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Löwen im Sprachenstreit

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In der Vorwoche hat der Sprachenstreit um die Universität Löwen durch ein Ultimatum der flämischen Studenten an die belgische Bischofskonferenz eine neuerliche Verschärfung erhalten. Die Studenten fordern eine Änderung des derzeit geltenden Sprachenstatuts und drohen mit neuerlichen Demonstrationen. In der dreisprachigen Schweizer Studentenzeitschrift „Civitas“ fanden wir einen interessanten Beitrag, der auch die Hintergründe des Konflikts beleuchtet. Der Autor, Konrad Matter, studiert derzeit an der Universität Löwen und konnte als Ausländer seine Meinung unbeeinflußt von persönlichen Ressentiments bilden.

Wenn ich mich als Ausländer zu einer Frage äußere, die den belgischen Staat schon seit bald 130 Jahren beschäftigt, so weiß ich, daß ich damit ein heikles Unternehmen wage. Ich habe öfter in Gesprächen mit belgischen Kommilitonen bemerkt, wie fragwürdig ihnen selber dieser Staat erscheint, der bis heute noch nicht eine Nation geworden ist. Ich habe auch bemerkt, wie empfindlich beide Volksgruppen sind, wenn man diese wunde Stelle berührt, und wie schwer es ihnen fällt, sich in dieser Hinsicht von vorgefaßten Urteilen zu lösen. Es gehört zum Schicksal dieses Landes, an seiner Vergangenheit zu leiden, statt seine ganze Kraft auf die Zukunft zu verwenden.

Die älteste katholische Universität

Die Katholische Universität Löwen, eine der ältesten Hochschulen Europas, darf wohl mit Stolz auf ihre Geschichte und Tradition zurückblicken. Seit der Gründung (1425) blieb sie nicht verschont von politischen und geistesgeschichtlichen Stürmen: Die Religionskriege, die im 16. Jahrhundert auch die Niederlande heimsuchten, brachten die blühende Universität an den Rand des Abgrunds; nach der Angliederung Belgiens an die französische Republik (1795) wurde die Hochschule in Löwen von der Regierung geschlossen. Erst 1834 erfolgte auf Initiative der belgischen Bischöfe die Neugründung der Katholischen Universität, die sich seitdem prächtig entwickelte, dank der Weitsicht und der Tatkraft ihrer Rektoren.

Heute studieren in Löwen 20.000 Studenten an neun Fakultäten und verschiedenen Instituten, die vor allem für die neueren Wissenschaften eingerichtet wurden. Seit dem zweiten Weltkrieg ist auch die Zahl der ausländischen Studenten in unerwartetem Ausmaß gestiegen.

Die Leistungen der letzten Jahrzehnte wären jedoch vergeblich gewesen, wenn die gegenwärtige Krise, vielleicht nicht weniger ernst als die früheren, nicht bewältigt werden könnte. Ganz Löwen spricht davon, vom „splitsing“, das heißt, von einer möglichen Teilung der zweisprachi ge Universität in eine flämische und eine französische Hochschule. Der Vorschlag stammt aus der Küche flämischer Extremisten, scheint aber in weiten Kreisen Anklang zu finden. Man fragt sich bei solchen Gelegenheiten, ob sich diese Leute auch bewußt seien, daß es hier um den Fortbestand der berühmten „Universitas Catholica Lovaniensis“ (UCL) geht.

Die Einheit Belgiens — unbewältigte Aufgabe

Die Krise der Universität Löwen hängt eng zusammen mit dem „belgischen Problem“. Es ist ihr Miß geschick, in diesen leidigen Streit hineingezagen zu sein, in dem sich Flamen und Wallonen mit Abneigung und Mißtrauen begegnen.

Seit 1830 haben die Wallonen ihren flämischen Landsleuten gegenüber schwere Fehler beigangen. Der flämische Volksteil wurde wirtschaftlich und politisch von den Wallonen beherrscht. Die flämische Sprache war auf den höheren Schulen und in der Verwaltung nicht geduldet Wollte ein Flame die sozialen Schranken übersteigen, mußte er französisch zu sprechen beginnen, während sich kaum ein Wallone die Mühe nahm, flämisch zu lernen.

Die Entwicklung hat die Situation gründlich geändert. Doch geblieben ist das Andenken an diese Zeiten der Demütigung, an eine Vergangenheit, die das Zusammenleben der beiden Volksteile schwer belastet. Und wie schnell sind die Flamen selber im Unrecht, wenn sie die Grenzen ihres Rechtes nicht mehr erkennen!

Eine Universität — zwei Sprachen

Bei der Neugründung der Universität 1833 war Französisch die einzige Unterrichtssprache. Aber schon 1911 führte man ohne jeden gesetzlichen Zwang einzelne Kurse in Flämisch ein. Gegen 1930 begann man mit der planmäßigen Trennung der Universität in einen französischen und einen flämischen Zweig. Damals erklärte der Vorsitzende der belgischen Bischofskonferenz, des höchsten Organs der UCL, Kardinal van Roey: „Um jedes Mißverständnis auszuschließen und jede Besorgnis für die Zukunft zu zerstreuen, fügen wir bei: Es wird nie in Frage kommen, daß eine der beiden Sprachen die andere verdränge oder über die andere dominiere.“

Das Ziel war erst um 1960 erreicht: Die beiden Abteilungen sind nun praktisch autonom; in Zukunft sollen auch die Budgets getrennt werden. Wohl steht an der Spitze ein Rektor und ein Verwaltungsrat; aber beide Zweige haben einen Pro- Rektor, und den Fakultäten stehen je zwei Dekane vor. Dennoch bekommt man nicht den Eindruck, es beständen zwei Universitäten in Löwen. In einigen Instituten arbeiten Leute beider Sprachen zusammen; besonders bei den Naturwissenschaftlern werden oft die Labors und kostspielige Apparaturen benützt. Nicht wenige Professoren unterrichten in beiden Sektionen, oft genötigt, die gleiche Vorlesung zweimal zu halten.

Der Grund, warum die Universität in den Sprachenstreit verwickelt wurde, ist die geographische Lage der Stadt: Löwen liegt, wenn auch nur wenige Kilometer von der Sprachgrenze entfernt, im flämischen Brabant.

Während man sich mit der Zweisprachigkeit Brüssels abzufinden scheint, wollen die „Flaminganten“ Löwen wieder ganz für das Flamen- tum zufückerabem. Sie fürchten, durch die Anwesenheit französischsprachiger Professoren und Studenten werde die Bevölkerung allmählich französisiert. Um einen solchen Einbruch in Flandern unter allen Umständen zu verhindern, haben sie das Losungswort herausgegeben: „Walen buiten — Leuven vlaams!“, das bedeutet: Hinaus mit den Wallonen, Löwen soll flämisch bleiben!

Die Expansion der Universität

Solche Argumente hätten freilich kaum genügt, die heutige Krise auszulösen. In dieser Form verrieten sie zu offensichtlich die zweifelhafte Urheberschaft. Ein anderer Umstand kam den Extremisten zu Hilfe, der ihren Vorschlägen das eigentliche Gewicht gab: Die Expansion der Universität. Schon seit einiger Zeit genügten die alten Gebäude den Erfordernissen der neuen Wissenschaften und der rasch ansteigenden Studentenzahl nicht mehr. Man begann, gewisse Institute an der Peripherie der Stadt, in der Gemeinde Heverlee, anzusiedeln. Weil es zudem immer schwieriger wurde, in Löwen genügend Kranke — vor allem französischsprechende — für die Universitätskliniken zu bekommen, baut man in der Bannmeile von Brüssel eine Siedlung für die französische Abteilung der medizinischen Fakultät. Da aber die Anzahl der Studenten in den nächsten Jahren noch zunehmen wird — man rechnet bis 1980 mit 35.000 —, sind weitere Maßnahmen unerläßlich. Die Flamen

— gewillt, die Gelegenheit nicht ungenutzt zu lassen — wollen das Problem lösen, indem sie kurzerhand die ganze französische Sektion in die Wallonie verlegen möchten: nach Wavre, ein Städtchen mit 8500 Einwohnern, etwa zwanzig Kilometer südlich von Löwen. Damit hätten sie gleich zwei Fliegen mit einem Schlag: Das Platzprablem der Universität wäre gelöst und Löwen von den Wallonen „gesäubert“.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie hat jedoch ein Fachmann der Löwener Städteplanung bewiesen, daß in Löwen und seiner näheren Umgebung genügend Raum für eine ungehinderte Entwicklung der Universität vorhanden ist. Er schreibt auch, geschädigt würde Flandern nicht durch die Anwesenheit der französischen Sprache an der Universität Löwen, sondern durch den Verlust von jährlich 300 Millionen belgischen Franken.

Ein illusorischer Plan

Der erste Punkt, der im Zusammenhang mit der Gründung einer neuen Universität geklärt werden muß, ist die Frage, ob ein solcher Plan finanziell überhaupt durchführbar ist. Niemand hat Interesse an der Gründung einer zweiten katholischen Universität in Belgien. Die Kreise, die heute mit dem Staat zusammen die UCL finanzieren, verfügten nicht über die nötigen Mittel, eine zweite Universität zu unterhalten. Im Parlament könnten die katholischen Wallonen kaum auf Unterstützung für ein solches Projekt zählen, weder bei den Flamen noch bei den Sozialisten.

Leider scheinen sich die wenigsten

— Wallonen wie Flamen — bewußt zu sein, wie glücklich sich der Austausch der beiden Kulturen auswirken könnte, hier auf einer Ebene zusammentreffend, die allein durch ihre Bestimmung schon umfassend und weltoffen sein müßte. In Löwen hat Belgien eine Bewährungsprobe zu bestehen: Wie wäre die Einheit des Landes noch denkbar, wenn die beiden Sprachgemeinschaften am einzigen größeren Unternehmen, das sie gemeinsam tragen, scheiterten?

Es ist eine Illusion, zu glauben, die geteilte Universität würde den gleichen Weltruf genießen wie heute die zweisprachige Universität Löwen. Welche Abteilung würde wohl diesen Ruf erben? Etwa die flämische Uni versität Leuven oder gar die Provinzuniversität Wavre? Man kann sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn in Diskussionen uns Ausländern allen Ernstes gesagt wird, wir seien nach wie vor sehr willkommen in Löwen, nur sollten wir den Vorlesungen auf flämisch folgen. —

Das Recht des Stärkeren

Die Autorität, die in letzter Instanz über das Los der Universität Löwen zu bestimmen hat, ist die Konferenz der belgischen Bischöfe. Am 13. Mai trat sie zur Beratung zusammen und gab ihre Stellungnahme zwei Tage später bekannt. Die Erklärung ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Die institutioneile, funktioneile und geographische Einheit der Universität Löwen soll erhalten bleiben. Die Gründung einer neuen katholischen Universtät kommt nicht in Frage. Wohl wird im Zusammenhang mit der steigenden Studentenzahl eine gewisse Dezentralisierung nötig sein: Sie soll jedoch beide Sprachgruppen in gleichem Maße treffen. In Löwen werden beide Sektionen gleichberechtigt bleiben.

Die Erklärung der Bischöfe löste bei den Flamen einen Sturm der Entrüstung aus. Während die flämische Presse noch verhältnismäßig zurückhaltend ‘blieb und mehr den „autoritären Ton“ als den Inhalt an- griff, traten die flämischen Studenten in offene Rebellion gegen die Obrigkeit. Sie riefen zum unbegrenzten Streik gegen die „automatische Willkür“ auf und drohen, nötigenfalls die Universität auch im nächsten Schuljahr zu boykottieren. Neben „Walen buiten“ rufen sie nun: „Bisschoppen buiten“. Der Antiklerikalismus, der seit Beginn der Bewegung schon mitgespielt hat, ist nun offensichtlich geworden. Der neue Slogan: Nicht bloß flämische, sondern auch demokratische und pluralistische Universität!

Damit werden Strukturprobleme aufgagriffen, die einer reiflicheren Überlegung wert wären, als bloß zu Schlagworten zorniger Schreihälse zu werden. — Tatsächlich hätte sich der Episkopat früher schon mit einer allmählichen Demokratisierung auseinandersetzen sollen, vielleicht sogar verbunden mit dem Verzicht auf seine starke Stellung an der Universität. Ist die Leitung einer Hochschule heute noch Aufgabe der Hierarchie?

Was wird aus der Universität Löwen werden? Ich habe bereits auf das Grundproblam hingewiesen: Zwei

Volksgruppen, die nebeneinander herleben, jede sich ängstigend, die andere könnte sie übervorteilen. Mit Gesetzen und Institutionen versucht man sich gegen den ändern abzusichern, um damit Begegnungen, die Konflikte bedeuten könnten, aus dem Weg zu gehen. Solche Trennmauern vertiefen den Graben zwischen den beiden Völkern: Sie werden sich dadurch noch fremder. Ein Löwener Professor, der vielleicht wie kein anderer die wahren Hintergründe der heutigen Situation durchschaut hat, meinte dazu: „Es stimmt in einem gewissen Sinne, daß es keine Lösung des Sprachenproblems gibt. Denn das ist nicht ein Problem, das man lösen kann, sondern eine Verschiedenheit, die man annimmt.“

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