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Muß unser Rundfunk verstummen?

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Es war keine österreichische, sondern eine Schweizer Zeitung, die dieser Tage, als sie von neuerlichen Eingriffen einer Besatzungsmacht in das österreichische Rundfunkwesen erfuhr, sagte, daß Österreich jetzt allmählich schon zu Schwarzsendern seine Zuflucht nehmen müßte, wenn es der Welt noch seine Stimme zu Gehör bringen wollte. In der Tat: der kalte Krieg zwischen den großen Mächten um die Mittel zur Beeinflussung der Massen entzieht die österreichischen Rundfunksender mehr und mehr ihrer eigentlichen Aufgabe. Es gibt heute keine Rundfunkstation in unserem Lande, über die wir nach eigenem Gutdünken verfügen könnten; vor zwei Jahren besaß Österreich an seinen Sendern mehr Rechte als heute. So verschieden die Haltung der Besatzungsmächte gegenüber Österreich auch sein mag — von den Radiostationen in ihren Zonen zieht keine die Hand ab. In jüngster Zeit erst mußte sich der Salzburger Landeshauptmann anläßlich der Neubesetzung eines wichtigen Postens im Sender Rot-Weiß-Rot gegen einen Machtspruch des amerikanischen Besatzungselements verwahren; auch wird noch in Erinnerung sein, daß vor ebenfalls nicht langer Zeit die Vorarlberger Landesregierung — und nach ihr der Nationalrat — gegen gewisse, dem Ansehen des Landes nicht zuträgliche Programmpunkte desselben Senders protestieren mußte. Die langjährige Weigerung der englischen Besatzung, den Sender „Alpenland“ österreichischen Belangen unterzuordnen, ist allgemein bekannt.

Und die Ravag?

Wir haben uns hier mit ihr besonders zu beschäftigen. Sie ist in der Bundeshauptstadt beheimatet, verfügt über die leistungsfähigsten Sendearilagen und gilt infolgedessen im Ausland immer noch als repräsentativ, als „Stimme Österreichs“.

Wie steht's damit? Auf Verlangen der Sowjets ist die Ravag seit dem ersten Oktober dieses Jahres gezwungen, 16 Stunden ihrer wöchentlichen Sendezeit russischen Darbietungen einzuräumen, das sind zwei und eine Viertelstunde je Tag; die im Nachrichtendienst gesendeten und aus russischer Quelle stammenden Meldungen sind dabei nicht eingerechnet, wiewohl als Ergebnis des geschickten Zusammenspiels zwischen den russischen Zensurbehörden und den in Ravag-Diensten stehenden Kommunisten die Meldungen der russischen TASS-Agentur — die Quellenangabe wird zumeist nicht mitgesendet — etwa 2 0 b i s 25 Prozent des gesamten Nachrichtenmaterials ausmachen. (Zu Beginn des Jahres waren es noch 13 Prozent.) Die russische Zensur, der jedes Wort, das vor den Mikrophonen in der Argentinierstraße gesprochen wird, zur Kontrolle vorgelegt werden muß, gestallt — „weil es nötig ist, die einseitige Berichterstattung durch die westlichen Agenturen auszugleichen“ — die Programmgestaltung der Ravag mit; welche Folgen das hat, konnte man in jenen ersten Oktobertagen des mißlungenen kommunistischen „Generalstreiks“ sehen: damals erinnerten die Töne, die während der Nachrichtendurchsage und der „Russischen Stunde“ aus den Radioapparaten drangen, gar sehr an jene von zündender Marschmusik unterbrochenen „Sondermeldungen“ vergangener Zeiten.

Es versteht sich leider fast schon von selbst, daß jene sechzehn wöchentlichen Sendungen von der Ravag notgedrungen in die besten Sendezeiten verlegt werben mußten. Die russische „Morgenstunde für die Frau“, die „Stimme der sowjetischen Presse“, der „russische Sprachunterricht“ — viermal je 15 Minuten in der Woche — und wie diese Sendungen sonst noch heißen: sie finden durchwegs an den für den jeweiligen Hörerkreis, geeigneten Zeitpunkten statt. Es arbeitet ein geschicktes System an ihrer Verteilung.

Daß ein bedeutender Teil der russischen Sendungen sich ausschließlich in Angriffen auf die österreichische Regierung und demagogischer Kritik österreichischer Verhältnisse erschöpft, ist eine Tatsache, die zu wiederholten Protesten der österreichischen Regierung geführt hat.

Wir glauben richtig zu urteilen, wenn wir meinen, daß die propagandistischen Expansionsbestrebungen der Besatzungsmacht im Wirkungsbereich der Ravag durch deren einigermaßen unübersichtlichen Rechts- und Verwal-tungszustand sehr begünstigt wurden. Nicht nur, daß die Rechtsstruklur dieses Unternehmens durch Okkupation, Krieg, Besatzung, Parteipolitik und kommerzielle Veränderungen mehr als kompliziert wurde, die Ravag untersteht zudem keiner bestimmten staatlichen Stelle, die eindeutig für sie verantwortlich wäre und ihr Schutz und moralischen Rückhalt böte — oder, genauer gesagt, die Ravag untersteht vielmehr den Kompetenzen einer ganzen Reihe staatlicher Stellen, wie dem .Unterrichts-, dem Finanz-, dem Verkehrsministerium und mit dem letzterem auch der Generalpostdirektion. Bisweilen hat man den Eindruck, als wäre sie ein Verlegenheitskind, dessen Überwachung ein Verwandter am liebsten dem nächsten überlassen möchte. Unklarheit der Verwaltung, Überschneidung der Kompetenzen sind ein Nährboden für die beklagfen übelstände.

Solche Erwägungen veranlassen zu einer Forderung, nicht an die Besatzungsmacht, wohl aber an den Staat: unsere Berufenen mögen dafür sorgen, daß die Kompetenz- und Verantwortlichkeitsbereiche, die sich über der A r g e n t i n i e r s t r a ß e vielfältig schneiden, geordnet und genau bestimmt werden. Die Frage, ob die immerhin nur provisorische öffentliche Verwaltung der Ravag nicht endlich doch durch ein Definitivum ersetzt werden müßte und wie dies zu geschehen habe, vermögen füglich nicht w 1 r zu beantworten. Doch wird eine Beschäftigung mit ihr wahrscheinlich sehr nützliche Ergebnisse zeitigen.

Eine unserer Tageszeitungen hat während der kritisdien Oktobertage in begreiflichem Ärger den Vorschlag gemacht, die Ravag kurzerhand und offiziell als nichtösterreichischen Sender zu deklarieren. Wir glauben nicht, daß ein solcher Sdiritt jetzt schon berechtigt wäre. Das Schiff ist, leider, in den Klippen der Besatzungspolitik festgelaufenj es leckt sogar. Aber soll man es darum schon verlassen? Es bestehen noch mancherlei Möglichkeiten, es wieder flottzumachen, um auf ihm-jwieder die offene See der Meinungs- und Gedankenfreiheit zu gewinnen.

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