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Das Ende des Wiener Rundfunks?

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Die Öffentlichkeit wurde dieser Tage durch die Nachricht überrascht, daß maßgebliche Funktionäre des österreichischen Rundfunks der Bundesregierung ein Memorandum überreicht hätten, in dem die Zusammenfassung der Sendergruppen Rot-Weiß-Rot, Alpenland und West zu einem österreichischen Sender vorgeschlagen wurde — soferne nämlich das amerikanische und britische Besatzungselement bereit sind, einer Übergabe der in ihren Zonen liegenden Sender in österreichische Verwaltung ihre Zustimmung zu geben. Dazu wären sie unter gewissen Voraussetzungen tatsächlich bereit. Der Ravag-II-Sender, der zwar in der französischen Zone Wiens liegt, dessen Programm aber der Zensur der sowjetrussischen Besatzungsmacht unterliegt, würde wahrscheinlich gleichfalls in jenes neue österreichische Sendernetz eingeflochten werden.

Und Ravag I der größte, materiell bestbedachte und auch, unter den gegenwärtigen Umständen repräsentativste österreichische Sender? Nur scheinbar wird er von diesem Plan nicht berührt. In Wirklichkeit wird er aus dem geplanten Sendernetz von vornherein ausgeschlossen — denn alles sagt die Feststellung, der Ravag bliebe der Beitritt zu der neuen Gesellschaft jederzeit offen, „wenn nämlich die sowjetrussische Besatzungsmacht ihre Eingriffe in die Programmgestaltung und ihre diktatorische Zensur der Nachrichtensendungen aufgäbe“. Die Aufnahme der Ravag wird also an den Eintritt einer offenkundig nicht eintretenden Voraussetzung geknüpft. Also wird Ravag I ausgesperrt. Was dann die hier seßhafte Besatzungsmacht daraus machen wird, ist auszurechnen.

Man möge sich ganz klar darüber werden, von welchen Folgen die Verwirklichung dieses Vorhabens unweigerlich begleitet sein wird. Es ist richtig, daß Österreich zwar eine Reihe von Funkhäusern und Sendestationen besitzt, aber über keine von ihnen frei verfügen kann, wenn man von den beiden kleinen Sendern der Gruppe West absieht. Die Gründe dafür sind bekannt und werden der Öffentlichkeit durch die Nachrichten von den Sitzungen des Alliierten Rates in ziemlich regelmäßigen Abständen ins Gedächtnis gerufen. Gleichwohl: ob Rot-Weiß-Rot, Alpenland oder Ravag — es sind immer noch österreichische Sender, wenn auch besetzte Sender. Das ist eine Tatsache, die selbst durch die Tätigkeit von Zivilzensoren oder Informationsoffizieren nicht zu verwischen ist. Immer noch dienen sie, mag man ihre Programme auch durch jene „unösterreichischen Stunden“ deformiert haben, dem österreichischen Volk, seinen Musikern, seinen Schauspielern, seinen Gelehrten, kurz, seinem geistigen Leben. Und es mag sich, um diese Positionen zu halten, hinter den Kulissen oft ein geradezu heroischer Kleinkrieg zwischen den österreichischen Rundfunkleuten, die von niemandem, und den Kontrolloren, die von ganzen Armeen gestützt werden, abgespielt haben, ohne daß die Öffentlichkeit es ahnte. Noch einmal: daß unsere Rundfunkstationen besetzt sind, ist schmerzlich und erbitternd. Aber wir sind rechtlich und moralisch dennoch ihre Besitzer.

Das neue Konzept nun, das einigen Landessendern Aufgaben zuweist, die sie teils aus technischen Gründen nicht erfüllen können, teils auch, weil sie nicht über jenes Kräftereservoir verfügen, das' eine Großstadt wie Wien nun einmal besitzt, dieses Konzept also würde die staatlich sanktionierte Aufgabe der Ravag bedeuten. Denn es ist klar, daß die Anerkennung eines jenseits der Enns befindlichen offiziellen österreichischen Senders, auch wenn es gar nicht erst ausgesprochen wird, zugleich die Erklärung bedeutet, daß die Ravag nicht länger mehr ein österreichischer Sender sei. Das aber hieße sich eines Rechtes begeben, das von den Besatzungsmächten bis nun zwar beschnitten, niemals aber angezweifelt wurde. Die Folgen brauchen hier wohl nicht vorausgesagt zu werden.

Die Alternative kann also nicht heißen: Soll es einen österreichischen Rundfunk geben, koste es, was es wolle — oder können wir auf ihn verzichten? Sie kann nur lauten: Ist es besser, drei b e-setzteSenderzu besitzen oder die Rechte an dem bedeutendsten herzuschenken, um die Rechte der anderen, kleineren noch einmal bestätigt zu erhalten?

Die Antwort kann unmöglich schwerfallen. Wird sie nicht von der Vernunft, so müßte sie wenigstens vom Gewissen diktiert werden. Der große österreichische Sender darf nicht aufgegeben werden. Jeder Ausweg aus der unerquicklichen Situation des österreichischen Rundfunkwesens ist zu suchen, dieser eine aber darf unter keinen Umständen gegangen werden. Man schaffe eine von den Sendern und den Ländern beschickte und durch den Staat weitgehend unterstützte Körperschaft, die den besetzten Sendern — deren Rückstellung zu verlangen wir niemals aufhören dürfen — moralischen und politischen Rückhalt gewährt. An dieser Instanz fehlt es bisher. Den Gordischen Knoten sollte man in diesem Fall mit viel Geduld und politischer Geschicklichkeit, nicht durch Gewaltstreiche aufzulösen bemüht sein.

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