wenn es sich um Maschinen handelt, mit denen man dann Arbeitsplätze wegrationalisiert. Bücher erhöhen auch das Bruttosozialprodukt, aber ihre Urheber sind suspekt. Wenn es ihnen zu gut geht, kriegen sie womöglich Flausen und erklären in einer Zeitung die Politiker für dumm.
Metternich, schau oba (für deutsche Leser: schau herunter auf die Erde): Die Gefahr, es könnte dem Geist in Österreich zu gut gehen, besteht auch unter Kanzler Viktor Klima und seinem "Chefsache"-Verwalter Peter Wittmann nicht. Es wird bloß im unendlichen Wechselbad von Kalte-Schulter-Zeigen und Auf-die-Schulter-Klopfen derzeit wieder einmal letzteres gespielt. Die jüngste Unsäglichkeit ist ein offizielles "Weiszbuch" (!), in das alle alles hineinreklamieren konnten. In dem aber, obwohl es sich nur um einen "Diskussionsentwurf" handelt, keineswegs alles drinsteht, was hineinreklamiert wurde. Und das sich bald als neue Variante der alten österreichischen Strategie des Schubladierens erweisen dürfte. Schubladieren, für deutsche Leser: Eine in Österreich perfektionierte Methode, alles Lästige in amtlichen Schubladen, wenn möglich für alle Zeiten, verschwinden zu lassen.
Österreich und der Geist: Eine unendlich traurige unendliche Geschichte.
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