6679530-1961_37_04.jpg
Digital In Arbeit

Auswechselbare „Köpfe“

Werbung
Werbung
Werbung

Ein hervorstechendes Merkmal der niederösterreichischen Presse ist der Zug zur Konzernierung. Weitaus der größte Teil gehört einer der fünf Zeitungsgruppen an, von denen drei in Wien, eine in St. Pölten und eine in Krems ihre Zentralredaktion haben. Ihre durch die große Zahl von Titeln vorgetäuschte Vielfalt ist freilich nicht ganz echt. Denn die verschieden betitelten Blätter einer Gruppe mutieren nach ihrem Absatzbereich nur einen geringen Teil ihres Inhalts oder sie tauschen für ihre verschiedenen Lokalausgaben überhaupt nur die „Köpfe“ aus, sind aber im ganzen Inhält identisch. Die Gruppen haben die natürliche Tendenz, lahm und alters- oder finanzschwach gewordene lokale Einzelgänger sich einzuverleiben. Es wird dann meist mit dem traditionellen Namen als „Kopfblatt“ weitergeführt. Die ansehnlichste Kollektion an solchen Kopftrophäen hat bisher die Gruppe des St.-Pöltner Preß- vereins aufzuweisen.Eine kleine Übersicht wird uns die weitere Betrachtung erleichtern:ÖVP-Blätter, verlegt beim „Stadt- und-Land-Verlag“, Wiener Neustadt, Sitz der Zentralredaktion in Wien. Dieser Gruppe gehören folgende Zeitungen an: „Badner Volksblatt“, „Mödlinger Zeitung“, „Neunkirchner Zeitung", „Niederösterreichische Volkspresse“, „Volks-Post“ und „Wiener- Neustädter Zeitung“. Sie wurden bis vor einigen Jahren in Redaktions- und Verwaltungsgemeinschaft mit den Sankt-Pöltner Preßvereinszeitungen in Sankt Pölten hergestellt. Seither haben sich diese beiden stärksten Pressegruppen aber weit auseinanderent- wickelt. Die regionale Abgrenzung zwischen ihnen folgt den Diözesan- grenzen, und wenn es in Grenzgebieten auch zu gewissen Überlappungen kommt, so werden sie doch im allgemeinen respektiert. Nur die „Niederösterreichische Volkspresse" hält sich nicht an diese Grenzen, da sie als Landesorgan des ÖAAB den Mitgliedern im ganzen Landesbereich zugeschickt wird: aber in freiem Verkauf ist sie nicht erhältlich. Sie übernimmt aus den Regionalblättern örtliche Nachrichten und liefert ihnen dafür den Unterhaltungsteil, worunter sich auch - leider! - die Dummheitstablette „Wochenhoroskop“ befindet. In ihrer ganzen Haltung zeigen sich diese Blätter als reine Parteizeitungen. Auch die Werthierarchie ist eindeutig: Religion rangiert mit Priester]ubiläen und Visitationsdiarien nicht im Grund- satzteil, sondern unter den lokalen Nachrichten.

• Die SPÖ-Blätter, hergestellt in der Druckerei ,,Vorwärts“, deren Zentralredaktion sich ebenfalls in Wien befindet, umfassen folgende Titel: „Badener Gleichheit“, „Eisenwurzen-Rundschau“, „Gleichheit“, „Melker Rund schau", „Mödlinger Bezirks-Rundschau", „Neunkirchner Bezirksbote", „Niederösterreichischer Volksbote", „St.-Pöltner Rundschau“, „Schwechater Bezirksbote", „Volkswille“ und „Waldviertler Wegweiser“. Sie geben sich schon im Impressum als parteioffizielle Organe zu erkennen und sind als solche vorwiegend auf den politischen Kampf auf kommunaler und Landesebene ausgerichtet. An ihrer Entwicklung im Laufe des letzten Jahrzehnts ist deutlich die Metamorphose der SPÖ voft ihrer Jrefeienkprijchanti- kterikaleii Tn.u.ihre weltanschaulich pluralistische und der Kirche gegenüber tolerante Phase abzulesen. Während vor zehn Jahren noch Pfarrer, Bischöfe und Katholische Aktion eo ipso als politische Gegner klassifiziert und behandelt wurden, setzte um die Mitte der fünfziger Jahre eine Umorientierung ein, wobei freilich die Lokalredaktionen den neuen Tendenzen der Parteileitung und des Wiener Zentralorgans anfänglich nur zögernd folgten. Es kam zu einer Periode der Unsicherheit, des „Eingabelns". im Artilleristen) argon gesprochen. Die Diskussionen um das neue Parteiprogramm gaben den alten Freidenkern noch einmal Gelegenheit, im Stil von 1927 ihrem antiklerikalen Unmut Ausdruck zu verleihen, doch wurden diese Espektorationen schon mit kirchenfreundlichen Stimmen in die Waage gebracht. Seither herrscht in diesem Punkt, von gelegentlichen Kurzschlüssen abgesehen, die Stimmung einer wohlwollenden, aber etwas mißtrauischen Neutralität. Priester werden kaum noch angegriffen, gelegentlich werden auch katholische Stimmen als Zeugen für die sozialistische Sache notiert. Lokale kirchliche Ereignisse sind nicht mehr, wie früher, einfach tabu, doch wird nur ausnahmsweise, dann aber würdig und mit allmählich wachsender Sachkenntnis, darüber berichtet.

Die KPÖ-Blätter, die im Clobus- Verlag in Wien erscheinen, sind nach dem Abzug der russischen Besatzung stark zusammengeschrumpft. Die Gruppe umfaßt nach dem Eingehen ihrer Ableger im Wald- und Weinviertel nur noch vier Blätter, die gewisse Teile des südlichen Niederösterreich bestreuen. Dies sind: „Rundschau“, „St.-Pöltner Nachrichten“, „Schwarzataler Bezirksbote" und „Wiener-Neustädter Nachrichten“. Sie sind nicht ungeschickt gemacht, arbeiten viel mit sozialer Entrüstung, vernachlässigen „Sex and Crime“ nicht und führen die antiklerikale Tradition der Sozialisten weiter. Hier wird allerdings mit regional verschiedener Dichte und Vehemenz — in Wiener Neustadt zum Beispiel mehr als in St. Pölten — gegen Pfarrer und höchste kirchliche Würdenträger gestichelt und geflegelt. Ein oftmals aufgegriffenes Thema ist in ihnen die „Kirchenfreundlichkeit der SPÖ“. Immer wieder, in allen möglichen Variationen und Zusammenhängen, wurde dieser „Verrat an der Arbeiterklasse“ — besonders in Wahlzeiten — am Beispiel der Verleihung von ‘päpstlichen Medaillen und Orden an sozialistische Spitzenfunktionäre demonstriert,--igewiß auch mit einigem, wenn auch nicht wahlentscheidendem, Erfolg. Doch wurde die SP dadurch immer zur Vorsicht „gemahnt".

Die St.-Pöltner Preßvereinsblätter, hergestellt im Niederösterreichischen Pressehaus in St. Pölten, ebendort redigiert und verwaltet. Zu ihnen gehören: „Amstettner Zeitung", „Eggenburger Zeitung", „Erlauftal-Zeitung",

„Gmünder Zeitung", „Horner Zeit- tung", „Kremser Zeitung“, „Melker Zeitung". „St.-Pöltner Zeitung“, „Waidhofner Zeitung", „Ybbstal- Zeitung“ und „Zwettler Zeitung“. Es ist die titelreichste und — sieht man von der unechten Volkspresse- Auflage ab — auch auflagestärkste Gruppe, die mit ihren Mutationen und Kopf blättern nahezu jede dritte Familie ler Diözese St. Pölten erreichen dürfte. Diese Gruppe steht der Volkspartei wohlwollend gegenüber, ist aber von ihr nicht abhängig, was sich an der gelegentlich spürbar werdenden Reserve oder leichten Kritik erkennen läßt. Obwohl nicht in der Art eines Kirchenblattes redigiert, ist eine Wertordnung, die den religiösen Werten den Vorrang gibt, im allgemeinen nicht zu verkennen. An Umfang und Ausstattung übertreffen die Blätter dieser Gruppe alle übrigen Zeitungen Niederösterreichs und sind überdies mit einer im Rotationstiefdruck hergestellten Bildbeilage versehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung