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Alles für Flandern…?

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In Belgien sind sich Wallonen und Flamen wieder einmal in einer Weise in die Haare geraten, die an die „besten” Zeiten der Streitigkeiten zwischen Tschechen und Deutschen in der alten Habsburger- Monarchie erinnern. Dieser neu aufgeflammte Streit erweckt fast den Eindruck, daß Belgien nicht nur einmal österreichisch war, sondern Wert darauf legt, der letzte lebende Überrest des Vielvölkerstaates zu sein! Ausgangspunkt der neuen Zwietracht ist die katholische Universität in Löwen.

Seit 1963 ist Belgien in drei sprachlich völlig autonome Gebiete eingeteilt, in das wallonische, flämische und deutsche. Nur die Hauptstadt Brüssel ist zweisprachig und ebenso die katholische Universität in Löwen, die aus zwei autonomen Teilen besteht, die nur den Rektor gemeinsam haben. Die wallonischen Angehörigen der Universität besitzen außerdem eine Autonomie, die so weit geht, daß außer Schulen für die Angestellten auch ein eigenes Zivilstandesamt für die französisch- sprechenden Angehörigen der Hochschule besteht.

Diese katholische Universität sollte jetzt weiter ausgebaut werden durch Errichtung neuer Institute und Lehrkanzeln. Dies hätte natürlich einen weiteren Zuzug wallonischer Professoren und Hörer bedeutet. Flämische Kreise sahen durch diese kommende Vergrößerung des wallonischen Elementes eine Gefährdung des „flämischen Charakters” der Stadt. Und sie schlugen daraufhin Krach. Und verlangten vor allem die Verlegung des französischen Teiles der Universität von Löwen weg ins wallonische Belgien. Die Regierung suchte eiiner Entscheidung auszuweichen, indem sie erklärte, daß die Universität ja der Bischofskonferenz unterstehe. Die Bischofskonferenz war sich aber selbst nicht darin einig, wie sie sich gegenüber den flämischen Forderungen verhalten solle, und schob den Schwarzen Peter wieder der Regierung zu. Diese — eine Koalitionsregierung aus Christlichsozialen und Liberalen — entschied schließlich mit Mehrheit, daß alles beim alten bleiben solle.

Daraufhin demissionierten die flämischen Minister, allesamt Angehörige der christlichsozialen Partei, und verursachten schließlich eine Demission des gesamten Kabinetts.

Das wallonische Belgien, aufgehetzt durch den flämischen Nationalismus, begann ebenfalls zu kochen und forderte die Selbständigkeit des französischen Teils des Königreiches, in der Hoffnung, vielleicht durch de Gaulle eine ähnliche Unterstützung zu bekommen wie vielleicht einmal die französischen Kanadier.

Belgien ist wieder einmal vom Zerfall bedroht, und, wie alles weitergeht, ist noch ungewiß. Gewiß ist nur eines, daß jede neue Regierung den französischen Teil der Universität Löwen ins wallonische Gebiet verlegen muß. Tausende von Studenten und Hunderte von Professoren und Assistenten und deren Angehörige werden die schöne Stadt verlassen. Die Stadt und viele ihrer Einwohner werden dadurch sicherlich wirtschaftlich zu leiden haben, aber darum haben sich ja zu allen Zeiten nationalistische Hitzköpfe nicht gekümmert. Dabei ist Belgien besonders hart von der Arbeitslosigkeit geplagt, und jede Regierung müßte sich eigentlich eher mit ihrer Bekämpfung beschäftigen, als sich mit der Lösung überflüssiger nationaler Fragen zu plagen.

So hat der Nationalismus in Europa wieder einmal einen Sieg errungen. Das Traurige an der ganzen Angelegenheit ist, daß hier Christlichsoziale, konkret gesagt Katholiken eine besondere Rolle in dieser nationalen Fehde spielten, anstatt sich bewußt zu sein, daß sie aus ihrem Glauben heraus die Angehörigen anderer Nationen auch als Brüder anzusehen hätten. Betrüblich ist auch, daß der Bischof von Brügge durch eine Rede zusätzliches öl in den brodelnden Kessel goß, obwohl es doch nicht zu den Angelegenheiten eines Bischofs gehört, sich in Sachen „Nationalismus” hervorzutun, sondern viel eher für eine Versöhnung einzutreten.

Es ist für alle Katholiken beschämend, zu sehen, daß sich die belgischen Sozialisten in der ganzen Angelegenheit viel toleranter erwiesen und die Forderung der Zeit begriffen.

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