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Anspruch und Verpflichtung

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Der moderne Sozialstaat gründet sich auf die allgemeine Anerkennung der Solidarität, der wechselseitigen Verantwortlichkeit aller für den einen und des einen für alle.

Vom einzelnen aus gesehen, hat diese Solidarität zwei Erscheinungsformen: sie begründet seinen Anspruch der Gemeinschaft gegenüber auf Förderung und auch Hilfe mancher Art, aber gleichzeitig auch seine eigene Verpflichtung, als Glied der Gemeinschaft beizutragen zur Förderung und Hilfe für andere.

Eine gewisse Diskrepanz zwischen Anspruch und Verpflichtung ergibt sich in einer materiell ausgerichteten Gesellschaft daraus, daß im allgemeinen in solcher Atmosphäre Nehmen seliger ist als Geben. Dazu kommt, daß der Anspruch materiell ohne weiteres einleuchtet, während die praktischen Folgerungen aus der Verpflichtung eigentlich nur dort gezogen werden, wo eine bestimmte Geisteshaltung vorherrscht. Wenn es infolge allzu materieller Einstellung daran mangelt, kommt es zur Störung des notwendigen Gleichgewichts zwischen Anspruch und Verpflichtung und schließlich zum Ueber-handnehmen verantwortungsloser Forderungen, welche dem Gemeinwesen schaden müssen.

Es geht also heute um die Wiederherstellung dieses Gleichgewichts, das heißt, um die Erstarkung des Verantwortungsgefühls für die gemeinsame Sache. Dazu gehört auch eine klarere Formulierung des Staatszweckes. Wenn dem Staate das Wohl des Volkes als Aufgabe gestellt wird, dann muß es das ganze Wohl sein; dann muß neben die Wahrnehmung der materiellen Wohlfahrt die Pflege des geistigen Wohles treten.

Viele gegenwärtige Schwierigkeiten sind darauf zurückzuführen, daß man über die Jagd nach dem Lebensstandard vielfach auf die zweite, die geistige Seite der gegenseitigen Verpflichtung vergessen hat. Es ist hier zweifellos ein gewaltiger Nachholbedarf vorhanden und ein energisches Nachziehverfahren erforderlich. Deshalb wird es in den kommenden Jahren notwendig sein, die kulturellen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft aus der bisherigen nachgeordneten Position klar an die Spitze des Staatsprogramms zu stellen.

Die Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen materiell begründetem Anspruch und nur geistig zu begründender Verpflichtung kann in Oesterreich glücklicherweise anknüpfen an ein Erbe, das tief in unserem Volke wurzelt und es im Kern gesund erhalten hat; im Grunde ist der Glaube daran unerschüttert (wenn auch vielfach verschüttet), daß der Mensch nicht vom Brote allein lebt und daß es noch höhere Güter gibt als das Auto und die Sizilienreise. In jedem kleinen Orte der Heimat, an jedem Weg steht das jahrhundertealte Symbol dieses Glaubens, die Kirche, die Kapelle, das Wegkreuz. Ueberau in Oesterreich überragt der Kirchturm mit dem Kreuz die Zweckbauten der Menschen, und auch in der österreichischen Metropole, der Weltstadt Wien, dominiert immer noch der Stephansturm — anders als etwa in vielen amerikanischen Großstädten. Zur geistigen Seile der staatlichen Aufgabe gehört auch die Pflege dieser Zeichen einer Haltung, aus der allein die Gesundung kommen kann. Man sollte über die Notwendigkeit dieser Gesundung nicht leicht hinwegplaudern. Denn die Auseinandersetzung mit dem Osten steht erst in ihrem Anfangsstadium. Die Erneuerung des abendländischen Geistes wird sein oder das Abendland wird nicht mehr sein. Am Ernst dieser Alternative dürfte kaum zu deuteln sein. Das Land Steiermark, das als öffentlichrechtliche Gebietskörperschaft quasi staatliche Gemeinschaftsaufgaben zu erfüllen, hat, ist sich der geistigen Seite dieser Verpflichtung schon lange und besonders klar bewußt. Es mag dies auf den großen steirischen Erneuerer Erzherzog Johann zurückzuführen sein, der vor rund 150 Jahren schon in den Statuten des von ihm gegründeten Joanneums in Graz die Erziehung im weitesten Sinne, also die Pflege des Geistigen im Volke, als die „höchste National-Angelegen-heit“ bezeichnet hat.

Zur Pflege der Kultur im weitesten* Sinne gehört nach gut steirischer Auffassung auch die Erhaltung der Symbole des uralten Väterglaubens, der Kirchen.

Das Land Steiermark hat daher, seit die allgemeine Lage es erlaubte, das heißt seit 1949, in rasch steigendem Maße aus Budgetmitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der steirischen Weihestätten aller Konfessionen beigetragen und bis Ende 1957 rund vier Millionen Schilling für diesen Zweck aufgewendet. Ueber Einzelheiten mögen Berufenere berichten. Erwähnt sei nur, daß die Landesbeiträge im ganzen Land verstreut, dort aber konzentriert wurden, wo es sich um Heiligtümer von überörtlicher Bedeutung handelte, so zum Beispiel bei der Renovierung der Mariazeller Basilika oder beim Wiederaufbau ■ der im Kriege zerstörten Münzgrabenkirche in Graz. Daß die Steiermark den Wiederaufbau des Stephansdomes in Wien als gesamtösterreichische Aufgabe betrachtet und erheblich dafür beisteuert, ist nur selbstverständlich.

Es geht mir weder um eine trockene Statistik noch um einen Leistungsbericht, sondern um die tiefere Begründung dafür, daß Steuergelder auch über die rein denkmalpflegerische Aufgabe hinaus für Kirchenbauzwecke verwendet werden. Wir sind uns dabei des Einverständnisses der großen Mehrzahl der Steirer sicher. Denn dieses darf die sogenannte Provinz für sich in Anspruch nehmen: Mag man in der Zentrale mit mehr Chrom und Nickel der Spitze der Entwicklung näherbleiben, so ist die Peripherie dafür den altbewährten Bindungen noch enger verhaftet. Gerade diese Bindungen aber sind es, die allein uns einmal aus den Sackgassen herausführen können, in die die sogenannte Entwicklung sich vielleicht verirren mag. Die Symbole dieser Bindungen beherrschen auch heute noch die Heimat. Sie zu erhalten ist mit eine öffentliche Aufgabe, der sich die Steiermark nicht entzogen hat und auch in Zukunft nicht entziehen wird.

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